Verfassungsschutzchefin zum Populismus: „Nicht auf dem rechten Auge blind“
Beate Bube und ihre Behörde in Baden-Württemberg haben die Entwicklung der AfD genau im Blick. Ein Beobachtungsobjekt sei sie aber nicht.
taz: Frau Bube, der Rechtspopulismus ist auch in Deutschland auf dem Vormarsch. Sind rechte Populisten eine Gefahr für unsere Verfassungsordnung?
Beate Bube: Was verstehen Sie unter Populismus? Wir verstehen darunter eher eine Methode als einen Inhalt. Populismus, das ist eine plumpe Gegenüberstellung „wir hier unten“ gegen „die da oben“, oder es werden vermeintlich einfache Lösungen für tatsächlich doch eher komplexe Probleme angeboten. So etwas machen gelegentlich auch demokratische Parteien.
Viele glauben, die Verfassungsschützer seien ratlos im Umgang mit AfD, Pegida und Hassbürgern. Ende November zog das Bundesamt eine lange erwartete Handreichung im letzten Moment wieder zurück. Waren Sie enttäuscht?
Nein, im Gegenteil. Die Diskussion, wo der Extremismus beginnt und damit der Verfassungsschutz zuständig ist, ist sehr wichtig und ist sensibel zu führen. Wir sollten sie nicht vorschnell mit starren Konzepten beenden. Im Übrigen ist der Verfassungsschutz nicht ratlos.
Wann also beginnt der Verfassungsschutz, eine Partei oder eine Bewegung zu beobachten? Gibt es da feste Regeln, oder sagt Ihnen der Innenminister, was er gerade für gefährlich hält?
Natürlich arbeiten wir nach festen Maßstäben, die bundesweit im Verfassungsschutzverbund abgestimmt wurden – und nicht auf Zuruf der Politik.
Der Stuttgarter CDU-Innenminister Thomas Strobl hat Sie im Juli zur Prüfung aufgefordert, ob die AfD überwacht werden kann, sein SPD-Vorgänger Reinhard Gall hat dies im Februar ebenso getan.
Ein Auftrag zur Prüfung ist keine Weisung zur Beobachtung. Auch die Politik erkennt an, dass wir nach klaren Regeln arbeiten.
Wo kann ich diese Regeln nachlesen?
Im Verfassungsschutzgesetz des Landes. Im Kern sind wir dafür zuständig, Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung frühzeitig zu erkennen und Informationen darüber zu sammeln. Das gilt entsprechend in allen Bundesländern und auch im Bund.
„Freiheitliche demokratische Grundordnung“ – den Begriff hat fast jeder schon mal gehört. Aber was ist das genau?
Der Begriff stammt aus dem Grundgesetz und wurde 1952 vom Bundesverfassungsgericht näher definiert. Dazu gehören die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte, das Wahlrecht des Volkes, die Verantwortlichkeit der Regierung, das Recht auf Bildung einer parlamentarischen Opposition, die Unabhängigkeit der Gerichte …
Sie beobachten also nur Bestrebungen, die das große Ganze kippen wollen – oder zumindest einzelne dieser Megaprinzipien angreifen. Was ist aber mit Leuten, die Schwule hassen, die die Emanzipation von Frauen zurückdrängen wollen und die Flüchtlinge für Deutschlands Unglück halten – haben die vom Verfassungsschutz demzufolge nichts zu befürchten?
Was einzelne Menschen individuell denken – ihre Einstellungen etwa zu Homosexuellen oder Flüchtlingen – geht uns zunächst nichts an. Für den Verfassungsschutz sind politisch bestimmte Handlungen in einer oder für eine verfassungsfeindliche Gruppierung relevant, die sogenannten Bestrebungen. Dabei können aber auch die von Ihnen beschriebenen Haltungen eine Rolle spielen – wenn sie darauf abzielen, bestimmten Gruppen das Recht auf gleichberechtigte Teilhabe an dieser Gesellschaft zu verwehren.
Wenn eine Partei also zum Beispiel die Grundrechte von Homosexuellen infrage stellt, wäre sie ein Fall für den Verfassungsschutz?
Das wäre ein Baustein in der Gesamtbewertung, bei der wir die gesamte Programmatik, die Reden und die Kontakte zu anderen extremistischen Organisationen auswerten.
Sind auch „völkische“ Bestrebungen ein Fall für den Verfassungsschutz, wenn sie unsere individualistische Lebensart ablehnen?
Wenn der Begriff „völkisch“ in ausgrenzender Weise meint, dass das ethnisch definierte Volk über dem Individuum steht, dann ist das sehr problematisch.
In der AfD mehren sich die Stimmen, die den Begriff des „Völkischen“ enttabuisieren wollen. Nähert sich die AfD damit der Verfassungsfeindlichkeit?
Wir haben diese Entwicklung sehr genau im Blick.
52 Jahre alt, ist seit 2008 Präsidentin des Landesamts für Verfassungsschutz in Baden-Württemberg. Vorgeschlagen wurde die parteilose Juristin vom damaligen Justizminister Ulrich Goll (FDP). Bube ist die erste Frau in diesem Amt. Zuvor arbeitete sie im Landesjustizministerium, in der Justizvollzugsanstalt Bruchsal und als Verwaltungsrichterin in Karlsruhe.
„Der Islam gehört nicht zu Deutschland“ heißt es im Grundsatzprogramm der AfD. Die wachsende Zahl der Muslime sei eine „große Gefahr für unseren Staat“. Ist das nicht Ausgrenzung pur?
