Der Spielzeugliebhaber Philipp Schünemann hat als Kind eher wenig Spielzeug gehabt. Das ist heute ganz anders. Sein Geschäft „Onkel Philipp’s Spielzeugwerkstatt“ quillt über von Puppen, Autos, Flug-zeugen & Co. Gebrauchtes Spielzeug gibt es hier auch. Und ihn hat die Sammelleidenschaft gepackt, er stellt DDR-Spielzeug aus: „Ein Zeichen gegen die Wegwerfgesellschaft“
Interview Susanne MessmerFotos Karsten Thielker
taz: Herr Schünemann, machen Sie hier jemals Inventur?
Philipp Schünemann: Inventur ist das schlimme Wort. Inventur können Sie machen, wenn Sie möchten. Herzlich willkommen.
Was bekomme ich dafür?
Ein gutes Gefühl, wenn Sie es geschafft haben.
Haben Sie mal gezählt, wie viele Spielsachen es hier gibt?
Es gibt nur grobe Schätzungen. Hunderttausende, auf jeden Fall.
Außerdem verwischen in diesem Laden sozusagen die Grenzen zwischen erster und zweiter Hand, richtig?
Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich nebenher auspreise? Es ist immer irre viel zu tun in dieser Vorweihnachtszeit. Ich habe verschiedenfarbige Preisschilder für neue und gebrauchte Spielwaren. Eigentlich war der Gedanke, dass ich … ach, die habe ich doch schon ausgepreist.
Was preisen Sie denn aus?
Äh, mal sehen. Bullis, Enten und Fiat 500. Also die Idee war, dass ich von jedem neuen Spielzeug ein ausgepacktes hier irgendwo zum Ausprobieren im Laden habe und wenn es einer kaufen will, drücke ich auf einen Knopf und im Lager fährt ein automatischer Gabelstapler los und bringt ein verpacktes raus. Sodass sich der Laden nie verändert. So die Idee. Aber das ist natürlich überhaupt nicht möglich, hier alles so im Programm zu halten.
Wie lange machen Sie denn den Laden schon?
Seit 1997, am 8. März 2017 feiern wir unseren 20. Am Weltfrauentag.
Wie sind Sie dazu gekommen?
Ich habe Umwelttechnik studiert und habe nach dem Studium – ah, hier ist die Schere! – einfach überhaupt keinen Bock gehabt, in einer großen, fürchterlichen Firma zu arbeiten als kleines Zahnrädchen, das sich vielleicht noch nicht einmal richtig dreht, weil es nämlich nur eine Alibifunktion hat. Als Umweltbeauftragter oder solche Scherze. Ich habe meine Diplomarbeit bei Siemens in der Abteilung für Giftbrühe gemacht.
Wo bitte?
In der Galvanotechnik. Damals habe ich mich aus lauter Verzweiflung zwischendurch sogar an der Schauspielschule beworben.
Da müssen Sie aber sehr verzweifelt gewesen sein.
War ich auch! Ich meine: Wenn ich eine Forschungseinrichtung mit einer tollen Aufgabe mit einem kleinen, coolen Team gefunden hätte, dann hätte ich das gern wahrgenommen. Aber so hätte ich mir das überhaupt nicht vorstellen können.
Was passierte dann?
Ich habe mich umgeschaut, ein paar kleine Jobs gemacht und mir dann irgendwann ein ferngesteuertes Auto gekauft. Und damit hatte ich so einen Spaß, habe so viel daran gebastelt und umgebaut und modifiziert, dass ich dachte: Das muss mein Job werden. Und das zusammen mit der Umwelttechnik hat für mich ergeben, dass ich einen Laden machen wollte, in dem alles möglich ist.
Wie ging es denn los mit Ihrem Laden?
Ich habe mein eigenes Recyclingunternehmen für Spielzeug gegründet. Verleih, Reparaturannahme, Ankauf von Spielsachen, kostenlose Annahme von Puzzles, Büchern und Kuscheltieren. Bevor man nicht weiß, wohin damit, bevor es auf dem Müll landet, kann man es auf jeden Fall bei mir abgeben – und manche wundern sich dann, was alles noch Euros bringt. Andere gehen wieder, wenn es zu wenig bringt, das gibt es natürlich auch.
Und reparieren Sie noch immer viel?
