piwik no script img

Die Metzger Domkes waren schon Fleischer in Friedrichshain, als noch niemand ahnte, dass das Stadtviertel eine Ausgehmeile werden würde. Der aktuelle Betreiber Nino Domke reagierte mit längeren Öffnungszeiten. Und das kommt an: Das Partyvolk handelt den Laden als „The place where you must have lunch“„Manchmal wollen die schon um sieben Eisbein“

Kassler, Eisbein, Schnitzel: Das ist deftige Hausmannskost à la Domkes

Interview Barbara BollwahnFotos Amélie Losier

taz: Herr Domke, Ihre Fleischerei wird sowohl von Partygängern als auch von Anwohnern im Internet geradezu gefeiert: „Klassenlose Gesellschaft, in der alle zusammensitzen“, „Essen wie bei Mutti“, „Ein echter Metzger, wie man ihn noch aus Kindertagen kennt“, heißt es da. Lesen Sie diese Kommentare?

Nino Domke:Ja, ja. Das geht mir runter wie Öl. Aber ich ärgere mich natürlich auch, wenn es einen schlechten Kommentar gibt. Viele schreiben auch von einem bodenständigen Laden, der dann vielleicht doch was Besseres ist als diese hipstermodernen Hyperläden, die ein halbes Jahr Mode und dann wieder weg sind.

Hatten Sie denn Schwierigkeiten, sich auf das Partyvolk einzulassen?

Seien wir mal ehrlich, wenn das Partyvolk aus den Clubs kommt, dann leuchtet es noch manchmal im Dunkeln. Wenn wir aber frühmorgens anfangen zu arbeiten, in der Woche öffnet der Laden 6.30 Uhr, samstags und sonntags 8 Uhr, haben wir noch das Kopfkissen im Gesicht.

Wie meinen Sie das?

Ich meine den Konsum von illegalen Substanzen. Und wenn die sich dann nicht so benehmen, wie es sein sollte, kann es schon anstrengend sein.

Bestellen die dann morgens um sieben Roulade mit Rotkohl oder wonach steht denen der Sinn?

Manchmal kommen die schon früh um sieben rein und wollen ein Eisbein essen (lacht). Das geht natürlich nicht, weil das noch nicht fertig ist. Aber mit Hackepeterbrötchen und Bockwurst können wir dann schon dienen. Das geben wir dann meist auf Pappen raus, damit keine Teller kaputt gehen (lacht).

Gibt es auch schon mal Ärger?

Na klar. Manche schlafen hier ein oder benehmen sich arg daneben, haben sich nicht mehr unter Kontrolle. Das passiert schon, aber die meisten sind friedlich und lieb.

Ihre Fleischerei bietet Ihre Wurst- und Fleischwaren sieben Tage die Woche bis 22 Uhr an. Haben Sie wegen der Öffnungszeiten bestimmte Auflagen?

Offiziell sind wir ein Stehimbiss. Sonntags dürfen wir kein Frischfleisch verkaufen, nur Waren, die für den sofortigen Verzehr geeignet sind. Ein Beispiel: Wir dürfen sonntags Hackepeterbrötchen verkaufen, aber Hackepeter ohne Brötchen nicht. Oder: Weil wir ein erlaubnisfreier Gaststättenbetrieb sind, dürfen wir Alkohol verkaufen, aber nicht ausschenken. Wenn wir also eine Flasche Bier verkaufen, die der Kunde selbst aufmacht, dürfen wir das.

Wann fingen Sie an, Ihr Geschäft zu erweitern?

So richtig entwickelt hat sich das ab 2011, als ich die Fleischerei von meinem Vater übernommen habe, und sich die Partyszene immer mehr hierher nach Friedrichshain verlagert hatte, viele Hostels entstanden sind und der Kiez zum Partykiez wurde. Da haben wir gemerkt, dass die Touristen auch einen Imbiss haben wollen, der nicht unbedingt auf Chinapfanne, Döner oder Pizza abzielt, sondern deutsche Hausmannskost bietet.

Und Sie haben sich darauf eingestellt.

Ja, wir fingen an, den Laden täglich bis 22 Uhr offen zu lassen. Vorher hatten wir die klassischen deutschen Öffnungszeiten. Am Anfang war es schwierig, Personal zu finden, um die langen Zeiten abzudecken.

