Kunstkritiker John Berger gestorben: Der erste, der Kunstkritik politisierte
Picassos Karriere hing zusammen mit der Konsumgesellschaft seiner Zeit, analysierte einst John Berger. Nun ist er im Alter von 90 Jahren gestorben.
Berger war ein marxistischer Intellektueller. Er schrieb kunsthistorische Bücher, Romane, Gedichte, Theaterstücke und Schriften, die in keine etablierte Form passten. Immer wieder forderte er die traditionellen Sichtweisen auf Kunst und Gesellschaft und ihre Verbindungen heraus.
Er politisierte unter anderem mit seinem 1972 erschienenen Buch „Ways of Seeing“ („Sehen“), das später in den allgemeinen Lehrplan vieler Universitäten aufgenommen wurde. Es sei das Sehen, das den Platz des Menschen in seiner ihn umgebenden Welt bestimme, schrieb Berger darin. Mit Worten hingegen werde die Welt lediglich beschrieben und nicht geformt.
Ein weiteres Politikum war seine Haltung zum umstrittenen Werk „Die Satanischen Verse“ von Salman Rushdie, das 1988 veröffentlicht wurde. Nachdem die Islamische Republik Iran aufgrund des Buches ein Kopfgeld auf Rushdie aussetzte, bekam er von vielen Schriftsteller-Kollegen Rückendeckung. Von Berger jedoch nicht.
Für seinen Roman „G“ gewann Berger 1972 den begehrten Booker Prize. Zusätzliches Aufsehen erregte, dass er versprach, die Hälfte des Preisgeldes an die revolutionäre US-Bewegung Black Panther zu spenden. Damals sagte er, die Ideen der Gruppe entsprächen seiner politischen Gesinnung.
1965 untersuchte er die Rolle, die möglicherweise der Konsum für den Aufstieg und Fall von Pablo Picasso gespielt haben könnte. Zudem stellte er die Theorie auf, der Kubismus habe die russische Revolution vorhergesagt.
Noch im vergangenen Jahr erschien eine Dokumentation über Berger, die von der Schauspielerin Tilda Swinton, einer langjährigen Freundin, gedreht wurde. Sie nennt ihn darin einen „radikalen Humanisten“.
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