: Vom Bolzplatz-Fame zum Weltruhm
Postmigrationstheater „Peng! Peng! Boateng!“ erzählt die Geschichte der ungleichen Boateng-Brüder, die vom Weddinger „Fußballkäfig“ die Stadien der Welt eroberten
von René Hamann
Kommt man aus der Volksbühne und biegt hinter dem Babylon links in die Hirtenstraße, dann in die Karl-Liebknecht-Straße auf das bald alte Gebäude der Berliner Zeitung zu, sieht man ihn schon. Da hängt er nämlich mächtig und prächtig als Werbeplakat an der Wand. Und wofür macht Jérôme Boateng diesmal Werbung? Wieder für seine eigene Brillenkollektion? Für Sportartikel, einen Fernsehsender oder einen Autoverleih? Nein, er wirbt für ein „wireless headphone“, einen coolen, drahtlosen Kopfhörer also, wie ihn die halbe Stadt mittlerweile durch die U-Bahn trägt. Und der Slogan dazu lautet: „made for the biggest stage“.
Jérôme Boateng ist jetzt 28 und tatsächlich ein großer Player. Er ist Werbeträger, Brillenträger, Leitfigur, erfüllt als solcher Vorbildfunktion für die Jugend, nicht nur als Fußball-Weltmeister, sondern als echter Berliner Junge aus dem Kiez, aus dem er sich mit viel Fleiß und Durchsetzungsvermögen emporgekämpft hat. In seinem Fall war das der Wedding, wobei das gar nicht wirklich stimmt, denn aufgewachsen ist Jérôme als Kind einer alleinerziehenden Mutter in Wilmersdorf. Nur gekickt hat er eben da, wo auch Hertha BSC ursprünglich beheimatet war: im „roten“ Wedding.
Er hat zwei Halbbrüder, wovon der eine die parallel laufende Fußballkarriere gemacht hat, nur dass Kevin-Prince eine andere Mutter hat und irgendwie immer mal wieder – das war schon damals so – auf Abwege geraten ist, etwa wegen eines Fouls an Michael Ballack, das ihn für die WM 2010 disqualifizierte. Und dann gibt es noch den anderen, den dritten Bruder. Der heißt George und hat es auch mit Fußball probiert. Im Gegensatz zu seinen jüngeren Brüdern hat er es aber nicht geschafft. Statt in ausverkauften Stadien nach Bällen zu jagen, wirft er heute Hunden Stöcke zu. Er ist Hundezüchter und Musiker, aber nach eigenen Angaben ein glücklicher Mann.
Die Geschichte der drei Brüder ist nun lange schon keine unbekannte mehr – diese typisch deutsche Erfolgs- wie Misserfolgsgeschichte der drei Brüder aus dem Kiez ist bereits mehrfach erzählt worden. Es gab das Buch „Die Brüder Boateng“, geschrieben von Michael Horeni. Und es gab zahlreiche Fernsehdokus – zuletzt „Jérôme Boateng: Fußball, Fashion, Fan-Idol“, der sich hauptsächlich um Jérôme dreht. Dem Wunschnachbar Gaulands, dem Fußballer des Jahres.
Jérôme ist ein Star. Bei den Weltmeisterschaften 2010 und 2014 standen sich die Brüder gleich zweimal gegenüber, Jérôme spielte für Deutschland, Kevin-Prince für Ghana, dem Geburtsland ihres Vaters. Und auch hier hatte Jérôme das bessere Ende für sich. 1:0 und 2:2 endeten die beiden Spiele, 2014 wurde Jérôme mit Deutschland Weltmeister. Begonnen haben die beiden ihre Karrieren natürlich bei der Hertha, von der aus sie die Welt eroberten; eine Rückkehr nach Berlin ist für beide derzeit aber unwahrscheinlich. Jérôme spielt beim schlimmsten, aber erfolgreichsten Klub Deutschlands, dem FC Bayern München, und gilt mit als bester Innenverteidiger der Welt, der auch vor Bayern-Vorstand Karl-Heinz Rummenigge keine Angst hat (über dessen Kritik an seinem Showman-Dasein könne er nur lachen, sagte Boateng neulich in einem Interview).
Sein Bruder Kevin-Prince, anderthalb Jahre älter und von einer anderen Mutter, tingelt seit einer Weile durch die Weltgeschichte. In der spanischen Liga, beim CD Las Palmas auf den Kanaren, hat er, so scheint es, schließlich wieder Fuß gefasst. „Made for the biggest cage“: Auch er galt eine Zeit lang als Welttalent, musste sich aber zu oft mit Verletzungen und einem schlechten Ruf herumschlagen, den er nicht zuletzt seiner Berliner Schnauze zu verdanken hat. Weder beim Berlusconi-Club AC Mailand noch bei der Bundesliga-Diva Schalke 04 konnte er sich dauerhaft behaupten.
Gespannt darf man sein, wie Regisseurin Nicole Oder dieses Drama auf die vergleichsweise kleine Probebühne des „Heimathafen Neukölln“ – am „Pier 9“ – zu bringen versteht. Bälle werden reichlich fliegen, das ist jedenfalls anzunehmen. Die Geschichte der Boatengs erzählt aber auch viel abseits des Platzes oder, besser, des Gitterkäfigs an der Panke, in dem die drei das Kicken gelernt haben.
Sie erzählt von Migration, von Patchworkfamilien, von Integration in der Mittelschicht und der Arbeiterklasse, von Großstadt und Aufstieg, Umweg und Niederlage, von Vätern, Förderern, von Fouls und den Medien und dem ganz großen Ruhm und der guten Bescheidenheit. Und von Geld und Karriereknicks, von schlechten Ehen und echten Krisen. „Der Bolzplatz ist der Ort, an dem ihr gemeinsamer Traum möglich scheint, der Ausbruch aus der Realität zum Greifen nah. Das Stück erzählt den unwahrscheinlichen Weg von einem Fußballkäfig im Wedding hin zu den größten Stadien der Welt“, heißt es in der Ankündigung.
„Peng! Peng! Boateng!“ kommt mutmaßlich als schön knalliges Postmigrationstheater daher, wie es beim „Heimathafen Neukölln“ auch gute Tradition ist. Tamer Arslan spielt mit, auch Nicole Oder selbst wird zu sehen sein. Und vielleicht wird ja sogar die Geschichte von Avelina Boateng, der noch viel zu unbekannten Schwester der drei, die schon in Tanzshows im Privatfernsehen auftrat, mit eingeflochten. Das wäre jedenfalls ein ziemlicher Treffer.
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