Dabei ist die Fleischerei Domke ein Familienbetrieb.

Nino Domke

Der Mensch: 30, führt die von seinem Vater schon zu DDR-Zeiten eröffnete Fleischerei Domke in Friedrichshain, die seit 26 Jahren in der Warschauer Straße ist. Er profitiert mit verlängerten Öffnungszeiten und Hausmannskost von der Wandlung des ehe­maligen Arbeiterviertels zum hippen Partykiez.

Die Fleischerei: Sieben Tage die Woche verkauft die Fleischerei deftige Hausmannskost zu günstigen Preisen: Kassler, Gulasch, Roulade, Eisbein, Schnitzel oder Eintopf gibt es ab 4 Euro. Die Fleischerei hat sich längst auf das Partyvolk aus aller Welt eingestellt, das das bodenständige und preiswerte Essen im Internet feiert. Während der Wurst- und Fleischverkauf um fast die Hälfte zurückgegangen ist, boomt das Geschäft vor allem mit dem Essensverkauf.

Die Familie: Bevor Nino Domke eine Fleischerlehre machte und 2011 das Geschäft von seinem Vater übernahm, hat er eine Ausbildung zum Mechatroniker gemacht. In dem Familienbetrieb arbeiten neben seinem Vater und seiner Mutter auch seine zwei Schwestern. Nino Domke wohnt mit seiner Verlobten, einer Floristin, und seiner anderthalbjährigen Tochter in Hoppegarten. Zweimal in der Woche verbringt er seine Freizeit mit Kickboxen. (wahn)

Ja, mein Vater arbeitet zusammen mit mir als leitender Angestellter und lässt sich noch nicht die Butter vom Brot nehmen (lacht). Ich habe ihm aber auch viel zu verdanken. Dann sind da noch meine Mutter, und meine beiden Schwestern arbeiten auch hier. Mit mir sind wir 12 Personen.

Machen es die familiären Bande leichter oder gibt es auch schon mal Probleme, eben weil man sich so gut kennt?

Ein Familienbetrieb hat seine Vorteile, aber auch natürlich ein paar Nachteile. Bei kleineren Unstimmigkeiten geht man natürlich mit Familienmitgliedern anders um als mit ganz normalen Angestellten, was die Sache für mich nicht einfacher macht. Hinzu kommt, dass es innerhalb der Familie natürlich schneller zu Streit kommt als mit fremden Personen. Aber der Vorteil ist der, dass es anschließend auch schneller mit dem vertragen klappt!

Sie sind erst 30 Jahre alt, wann sind Sie das letzte Mal um die Häuser gezogen?

An meinem 30. Geburtstag im Juli. Da war ich im Club Magdalena in Alt-Stralau. Ich habe ja jetzt eine Familie zu Hause und kann nicht mehr jedes Wochenende losziehen.

Laufen Ihnen in den Clubs auch Kunden über den Weg?

Schon am Einlass! Die Türsteher sagen oft: Ach, da kommt ja meine Lieblingsfleischerei. Da muss man keine Sorge haben, nicht reinzukommen. Die fragen auch schon mal, ob ich Gulaschsuppe mitgebracht habe (lacht).

Gibt es mit dem internationalen Partypublikum sprachliche Probleme?

Am Anfang war es natürlich schwierig mit der Sprachbarriere, aber eigentlich können jetzt alle die Grundbegriffe in Englisch. Und mittlerweile können wir ziemlich genau an den Essgewohnheiten erkennen, woher die Touristen kommen. Die Spanier wollen immer Brot zum Essen, immer, oder ein Brötchen. Die Italiener erkennt man daran, dass sie mit Händen und Füßen reden. Die Engländer sind etwas zurückhaltender. Aber ob Touristen kommen oder Bauarbeiter, Beamte oder Polizisten von einer Wache hier in der Nähe, die keine Kantine hat, für uns macht das keinen Unterschied.

Die Kundschaft ist internationaler geworden, aber eine englische Übersetzung der Gerichte findet sich nicht.