Ja, klar. Entweder die Sachen, bei denen es sich lohnt, die im heilen Zustand wieder zu verkaufen. Oder manchmal bringen mir auch Leute Sachen zur Reparatur. Das sind Puppen, bei denen die Arme locker sind. Oder auch ferngesteuerte Autos, wo die Batterien alle sind. Dann mache ich neue Batterien rein und es ist wieder heile.
Wie bitte?
Na ja, wenn was an der Elektrik kaputt ist, dann kann ich meistens nichts machen.
Und wenn sich wie so oft die Gummireifen auflösen?
Auch nicht, ich habe nicht für alles ein Ersatzteillager.
Also können Sie gar nicht so viel reparieren?
Doch! Es gibt ja auch gutes Spielzeug. Ich will ein Zeichen gegen die Wegwerfgesellschaft setzen. Aber natürlich kann ich mich nicht ganz davon befreien. Also habe ich auch Wegwerfspielsachen, die früher oder später im Müll landen.
Es gibt auch Spielzeugläden hier ums Eck, die verkaufen ausschließlich Holzspielzeug, hochwertige Sachen.
Ja, so sehr wollte ich mich nicht spezialisieren. Ich wollte schon die wilde Mischung.
Die Kinder mögen ja auch nicht alles aus Holz.
Der Mensch: Philipp Schünemann, Jahrgang 1969, aufgewachsen in einem kleinen Dorf im Harz. Zivildienst als Rettungssanitäter, ab 1992 in Berlin. Praktikum am Schraubstock, dann Verfahrens- und Umwelttechnik an der Technischen Fachhochschule. Seit 1997 betreibt Schünemann seinen Spielzeugladen.
Der Laden: „Onkel Philipp‘s Spielzeugwerkstatt“ befindet sich in der Choriner Straße 35 in Prenzlauer Berg. Öffnungszeiten: dienstags, mittwochs und freitags 9.30–18.30 Uhr, donnerstags 11–20 Uhr und samstags 11–16 Uhr.
Das Museum: Das Museum für DDR-Spielzeug kostet 1 Euro Eintritt, man muss durch eine kleine Luke im Laden über eine schmale Wendeltreppe in den Keller und kann per Fernbedienung hinter Glas ein Karussell und das Licht in einem Puppenhaus anknipsen. Etwa 5.000 Objekte – Sandmann, Schnatterinchen und Pittiplatsch sind selbstverständlich auch dabei. (sum)
Eben. Da muss es auch mal leuchten, blinken und Geräusche machen. Schauen Sie mal hier, der hat ein eingebautes Martinshorn. (Er schaltet es an, kann es aber nicht wieder ausschalten.) Mist, wie geht das wieder aus?
Geht nie mehr aus.
Kann sein.
Eine Kundin betritt den Laden. Sie sagt: „Philipp, ich hätte da eine Lego-Friends-Frage. Du hattest noch so eine kleine Packung mit Walt Disney oder so. Ist nicht mehr da. Kriegst du da noch was rein?“ Schünemann antwortet: „Also bei Lego Friends zögere ich immer mit den Bestellungen, weil das Zeug gern mal liegen bleibt. Aber ich glaube, ein paar Tage vor Weihnachten kommt noch was rein.“ Die Kundin: „Okay, dann überlege ich noch mal. Bis bald!“
Gibt es eigentlich irgendetwas bei Ihnen, was es nicht gibt?
Ja. Gameboys und Playstations.
Barbies?
Habe ich. Nur diese sperrigen Schlösser von Barbie, die sind mir ein Gräuel.
Was sind denn das für riesige Flugzeuge, die da unter der Decke hängen?
Modellflugzeuge sind das. Die kann man alle fliegen. Teilweise auch mit Motoren. Der da hat zum Beispiel einen Viertaktmotor, zwanzig Kubik, zwei PS, irre geiler Sound. Wenn man das kann, macht das unglaublich Spaß.
Können Sie es?
Ja. Aber es kann halt auch sehr schnell sehr frustrierend enden. Man bastelt wochenlang und kriegt ihn nicht mal gestartet. Oder er macht einen Purzelbaum, stürzt ab und ist kaputt. Ich habe zu Hause noch einen Riesenhaufen – und immer, wenn hier ein Platz frei wird, hänge ich wieder einen hin. Da hinten ist zum Beispiel wieder ein Parkplatz frei geworden.
Wo?
Da hinten. Sieht man gar nicht, oder?
Machen Sie manchmal Betriebsspionage und schauen sich andere Spielzeugläden im Kiez an?
Würde ich total gerne, schaffe ich aber nie.
