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Die KrisenflüstererAber bitte schön sexy

Zu Hause bei FremdenVonMiguel Szymanski

Sonntagabend in Lissabon, die Menschen stehen Schlange vor Gate 7 für den Flug nach Berlin. Ich sitze abseits, nutze die letzten Minuten zum Schreiben. Unter den wartenden Menschen sind viele Portugiesen, ihr Abschiedsblick spricht von Krise, nicht von Tourismus.

Ich kenne den Blick. Vor zwei Wochen war ich mit meinen Kindern auf einem Hügel am Ufer des Tejo-Flusses in Lissabon, um den „Jahrhundertvollmond“ zu sehen. Meine Töchter sprachen wie immer Deutsch miteinander. Eine junge Portugiesin, die ebenfalls auf den Mondaufgang wartete, strich ihnen durch die Haare. In den letzten Jahren sei sie oft nach Deutschland gereist. Ihr Bruder und ihre Schwester, beide Mediziner, arbeiteten in Deutschland. Auch sie werde wohl auswandern müssen, sagte sie und schaute in die Ferne.

Lissabon ist derzeit international en vogue, eine Mischung aus Barcelona und Marrakesch, die Touristen, Stars, Lebenskünstler und Investoren anzieht. Der enorme touristische Boom in der Hauptstadt, angeschoben von einer internationalen Liga lissabonverliebter Journalisten, spiegelt aber nicht die Situation im Land, das von Jahr zu Jahr mehr verarmt. Mediziner oder Maurer – wer kann, wandert aus, weil die meisten keine Alternative sehen.

Fünfzehn Minuten später laufe ich durch den Gang des Flugzeugs und höre eine Stimme, die meinen Namen ruft. Ich schaue einen jungen Mann an und erkenne ihn nicht sofort, zögere. Babis, vollen Namens Charalampos Karpouchtsis, ein griechischer Politikwissenschaftler.

Wir sind uns nur zweimal begegnet, in München und in Augsburg, im März letzten Jahres. Beide Male ging es in den Veranstaltungen um die Krise in Südeuropa, ich habe aus meinem Buch „Ende der Fiesta“ gelesen, Babis kommentierte, jemand moderierte, das Publikum stellte Fragen.

Babis sagte, was ich über Portugal schrieb, ließe sich „praktisch eins zu eins“ auf die Situation in Griechenland übertragen. Er sagte damals in München auch, es sei eine Frage der Zeit, bis Tsipras sich dem System verkaufe, und wurde deswegen von den anwesenden Gutmenschen irritiert belächelt.

Während des Fluges unterhalten wir uns. Babis ist zum ersten Mal in Lissabon gewesen, er kam wegen eines Südeuropakrisenprojekts. Zufälle: er aus Lissabon kommend, ich in gleicher Sache unterwegs nach Berlin.

Da waren wir beide, die Krisenflüsterer. Wir flüstern so leise, dass uns kaum jemand zuhört. Nur die wenigen Menschen, die solche Veranstaltungen besuchen, die meistens schon wissen, was wir zu erzählen haben. Welchen Sinn ergibt das?

Wir sollten lieber Drehbücher für Krimis schreiben. Laute, reißerische Krimis über die Verbrechen an meinen Landsleuten. Deutschland liebt Krimis. Dann hätten wir die volle Aufmerksamkeit eines Millionenpublikums.

Nur: Geschichten über alte Menschen, die einsam auf dem Land sterben, weil junge Ärzte und Pfleger in Deutschland arbeiten müssen, um ihre Immobilienkredite letztlich an deutsche Banken zu zahlen, eignen sich nicht für spannende Abendunterhaltung.

Engagierte deutsche Fernsehproduzenten und Drehbuchautoren, die in Lissabon recherchierten, wollten einen Dokumentarfilm über die Krise machen. Aber kein Sender wollte eine „deprimierende Krisengeschichte“. Frisch und zukunftsweisend sollte es irgendwie sein, sagten die Sender. Tragische Realität sollte zu heiterer dokumentarischer Fiktion werden. „Sexy“ sollte es sein.

Sie irren sich. Sie manipulieren das Europabild. Die Krise in Südeuropa ist nicht bewältigt. Und sie ist keine deutsche Klimbimkomödie. Die Krise ist nicht „sexy“, und sie fängt gerade erst richtig an.

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