Wir sagen auch nicht Sie, sondern wir sind eher per du mit der Kundschaft, freundschaftlich und locker, so die Berliner Schnauze halt, und das gegenüber dem Berliner Polizisten genauso wie gegenüber dem Touristen. Die Touristen lesen ja im Reiseführer von der Berliner Schnauze und das erwarten die dann auch. Wir bekommen meistens auch Mitteilungen, wenn Reiseführer unseren Laden listen.

Das freut Sie sicher.

Klar, das ist schön und da freuen wir uns natürlich. Zu Thanksgiving hatten wir ganz viele Truthahnbestellungen, was auch super ist. Das haben die anderen Fleischereien nicht. Irgendein Amerikaner muss über uns geschrieben haben auf einer Seite, auf der Amerikaner kommunizieren, die in Berlin leben und Thanksgiving feiern. Deswegen haben wir jedes Jahr eine hohe Stückzahl an bestellten Truthähnen und das ist eine Dynamik, die immer stärker wird.

Wie viele Essen verkaufen Sie im Schnitt pro Tag?

„Wenn das Partyvolk aus den Clubs kommt, dann leuchtet es ­manchmal noch im Dunkeln“

Etwa 150. Im Sommer, wenn es nicht zu heiß ist, sind es mehr als 200 Essen. Wenn viele Touristen in der Stadt sind, haben wir Konjunktur.

Die Inneneinrichtung Ihrer Fleischerei ist eher nüchtern und draußen stehen Holztische und Bänke mit Blick auf die viel befahrene Warschauer Straße.

Die Warschauer Straße kann schon sehr spannend sein, gerade im Sommer! Es ist oft lustig einfach zuzugucken, was da passiert. Einmal zum Beispiel, an den Bänken draußen saßen etwa 20 Leute, fuhr nachmittags bei bestem Wetter, 25 Grad, eine Frau oben ohne auf dem Fahrrad vorbei. Sie blieb an der roten Ampel stehen und hielt den rechten Arm beim Abbiegen raus. Alle haben natürlich geguckt, aber die hat sich keine Platte gemacht. Es ist die bunte Mischung, die es ausmacht. Da sitzt der Bauarbeiter neben dem Bürohengst und den Touristen. Es ist ein fröhliches Miteinander, das gut funktioniert.

Wie setzt sich die Kundschaft zusammen, die nicht zum Essen kommt, sondern zum Wurst und Fleisch kaufen?

Das sind Otto Normalverbraucher, die arbeiten gehen und eine Familie zu Hause haben. Man muss aber sagen, dass der Verkauf von Wurst und Fleisch seit 2011 bestimmt um 50 Prozent zurück gegangen ist.

Wie hart trifft Sie diese Einbuße?

Es wäre schon schön, wenn diese Kunden wieder bei uns einkaufen würden. Doch dafür ist der Mittags- und Abendtisch um ein Vielfaches mehr geworden und da ist die Tiefenentspannung schon etwas größer.

Hätten Sie denn Lust, die Öffnungszeiten an den Wochenenden noch weiter auszudehnen?

Ich komme früh immer gegen 3 Uhr her und dann sehe ich, gerade an den Wochenenden, auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine Schlange vor dem Dönerladen und manchmal denke ich, das könnte man auch noch mitnehmen. Aber so wie es jetzt ist, sind wir gut ausgelastet und es reicht uns.

Woher beziehen Sie Ihr Fleisch?

Sachen wie Hackepeter lassen wir herstellen und machen dann noch Zwiebel, Pfeffer und Salz dran. Wir schlachten nicht selbst, sondern haben einen Partner, mit dem wir zusammen arbeiten. Das Schweinefleisch kommt aus Brandenburg, aus Neuzelle, das Rindfleisch auch. Die Steaks kommen aus Argentinien oder Irland, und das Geflügel aus Niedersachsen, so wie die Truthähne.

Sie bieten Gulasch mit Nudeln oder Bratwurst mit Sauerkraut und Kartoffeln für 5 Euro an, Nudeln mit Tomatensoße und Jagdwurst für 4 Euro, ein Klassiker aus der DDR-Schulküche. Nicht wenige der hippen Kunden meinen, dass es Ihre Fleischerei schon zu DDR-Zeiten gegeben haben muss. Ist das so?