Sie wissen trotzdem, wie es dort oft aussieht, oder?
Sie meinen, die anderen sind schicker?
Ja.
Es gibt sicher Leute, die hier nicht reinkommen, weil es ihnen zu schmuddelig ist. Und weil sie nichts Gebrauchtes wollen und gar nicht checken, dass es auch Neues gibt. Aber es wird ja niemand gezwungen.
Sah es bei Ihnen im Kinderzimmer so aus wie hier?
Sie scherzen! Nein, ich hatte früher nicht besonders viel Spielzeug. Also, ich will auch nicht sagen, dass ich Mangel gelitten habe. Im Gegenteil, mir ging es gut. Ich glaube nicht, dass ich hier irgendwelche Kindheitstrauma kompensieren muss. Es liegt eher daran, dass die Leute es immer wieder schaffen, nach etwas zu fragen, was ich nicht dahabe.
Was halten Sie denn von Leuten, die finden, Kinder brauchen gar kein Spielzeug?
Ich finde, man soll den Kindern ordentlich Spielzeug geben, es ihnen aber auch nicht verbieten, im Dreck oder mit Steinen zu spielen.
Warum haben Sie sich eigentlich für Ihren Laden den Prenzlauer Berg ausgesucht?
Ich wollte unbedingt in den Prenzlauer Berg. Der Klang des Namens Prenzlauer Berg hatte für mich so eine gewisse Magie. Die Intellektuellen, Künstler, die denkenden Menschen in Prenzlauer Berg, die es ja schon zu DDR-Zeiten gab: Diesem Ambiente wollte ich unbedingt nahe sein. Tja, und dann habe ich in dieser kleinen Seitenstraße hier, die damals völlig zerfallen war, einen Laden gefunden. Man konnte überhaupt noch nicht absehen, wie sich diese Gegend mal entwickelt.
Und wie lief es am Anfang?
Damals hatte ich nur den kleinen Laden, wo wir jetzt gerade sitzen. Und hinten, wo heute die Küche ist, ging eine Wendeltreppe zum Hochbett hoch. Leben auf 10 und Laden auf 25 Quadratmeter.
Da hinten geht es aber doch zum anderen Teil Ihres Geschäfts …
Nach fünf Jahren hatte ich das Glück, Geld von meiner Oma zu erben, sodass ich den Laden im Nebenhaus kaufen konnte. Wir haben einen Durchbruch zwischen den beiden Läden gemacht.
Und das war auch Ihr Durchbruch mit dem Laden?
Das war wirklich unglaublich. Da haben wir zwei Brandmauern durchbrochen, denn die Läden befinden sich ja in zwei verschiedenen Gebäuden, in Haus Nummer 35 und in Haus Nummer 36. Dafür brauchte ich also zwei Genehmigungen. Und eine Statik, die mir ein Architekt aus dem Haus freundlicher Weise einfach so gemacht hat. Und plötzlich konnte man vom einen Laden in den anderen gehen. Darüber freue mich mich manchmal heute noch.
So einen Laden zu besitzen: Das ist natürlich eine tolle Sicherheit in Zeiten der steigenden Mieten, oder?
Klar. Selbst wenn ich hier rausfliege, kann ich da weitermachen. Ich muss jetzt aber mal ins Lager und die Spielzeugautos wegräumen. Kommen Sie mit?
Natürlich.
(Schünemann öffnet eine Luke unter den Handpuppen und steigt grinsend eine Treppe runter.) Manche, die hier abstürzen, finde ich erst Jahre später wieder.
Konnten Sie von Anfang an von dem Laden leben?
In den ersten drei Jahren war das schon ein Kampf. Ich habe ja nie einen Kredit aufgenommen oder eine Förderung in Anspruch genommen, um den Laden auszustatten – so wie manche Existenzgründer das machen. Der Laden war praktisch leer. Ich habe mir ein paar Sachen über die „Verschenke“-Rubrik von der Zweiten Hand geholt. Da stand dann im ersten Regal nur ein Puppenwagen und im zweiten lagen ein paar Handpuppen. Tja, und dann habe ich nach und nach angefangen, auch neue Sachen ins Programm zu nehmen, Bestellungen aufzunehmen. Aber immer nur so viel, wie ich Geld erwirtschaftet hatte. Einmal habe ich auch mein Motorrad verkauft, ein anderes Mal hat mir mein Vater geholfen.
Wie fanden das Ihre Eltern, dass Sie einen Spielzeugladen betreiben wollten?
