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Humor wider die Härte des Lebens

(HÖR-)BÜCHER Von Heiligabend mit Straßenkindern, fantastischen Katern und Walen, die zum Sterben Abschied nehmen: Zur Weihnachtszeit werden Kindern gern Geschichten mit lehrreichen Botschaften erzählt. Wir haben uns davon einige angehört

Wie Christus geboren worden sein soll, interessiert Kinder. Hier im Gemälde von Matthias Grünewald aus dem 16. Jahrhundert Foto: Abb.: Wikimedia Commons

von Sylvia Prahl

Was ist eigentlich das Besondere an Weihnachten – vom christlichen Aspekt einmal abgesehen? Ist es nicht die gemeinschaftlich wahrgenommene Entschleunigung, die uns zur Besinnung kommen lässt? Was jetzt nicht erledigt ist, hat auch Zeit bis nach Weihnachten, da hat jeder Verständnis. Denn Weihnachten ist die große kurze Auszeit, in der wir uns zurückziehen dürfen aus dem alltäglichen Wahnsinn, die wir entspannt gemeinsam mit Familie und Freunden verbringen können.

„Entspannt? Von wegen!“, rufen da einige. Und tatsächlich mag es bisweilen schwierig sein, die Waage zwischen Terminen und Sofalümmeln zu finden. Aber man hat ja doch selbst auch ein Wörtchen dabei mitzureden. Und egal, wie man die Feiertage mit Kind und Kegel gestaltet, eine gewisse Ruhe macht sich breit. Die Geschäfte sind geschlossen, der Veranstaltungskalender ist auf „Krippenspiel“ und „Weihnachtsoratorium“ eingedampft, eine festliche Stille liegt über den Straßen. Und, das ist vielleicht das Besondere an diesen Tagen, alle erleben das gleichzeitig.

Es gibt zwar Termine, aber die sind oft etwas Besonderes – in meiner Kindheit war das das Chorsingen in der Mitternachtschristvesper. Die Aufregung, zur späten Stunde noch auf zu sein, die Erwartung, dass die Gemeinde bei den ersten Tönen des „Gloria“ aus der Orff’schen Weihnachtsgeschichte überrascht aus den Bänken fällt, wie der Chorleiter es stets verlangt hat. Und jedes Jahr wieder die Verwunderung, dass niemand im Publikum mit der Wimper zuckte. Am ersten Weihnachtsfeiertag stand dann Rumlümmeln auf dem Programm. Beschäftigung miteinander und mit den Geschenken etwas bauen, backen oder basteln. Oder einfach nur da sitzen. Alles geht, nichts muss. Dinge, für die im Alltag zu wenig Platz ist.

Und selbstverständlich liegt einem einiges daran, für die eigenen Kinder das greifbar zu machen, was man als Kind schön fand. Da wäre zum Beispiel die „Weihnachtsgeschichte“. Die würde ich in diesem Jahr mit Hermann Schulz’„Die Reise nach Ägypten“ erzählen. Darin lässt Schulz, flankiert von Tobias Krejtschis fast kubistischen Illustrationen, den Chefarzt des Kinderkrankenhauses in Managua, Fernando Silva, den Kindern am Heiligen Abend die Weihnachtsgeschichte erzählen. Und er tut das in jedem Krankenzimmer mit einer unkonventionellen Version.

Sie endet nicht mit dem Erscheinen der drei Heiligen Könige. Schulz erzählt auch vom bösen König Herodes, der keinen anderen König dulden will und vorsichtshalber zum Machterhalt alle Neugeborenen töten lassen wird. Weshalb die Heilige Familie nach Ägypten flieht, wo alle Kinder in Sicherheit sind. Weshalb Silvas Sorgenpatient und Straßenkind Filemón nach Ägypten auswandern möchte. Weil er sich nicht anders zu helfen weiß, nimmt der Arzt den Jungen in dem Buch mit zu seiner Weihnachtsparty nach Hause, wo die Anwesenheit des auf ein besseres Leben hoffenden Straßenkindes das Gemeinschaftsgefühl aller Anwesenden stärkt – und das Kind einen großen Schritt in Richtung Genesung macht. Dem sehr flüssig zu lesenden Buch ist anzumerken, dass Schulz sich mit dem Setting auskennt: Er ist viel in Nicaragua umhergereist und leitete bis 2001 den Peter Hammer Verlag in Wuppertal, dessen Schwerpunkte schöne Kinderbücher und Lateinamerika sind.

Während der eine sich auf der Suche nach einem besseren Leben in ein anderes Land imaginiert, erträumt sich der andere einen Freund. Dass Fantasie magische Kräfte hat und einen vieles leichter ertragen lässt, erzählt Katherine Applegate in ihrem Hörbuch „Crenshaw – Einmal schwarzer Kater“. Jackson ist zehn Jahre alt und will Wissenschaftler werden, für ihn sind Fakten das einzig Wahre. Umso irritierender ist es für ihn, dass sich plötzlich und ungebeten ein imaginärer Freund in Form des mannsgroßen sprechenden Katers Crenshaw in sein prekäres Leben schleicht. Jacksons Familie ist auf dem sozialen Abstieg, der Vater musste krankheitsbedingt den Job aufgeben, der Mutter wird gekündigt, Jackson und seine Schwester haben ständig Hunger.

Weihnachten ist die große kurze Auszeit, in der wir uns aus dem alltäglichen Wahnsinn zurück-ziehen dürfen

Trotzdem geht es in der Familie herzlich zu, Humor ist ihnen eine Waffe gegen die Härte des Lebens. Die Kalifornierin Applegate bekommt es hin, die stimmige Story ohne simple Schuldzuweisungen und nerviges Sozialpathos fesselnd zu erzählen, und Hanno Koffler ist der perfekte Sprecher. Nonchalant balanciert er Jacksons Verletzlichkeit und die für sein Alter schon ziemlich erwachsene Weltsicht – ohne je dabei neunmalklug zu werden. „Ich wusste, dass er da war und das genügte. Manchmal braucht man nicht mehr von einem Freund.“ Auch eine schöne Weihnachtsbotschaft.

Eine ähnlich lehrreiche Botschaft kann man auch aus „OpOs Reise“ von der in Berlin lebenden polnischen Schriftstellerin Esther Kinsky heraushören. OpO ist der älteste einer Gruppe von Pilotwalen. Er merkt, dass seine Kräfte schwinden, und lässt sich von Artgenossen zum Sterben begleiten – dass ein Verband von Pilotwalen „Schule“ heißt, warum sie Pilotwale heißen und vieles Wissenswertes mehr über Wale und ihre immer schwieriger werdenden Lebensumstände ist fast gleichberechtigter Bestandteil in dieser herzenswarmen Geschichte.

Das Geschehen wird auf der CD von dem Saxofonisten Max Nagl, der den Walgesängen eine jazzige Note verpasst, immer passend kommentiert. Die Schauspielerin Dagmar Manzel spricht den Text mit sonorer, auf den Ernst des Themas zugeschnittener Stimme. Das ist ästhetisch ansprechend, lässt aber humorvolle Nuancen im Text verpuffen, die gerade für Kinder befreiend wirken, wenn sie mit dem Thema Verlust konfrontiert werden. Trotzdem wird Kindern klar, dass Abschied nehmen etwas Natürliches ist, und geliebte Wesen lebendig bleiben, solange man sich an sie erinnert.

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