Prozessauftakt gegen Raser: Mord mit dem Motorrad?
Ein notorischer Raser überfuhr auf der Flucht von einem anderen Unfall einen 75-jährigen Mann und verletzte ihn tödlich. Angeklagt ist er wegen Mordes.
T. bleibt verletzt liegen. Laut Verteidigung ist sein rechter Arm seither gelähmt. Sein Kawasaki-Motorrad, Modell Ninja ZX-10 R, hat 200 PS und kann fast 300 Stundenkilometer schnell fahren. T. hatte für diese Klasse nicht einmal einen Führerschein.
Vor Gericht sagt er: „Ich bereue zutiefst. Ich würde alles rückgängig machen, wenn ich könnte.“ T. sitzt in Untersuchungshaft und hat überlegt, einen Entschuldigungsbrief an die Hinterbliebenen zu schicken. Eine Psychologin im Gefängnis riet ihm, sich in die Lage der Angehörigen zu versetzen. T. kommt zu dem Schluss, dass er als Opfer keinen Brief vom Täter bekommen wolle, sondern eine persönliche Entschuldigung. „Das alles tut mir leid. Ich will mich meiner Verantwortung stellen“, sagt er und schaut die Angehörigen des Opfers an. Sie sind Nebenkläger.
Staatsanwalt sieht „niedere Beweggründe“
Es gibt für den Unterschied eine Faustregel: Hat der Angeklagte bei der Tat gedacht „es wird schon nichts passieren“, ist es Fahrlässigkeit. Dachte er „und wenn schon“, kann man von Vorsatz ausgehen.
Auf fahrlässige Tötung steht eine Geld- oder Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren, für Mord gibt es lebenslänglich.
Für eine Mordanklage braucht es immer einen Vorsatz. Für die Staatsanwaltschaft liegt im Fall von Alpi T. dieser Vorsatz in dessen niederen Beweggründen: Der Angeklagte habe mit seiner riskanten Fahrweise Geld verdient und versucht, mit seiner Fahrerflucht eine Straftat zu decken.
Die Verteidigung argumentiert, es gebe keinen Vorsatz, weil der Angeklagte im „jugendlichen Leichtsinn“ gehofft habe, „dass alles gut gehen würde“.
Normalerweise lautet die Anklage in solchen Fällen „fahrlässige Tötung“, aber dieses Verfahren ist besonders. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft ist die Kreuzung kein Unfallort, sondern ein Tatort. Es ist ein Mordprozess, weil niedere Beweggründe für die Tat vorlägen. Er sei zu schnell gefahren, um eine andere Straftat zu decken und habe den „Tod anderer billigend in Kauf genommen“, sagt Staatsanwalt Björn Krebs. Der Angeklagte wollte mit der Raserei sein „Geltungsbedürfnis“ befriedigen, für einen „Kick“ und für „Adrenalin“. Und das ist nicht alles: Der mutmaßliche Mörder soll mit seiner riskanten Fahrweise Geld verdient haben.
T. war Youtuber. Er hat seine gemeingefährlichen Fahrten mit einer Helmkamera und einem Mikro aufgenommen und dann ins Internet hochgeladen. In seinen Videos fährt er illegale Rennen, lässt den Motor seiner Kawasaki aufheulen, um damit Sportwagen zu spontanen Rennen herauszufordern – „auf der Suche nach Frischfleisch“, wie er sagt. Während der Rennen beschleunigt er auf über 170 Stundenkilometer, mitten in Bremen. 83.000 Abonnenten hat sein Kanal „Alpi fährt“. Youtube zahlt dank Werbung.
Auch die Todesfahrt am 17. Juni 2016 soll er gefilmt haben. Laut Anklage begeht er mit erhöhter Geschwindigkeit mehrere riskante Überholmanöver. Bei einem davon, um 21.30 Uhr, kollidiert sein Motorrad mit einem überholten Auto. Der leichte Zusammenstoß beschädigt die Lichtanlage des Wagens. Alpi T. hält nicht an. Er rast mit über 100 Stundenkilometern davon – Fahrerflucht. Kurz darauf überfährt er Arno S.
An dem Ort steht heute ein Holzkreuz und ein Foto des Opfers. Die Wirtin der „Überseeklause“ hat es dort aufgestellt. Arno S. war dort Stammgast und sehr beliebt, sagt die Wirtin. Gerne habe er einen ausgegeben, vor allem Leuten mit wenig Geld. Am besagten Abend soll er lediglich ein Bier getrunken haben, keineswegs sei er betrunken gewesen. Sie sagt: „Er war ein sehr lieber Mensch.“
Er nannte einen Fußgänger „behinderter Hurensohn“
In einem seiner Videos überfährt T. mit über 100 Sachen beinahe einen Fußgänger, der die Straße überqueren will. Das Mikrofon an seiner Helmkamera zeichnet jedes seiner Worte auf, als er an der nächsten Kreuzung stehen bleibt: „Was für ein behinderter Hurensohn! Er bleibt stehen wie ein Reh! Er wäre gestorben. Ich hätte ihn in seine Einzelteile zerlegt wie bei Lego.“
Außerdem sagt er: „Der Speed ist natürlich mein Verschulden – ganz klar: So schnell darf man da nicht fahren.“ Und lacht. Anschließend gibt er Tipps, wie man am Besten unvorhersehbaren Hindernissen bei hoher Geschwindigkeit ausweicht: „Vorbeigucken und vorbeifahren, ganz einfach.“
Bis Februar sind noch sieben Verhandlungstage angesetzt. Am Donnerstag werden die ersten Zeugen gehört.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Wirtschaft aber für junge Menschen
Das Problem mit den Boomer-Ökonomen
Wahlverhalten junger Menschen
Früher wählte die Jugend links
Ex-Chefinnen der Grünen Jugend
„Wir dachten, wir könnten zu gesellschaftlichem Druck beitragen“
Waffenlieferungen an Israel
Es geht nicht ohne und nicht mit
Krieg im Nahen Osten
Das Personal wächst nach
Wagenknechts Koalitionsspiele
Tritt Brandenburg jetzt aus der Nato aus?