: Steuerhinterziehung aus Liebe
Urteil Der Schmiergeldskandal rund um einen Angestellten beim Landesamt für Gesundheit und Soziales ist mit der Verkündung von vier Haftstrafen durch das Berliner Landgericht geklärt
Lange Zeit machte das Landesamt für Gesundheit und Soziales – kurz: Lageso – Negativ-Schlagzeilen: Behördenchaos, ein ermordeter Flüchtlingsjunge und dann noch ein Schmiergeldskandal, der nun mit der Verkündung von vier Haftstrafen durch das Berliner Landgericht geklärt ist.
143.000 Euro bekam der Regierungsrat Stefan T. (49) in den Jahren 2011 bis 2015 von Freunden zugesteckt. Dafür unterließ er es, deren massive Steuerhinterziehung anzuzeigen. Niemals aber wirkte er aktiv auf seine Kollegen beim Lageso ein, die Firmen seiner Geldgeber zu beauftragen. „Es gibt kein Politikum“, so ein Verteidiger in diesem Verfahren, das seinen Anfang in diversen Freundschaften nahm.
Da war diejenige zwischen T. und dem gleichaltrigen Unternehmer Dino J. Beide waren Geschäfts- und Lebenspartner, bis 1998 Freundschaft an die Stelle von Liebe trat. Man verbrachte seine Freizeit miteinander, auch mit den neuen Partnern. J. war nun mit dem elf Jahre jüngeren Oliver W. zusammen: Der arbeitete in J.s Firma und stellte fest, dass sein Chef keine Sozialabgaben zahlte. Er beschwerte sich und verliebte sich in den Steuerhinterzieher, den er fortan beim Gründen und Umwandeln von 20 GmbHs unterstützte, die für Tankstellen, Hotels, Pflegeheime und Einkaufscenter Reinigungskräfte, Kassierer, Pförtner und Sicherheitsleute koordinierten.
W. rekrutierte die Schwarzarbeiter und war deren Ansprechpartner. Er holte auch seinen Freund Olaf K. (41) in die Firma – den angeblichen Geschäftsführer diverser GmbHs, der lediglich Chauffeur war, der Papiere unterschrieb. Dino J., der offiziell Hartz IV bezog, plante und organisierte. Dazu gehört auch die regelmäßige Bestattung überschuldeter GmbHs: Für einige Tausend Euro engagierte er Firmenaufkäufer, vorzugsweise aus Osteuropa, die sich als Geschäftsführer eintragen ließen. Der alte Geschäftsführer will dann alle Unterlagen an den neuen gegeben haben, der neue behauptet – falls er überhaupt auffindbar ist –, dass die Dokumente während der Übergabe verloren gingen. So entstand ein Schaden von fast 2 Millionen Euro allein für die Jahre 2011 bis 2015.
Mit Rücksicht auf seinen Beamtenstatus zog sich T. 2004 aus den Firmen zurück, inoffiziell profitierte er weiter. Ein besonderer Coup gelang während seiner Privatinsolvenz, die 2013 endete. Damals wurde ein großer Teil seines Salärs gepfändet. Flugs zeigten seine Freunde seinem Arbeitgeber einen gefälschten Darlehensvertrag, mit dem sie die Liste der Gläubiger anführten und das gepfändete Geld an T. zurückleiten konnten.
Immer wieder wurden die kreativen Betrüger mit Ermittlungsverfahren konfrontiert, für den Notfall besorgten sich J. und W. eine Aufenthaltsgenehmigung für Paraguay. Doch mehr als zwei Jahrzehnte wurden sie strafrechtlich nicht belangt, was Staatsanwalt Holger Freund mit dem Personalmangel bei Zoll- und Steuerfahndung erklärt.
Das letzte gegen J. und K. seit 2011 geführte Ermittlungsverfahren, wurde 2014 gegen Zahlung einer Geldbuße eingestellt, weil zu viel Zeit vergangen war, ohne dass Anklage erhoben werden konnte. W. wurde im April 2014 vom Amtsgericht Tiergarten wegen Betrugs zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt – und machte ebenso wie J. und K. weiter bis zum 16. Februar 2016. Da beschloss er auszupacken, auch vor Gericht schonte er weder sich noch seine Freunde. „Er hat die Last nicht mehr ertragen“, meint sein Anwalt Mirko Röder.
Die Belohnung für seine Kronzeugenschaft ist mager: Fünf Jahre und fünf Monate muss er in Haft, J. für sieben Jahre und drei Monate, der Strohmann K. zweieinhalb Jahre. T., der beteuerte, das in seinem Tresor gefundene Geld sei ein zurückgezahltes Darlehen, das er 1995 einer von J.s Firmen gewährt hätte, wurde nicht geglaubt: Er verliert Job und Pension und muss für 32 Monate in Haft.
Am schlimmsten aber, das gibt selbst der energische Richter zu, trifft es Dinos Mutter (86): Weil sie ihrem Sohn gelegentlich half, wurden ihr Haus und ihre Rente zur Wiedergutmachung herangezogen, auch muss sie sich einem Geldwäscheverfahren stellen. Uta Eisenhardt
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