Nino Domke über seinen Laden in der Warschauer Straße: „Die High Society kommt nicht her. Wenn sich das weiter so entwickelt, müssen wir mal gucken. Denn die normalen Leute sollten schon bleiben“

Mein Papa hat die Fleischerei 1979 in der nahegelegenen Petersburger Straße eröffnet. 1990 ist er hier her gezogen. Entfernt sind wir dann also doch ein DDR-Fleischer. Damals konnte niemand ahnen, wie sich der Stadtteil verändern wird und dass Friedrichshain zu einer Ausgehmeile wird. Da hatten wir schon Glück. Ich bin an einem Sonntag geboren (lacht).

Mussten Sie in Vaters Fußstapfen treten oder wollten Sie Fleischer werden?

Ich habe zuerst Kfz-Mechatroniker gelernt und anderthalb Jahre als Geselle gearbeitet. Dann kam die Bundeswehr und danach hatte ich nicht mehr wirklich Lust auf diesen Beruf und habe bei Papa die Fleischerausbildung gemacht. Das war alles ganz toll und dann ging es auch relativ schnell mit der Übernahme. Ich bin zufrieden, dass ich den Weg gegangen bin.

Gab es Diskrepanzen mit Ihrem Vater bei der Übernahme?

Nein. Veränderungen werden immer im Kollektiv beschlossen, von Vaddern und mir.

Warum hat Sie der Beruf des Fleischers erst auf den zweiten Blick interessiert?

Wegen meiner Leidenschaft für Autos. Außerdem wollte ich erst einmal etwas Eigenes machen und mich beweisen, bevor ich bei Papa unter die Fittiche krieche.

Mittlerweile mehren sich die Stimmen im Kiez, die über die Touristenströme klagen, denen die Fleischerei als „The place where you MUST have lunch“ angepriesen wird. Können Sie das nachvollziehen?

Es hat natürlich die gleichen Nachteile wie andernorts Man hat viel Dreck, viele Besoffene und viel Grölerei in der Nacht. Wenn ich hier wohnen würde, würde ich darüber auch meckern. Wenn es abends um acht hier richtig voll ist, ist es schon laut. Aber das sind ja nicht nur wir. Die Straße lebt im Sommer richtig! Das ist wie abends auf dem Ballermann auf Mallorca, so viel Bambule gibt es.

Nino Domke über seine Kundschaft: Mittlerweile können wir an den Essgewohnheiten ziemlich genau erkennen, woher die Touristen kommen. Die Spanier wollen immer Brot zum Essen, die Italiener reden mit Händen und Füßen, die Engländer sind etwas zurückhaltender

Haben Sie dann ähnliche Probleme mit Betrunkenen wie auf dem Ballermann?

Das sind die berühmten Ausnahmen. In der Regel überwiegen für uns die Vorteile. Es gab nur einmal einen Einbruch, aber das war kein Tourist. Ich habe jedoch auch Verständnis für die Anwohner, die über Lärm und Dreck klagen. Die Polizei mussten wir noch nie rufen. Wenn mal jemand Ärger macht, begleiten wir den selbst raus.

Friedrichshain hat sich von einem Arbeiterbezirk nicht nur zu einem hippen Ausgehviertel verändert, durch gestiegene Mieten gab und gibt es auch viele Neuzuzüge. Kommen auch diese Menschen zu Ihnen in die Fleischerei?

Die High Society kommt nicht her. Wenn sich das weiter so entwickelt, müssen wir mal gucken. Denn die normalen Leute sollten schon hier bleiben.

Wurde Ihre Miete eigentlich erhöht?

Die ist natürlich gestiegen, ja ja. Aber noch ist alles okay. Der Vertrag läuft bis 2021. Dann wird neu verhandelt.

Haben Sie mit der veränderten Kundschaft auch mal mit dem Gedanken gespielt, vegane Würstchen anzubieten?

Nee, nee, nee, da bleiben wir uns treu. Es steht immer noch Fleischerei außen dran. Und ich bin der festen Überzeugung, dass all die veganen Läden irgendwann wieder weg sind. Der Mensch ist nicht dafür ausgelegt, Vegetarier oder gar Veganer zu sein. Ich sage aber nicht, dass wir alle Fleisch und Wurst in riesigen Mengen essen müssen. Gemäßigt Fleisch essen mit Gemüsebeilagen, das ist eine ausgewogene Ernährung.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen