Rechtliche Prüfung der Berliner Initiative: Rad-Volksentscheid droht zu kippen
Laut einem bisher unveröffentlichtem Schreiben der Verkehrsverwaltung ist der Entwurf des Radgesetzes nicht umsetzbar. Die Initiative wäre entmachtet.
Die Initiative Volksentscheid Fahrrad droht ihr Druckmittel zu verlieren: Ihr Entwurf eines Radgesetzes ist in wesentlichen Teilen nichtig. Zu diesem Schluss ist die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Verkehr unter dem damaligen Senator Andreas Geisel (SPD) gekommen, die den Entwurf fachrechtlich prüfen musste. Angesichts dieser Einschätzung ist fraglich, ob die Innenverwaltung ein Volksbegehren zulässt. Die Initiative könnte dann nicht mehr mit einem Volksentscheid drohen und so Druck auf Rot-Rot-Grün aufbauen.
Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung übermittelte ihre Bewertung Anfang Dezember an die Innenverwaltung in einem vierseitigen Schreiben, das der taz nun vorgelegen hat. Darin heißt es: „Das Land Berlin hat keine Gesetzgebungsbefugnis für die im Gesetzentwurf enthaltenen straßenverkehrsrechtlichen Regelungen.“ Dies betreffe insbesondere Regelungen zur Einrichtung von Fahrradstraßen, grüner Welle und Radschnellwegen – also wichtige Teile des von der Initiative geplanten Gesetzes.
Die frühere SPD-geführte Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Umwelt und Verkehr stützt sich in ihrem Urteil auf ein Gutachten der renommierten Rechtsanwaltskanzlei Redeker, Sellner, Dahs vom 12. Oktober 2016. Danach sind vor allem die in Teil zwei des Radgesetzentwurfs enthaltenen Bestimmungen über die Schaffung des Berliner Radverkehrsnetzes und die Erhöhung der Sicherheit des Radverkehrs „überwiegend nicht mit den bundesrechtlichen Vorgaben des Straßenverkehrsrechts vereinbar“.
Das Schreiben der Senatsverwaltung ist vom 7. Dezember, also dem letzten Tag, an dem Geisel Verkehrssenator war. Tags darauf wurde er zum Innensenator ernannt und ist damit nun für die abschließende juristische Prüfung des Volksbegehrens zuständig. Geisel wird also auf der Grundlage der Bewertung seiner einstigen Verwaltung urteilen.
Geisels damaliger und heutiger Sprecher Martin Pallgen wollte sich auf Anfrage nicht zum Inhalt des Schreibens äußern, da das Verfahren noch laufe. Er bestätigte aber, dass mit der Arbeit der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung die „wesentliche Prüfung des Gesetzentwurfs abgeschlossen ist“. Spätestens bis Anfang Februar werde die Innenverwaltung die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit getroffen haben.
Bloß keine Papiertiger
Im Frühsommer 2016 hatte die Initiative Volksentscheid Fahrrad innerhalb eines Monats rund 90.000 Unterschriften – und damit viermal so viel wie nötig – für ihren Gesetzentwurf gesammelt, der Rad fahren in Berlin sicherer machen soll. Hauptforderungen sind unter anderem 350 Kilometer Fahrradstraßen, zwei Meter breite Radwege an jeder Hauptstraße und die Einrichtung von Radschnellwegen. Zudem forderten die Initiatoren um Heinrich Strößenreuther stets eine Verbindlichkeit des Gesetzes: also zeitliche und räumliche Vorgaben, zum Beispiel bis wann wie viele Kilometer neuer Wege fertig sein müssen.
Die Verfahren der direkten Demokratie in Berlin sehen vor, dass nach der ersten Sammlung von Unterschriften die Senatsverwaltung für Inneres die Rechtmäßigkeit des Begehrens prüfen muss. Die fachrechtliche Prüfung übernimmt im Auftrag der Innenverwaltung in diesem Fall die Senatsverwaltung für Verkehr.
Sie moniert in dem Schreiben vom 7. Dezember neben der fehlenden Gesetzgebungskompetenz des Landes auch Ungenauigkeiten im Gesetzentwurf. Kritisiert wird zudem, dass die Vorgaben, vor allem zeitlicher, inhaltlicher und räumlicher Art, zwar gut gemeint, aber schlecht gedacht seien. „Die vorgegebenen [..] Zeit-, Qualitäts-, und Mengenziele führen dazu, dass jede Änderung der Rahmenbedingungen mit einem Gesetzesänderungsverfahrens einher gehen muss“.
Auch würden zum Beispiel die geforderten 200.000 neuen Fahrradabstellplätze innerhalb von acht Jahren, „ohne Bedarfsnachweis gegen das Gebot des wirtschaftlichen Handelns der Verwaltung“ verstoßen.
Ähnlich hatte sich der damalige Verkehrsstaatssekretär Christian Gaebler (SPD) in einem Streitgespräch mit Strößenreuther in der taz bereits im Mai geäußert. Gaebler wörtlich: „Ich glaube tatsächlich, dass ein Gesetz an dieser Stelle nicht das richtige Mittel ist. Es geht hier größtenteils um bundesrechtliche Regelungen. [. . .] Es funktioniert nicht, durch ein Landesgesetz die Abwägungsregelung der Straßenverkehrsordnung außer Kraft zu setzen.“
Für die Initiative verändert sich mit der negativen Einschätzung die Lage. Ihr wichtigstes Druckmittel – die Drohung mit einem Volksentscheid – könnte wegfallen. Nach Ansicht des neuen rot-rot-grünen Senats braucht es dieses Druckmittel ohnehin nicht mehr. In den Koalitionsverhandlungen hatte man sich bereits darauf geeinigt, ab 2019 jährlich 51 Millionen Euro für die Umsetzung eines Radgesetzes bereitzustellen. Dieses Gesetz soll bereits Ende März beschlossen sein.
Am Freitag traf sich die neue Verkehrssenatorin Regine Günther (parteilos, für die Grünen) erstmals mit der Initiative Volksentscheid Fahrrad – offiziell zum Kennenlernen. In dem Gespräch wollten die Radaktivisten aber auch abklären, welche Priorität der Radverkehr bei der neuen Senatorin hat und ob es Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Gesetzentwurfs gibt.
Strößenreuther sprach am Freitagnachmittag von einem „guten Gespräch“, bei dem man Positionen ausgetauscht habe und das „leider nur eine Stunde“ dauerte. Ähnlich äußerte sich Günthers Sprecher Matthias Tang: Man teile die Ziele der Initiative und habe vereinbart, im Gespräch zu bleiben. Termine dafür gebe es aber bisher nicht.
Was die Zulässigkeit eines Volksentscheids angeht, so Tang, warte die Verkehrsverwaltung auf die Entscheidung des Innensenators. Das oben zitierte Schreiben sei schließlich die Einschätzung der früheren Verkehrsverwaltung.
Es sei jedenfalls kein Thema in dem Gespräch gewesen, sagte Strößenreuther am Freitagnachmittag der taz. Er sei jedoch nicht überrascht über die negative Einschätzung des Radgesetzentwurfs durch die alte Senatsverwaltung für Verkehr: „Ich hatte das vermutet.“ Nun müsse sich die neue Senatorin überlegen, ob sie sich dieser Position anschließen will oder nicht. Strößenreuther: „Wir müssen abwarten, was da passiert.“
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