Wer auf Gefahren eines politisch instrumentalisierten Islams hinweist, bewegt sich im Rahmen einer zulässigen gesellschaftlichen Diskussion. Wenn jedoch Muslimen in Deutschland generell die Religionsfreiheit abgesprochen wird, dann ist das verfassungsfeindlich. Allerdings finden sich im AfD-Programm auch relativierende Sätze. Auch das muss in eine Gesamtbewertung einbezogen werden.
Sie sagen, Sie hätten die AfD „im Blick“. Heißt das, der Verfassungsschutz „beobachtet“ die AfD?
Nein, das ist nicht dasselbe. Wenn der Verfassungsschutz eine Organisation zum Beobachtungsobjekt erklärt, dann folgt daraus eine systematische nachrichtendienstliche Beobachtung, die wiederum gerichtlich überprüfbar ist. Wir müssen daher zunächst fundiert prüfen, ob die vom Gesetz geforderten „tatsächlichen Anhaltspunkte“ vorliegen und bewiesen werden können.
In Politik und Zivilgesellschaft halten viele die AfD schon seit Langem für eine rechtsextremistische Partei, spätestens seit sich im Juli 2015 der Gründer Bernd Lucke mit seinem Flügel abgespalten hat. Doch das „Frühwarnsystem“ Verfassungsschutz prüft immer noch, wägt ab und zaudert …
Die Zivilgesellschaft kann leichter Urteile abgeben und sich dabei auf die Meinungsfreiheit berufen. Der Verfassungsschutz ist dagegen eine staatliche Behörde, deren Handeln nur auf eindeutiger rechtlicher Grundlage zulässig ist. „Frühwarnsystem“ heißt ja nicht, dass wir uns schneller festlegen als alle anderen. Gemeint ist damit auch, dass sich der Verfassungsschutz auch um Verhaltensweisen im Vorfeld strafbaren Handeln kümmern darf und muss.
Ist der Verfassungsschutz also quasi die letzte Instanz, die eine gesellschaftliche Diskussion nach vielen, vielen Jahren auswertet und zusammenfasst?
Nein, aber diese Gründlichkeit gebietet uns die Bindung an Recht und Gesetz. Wenn eine Organisation zum „Beobachtungsobjekt“ des Verfassungsschutzes erklärt wird, ist damit ja auch eine explizite staatliche Warnung verbunden, dass diese Gruppierung nicht mehr zum demokratischen Spektrum gehört. Das kann schwerwiegende Folgen haben. Manche sprechen sogar von einer staatlichen „Verrufserklärung“.
Tun Sie sich bei der AfD auch deshalb schwer, weil diese mit einem Wahlergebnis von 15 Prozent als drittstärkste Fraktion im Landtag sitzt?
Nein. Die Republikaner haben wir ab 1992 auch beobachtet, obwohl sie parallel mit 10,9 Prozent der Stimmen in den Landtag einzogen. Sie sehen: Wir sind auf dem rechten Auge nicht blind.
Haben Sie weitere Beispiele dafür?
Nehmen Sie die Identitäre Bewegung, die gegen den Verlust der europäischen und nationalen Identität durch angebliche Überfremdung kämpft. Unser Landesamt war eines der Ersten, das nach entsprechender Prüfung diese islamfeindliche Bestrebung als extremistisch einstufte.
Was ist mit den Reichsbürgern? Zu denen findet sich in Ihrem letzten Verfassungsschutzbericht von 2015 kein Wort.
Die sehr heterogene Reichsbürgerszene stand auch bisher schon – in ihren klar extremistischen Teilen – unter Beobachtung, etwa die „Exilregierung des Deutschen Reichs“ und die „Reichsbewegung – neue Gemeinschaft der Philosophen“. Aber beide Gruppen waren bislang zu unbedeutend, so dass eine Erwähnung im Verfassungsschutzbericht nicht gerechtfertigt war.
Sie haben also nichts verpasst?
Die Gewalteskalation in diesen Kreisen hat sich 2016 zugespitzt. Das war so nicht abzusehen und davor nicht gleichermaßen prägend für diese Szene.
Und was ist mit Pegida und ihren baden-württembergischen Ablegern? In Ihrem Bericht ist zu diesem Thema von einem Phänomen aus der „Mitte der Gesellschaft“ die Rede, das auch für Rechtsextremisten interessant sei.
„Mitte der Gesellschaft“ soll heißen, dass Pegida nicht von vornherein und ohne Weiteres als extremistisches Phänomen angesehen werden kann.
Die Islamfeindlichkeit bei Pegida ist nicht extremistisch?
Diese Bewegung ist bundesweit sehr heterogen und regional unterschiedlich zu bewerten. Teilweise gibt es eine klar rechtsextremistische Einflussnahme oder Steuerung und zum Teil haben wir es mit offener Islamfeindschaft im Sinne einer verfassungsschutzrelevanten Aberkennung von Grundrechten zu tun. Das Thema Islam hat bisweilen bei Pegida aber auch nur eine Nebenrolle gespielt. Vielfach ging es eher um den Ausdruck einer allumfassenden Unzufriedenheit mit dem „etablierten politischen System“.
Ist ein solcher „Wir sind gegen alles“-Extremismus kein Fall für den Verfassungsschutz?
Mit solchen Haltungen verantwortungsvoll umzugehen, ist Aufgabe von Politik und Gesellschaft und nicht des Verfassungsschutzes.
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