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Pokern um die Kanzlerfrage

Heute wollen CDU und SPD ausloten, ob sie sich auf eine gemeinsame Regierung einigen können

VON HANNES KOCH UND LUKAS WALLRAFF

Großer Koalitionspoker, dritte Runde: Heute Nachmittag wollen sich Union und SPD wieder zu einem Sondierungsgespräch treffen, um die Aussichten auf eine Regierungsbildung auszuloten. Doch gestern war selbst die Tagesordnung für das Gespräch zwischen beiden Seiten strittig.

„Es geht um die Sache“, sagte Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul, die zur SPD-Delegation gehört, der taz, „zum Beispiel darum, die Angriffe auf die Arbeitnehmerrechte abzuwehren, die Steuerfreiheit für Schichtzulagen zu erhalten und die Entscheidung zum Atomausstieg und zur Förderung erneuerbarer Energien weiter zu verankern.“ Die Union dagegen bestand darauf, vor allen inhaltlichen Verhandlungen zunächst die wichtigste Personalfrage zu klären. Und zwar in ihrem Sinne.

Eine große Koalition werde es nur mit einer Kanzlerin Angela Merkel geben – oder gar nicht. Auf diese Linie haben sich die CDU-Präsidiumsmitglieder bei einer Telefonschaltkonferenz am Montagabend eingeschworen. Dabei sei Merkel unisono in ihrem Führungsanspruch unterstützt und aufgefordert worden, hart zu bleiben, hieß es aus ihrer Umgebung. Und erfreut konnte man dort feststellen: Auch gestern brach kein nennenswerter Unionspolitiker aus den geschlossenen Reihen aus. „Es gibt keine Verhandlungen in der Sache, wenn die SPD nicht akzeptiert, dass unsere Kandidatin Kanzlerin wird“, fasste CDU-Generalsekretär Volker Kauder die Haltung der Union zusammen. Spätestens seit dem CDU-Erfolg bei der Nachwahl in Dresden am Sonntag fühlen sich Merkel und ihre Leute am längeren Hebel in der machtpolitischen Auseinandersetzung mit der SPD. Schließlich hat sich der Vorsprung der Union bei der Sitzverteilung im Bundestag auf vier Abgeordnete vergrößert. Merkels Helfer sind sich sicher: Gegen das Recht des Stärkeren, das sich aus der Mathematik ergibt, kommt die SPD nicht an. Zufrieden stellen sie fest, dass auch jene Zeitungen, die sie nicht für unionsnah halten, Merkels Führungsanspruch anerkennen. „226 > 222“ – diese kurze Leitartikel-Überschrift der Berliner Zeitung hat sie begeistert und bestärkt. „Jämmerlich“ seien dagegen die Versuche von SPD-Chef Franz Müntefering, CDU und CSU getrennt zu rechnen, die SPD „stärkste Partei“ zu nennen und an Gerhard Schröders Führungsrolle festzuhalten.

CDU-Fraktionsvize Wolfgang Schäuble nannte die Lösung der K-Frage „eine Frage von demokratischen Grundregeln“ und erhöhte ebenfalls den Druck: „Wenn wir nicht einmal darauf vertrauen können, dass die SPD die demokratischen Grundregeln anerkennt, dann ist eine Vertrauensgrundlage für eine Koalition nicht gegeben.“

Bei allem Streit um die K-Frage will die Union eine Eskalation, gar einen Abbruch der Gespräche vermeiden. Die Forderung an die SPD, Merkel als Kanzlerin zu akzeptieren, sei „kein Ultimatum“, also keine Forderung, die heute oder an einem bestimmten Tag erfüllt werden müsse, hieß es beschwichtigend. Das Ja der SPD zu Merkel bleibe aber „auf jeden Fall Vorbedingung für Koalitionsverhandlungen“.

Die SPD-Sondiererin Wieczorek-Zeul gab sich davon gestern betont unbeeindruckt: „Die SPD will alle Fragen – inhaltliche wie personelle – in Verhandlungen klären.“ Wenn CDU-Generalsekretär Kauder die Klärung der Personalfrage zur Vorbedingung erkläre, sei das „völlig unakzeptabel“, sagte Wieczorek-Zeul der taz. „Das ist nicht die gleiche Augenhöhe, die wir wollen.“

Für den Fall, dass man heute nicht weiter kommen sollte, wird aus der SPD eine „semantische Lösung“ vorgeschlagen. Statt Koalitionsverhandlungen könnte es „Vorverhandlungen“ geben.

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