Mein Vater war Richter, meine Mutter Lehrerin, meine Schwester ist Ärztin und mein Bruder auch Jurist. Das war erst mal schon ein Schock, dass ich nach dem Studium nicht bei Siemens geblieben bin. Da haben sie schon drei Jahre gebraucht, um das zu verdauen und zu merken, wie ernst es mir damit ist. Dass es eine Sache ist, die ich mit Herz und Seele betreibe.
Wie kam es eigentlich zum Museum für DDR-Spielzeug, das Sie im Keller betreiben?
Abgesehen von wenigen Dingen, die ich mal vom Flohmarkt mitgebracht habe, stammt das alles von Kunden, die mir das vorbeigebracht haben. So kamen die kuriosesten Dinge hier an. Und ziemlich bald, schon im ersten Jahr, habe ich beschlossen, dass ich das nicht verscherbeln möchte. Die Leute hatten damals noch kein Verständnis für die Preise, die ich da draufgeschrieben habe. Es gab halt Zeiten, da haben die die Sachen verfeuert. Für mich waren das aber immer schon ganz besondere Sachen.
Eine zweite Kundin kommt rein: „Ich hab da mal eine Spezialfrage. Ich suche Kupplungen für alte Playmobilzüge. Hast du die im Kopf?“ Schünemann: „Ich weiß, was du meinst. Ich habe selber massenhaft Anhänger, wo die Dinger fehlen.“ Die Kundin: „Tatsächlich? Ich hab gedacht, wenn man die irgendwo noch finden kann, dann hier.“ Schünemann: „Ich schicke ungern Leute ins Internet, aber in diesem Fall muss ich das wohl tun.“
Leider ist noch früh am Tag, die Kinder sind noch in der Schule und im Kindergarten. Daher muss ich Sie fragen: Wie reagieren denn Kinder auf Ihren Laden?
Die meisten, die den Laden zum ersten Mal sehen, sind total begeistert und rennen von einer Sache zur anderen. Die kleinen legen sofort los und spielen.
Und die Eltern?
Es gibt solche und solche. Die unentspannten Eltern machen ihrem Kind oft alles madig, noch bevor es sich irgendwas aussuchen kann: Nein, das brauchst du nicht! Nein, das haben wir schon! Nein, dafür bist du noch zu klein! Zuerst fragt man sich, warum sie überhaupt reingekommen sind, und dann fragt man sich, warum sie sich dann doch vom Geschrei ihres verzweifelten Kindes freikaufen. Es gibt aber auch andere.
Wie machen die es?
Die sagen von Anfang an, dass es nichts gibt. Dass sich das Kind aber ruhig in Ruhe umsehen und was wünschen darf. Das verstehen die meisten Kinder ab einem bestimmten Alter sehr gut. Dann gehen die auf Entdeckertour, bekommen oft am Ende trotzdem eine Kleinigkeit, und alle sind total happy.
Wie empfinden Sie die Entwicklung hier im Bezirk?
Gentrifizierung ist schlimm für die Alteingesessenen, die ausziehen müssen und hier nichts Bezahlbares mehr finden.
Und was bedeutet die Gentrifizierung für Sie?
Der Babyboom in Prenzlauer Berg ist ja bekannt. Ich habe eine Kinderärztin gegenüber, einen Kinderbuchladen, nebenan gibt es Kinderklamotten, eine Hebammenpraxis und zwei Kindergärten. Fehlt eigentlich nur noch der Kinderfriseur.
Sie können also nicht klagen?
Für mich als Ladenbesitzer ist es natürlich gut, dass immer mehr Leute mit Geld herkommen. Und trotzdem wollen die Leute oft Secondhand. Manche suchen sogar ausschließlich Secondhand. Aus ideellen, nicht aus finanziellen Gründen. Ich bin wohl ein Glückspilz.
Haben Sie keine Angst, dass die Kinder in Prenzlauer Berg irgendwann zu groß werden für Spielzeug?
Es ist tatsächlich ein Problem, dass ich mit meinen Stammkunden nicht so richtig mitwachse. Ab 10, 12 Jahren finden die Kinder hier kaum mehr was. Andererseits hält der Babyboom ja an. Ich bin optimistisch.
Also Spielzeug bis zur Rente?
Ja. Nur einmal alles raus, Dielen abschleifen, Wände streichen und dann alles wieder rein. Darauf hätte ich schon mal Lust.
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