Ende der Demokratie in der Türkei: Noch mehr Macht für Erdoğan
Eine neue Verfassung soll dem Präsidenten künftig das Recht geben, per Dekret zu regieren. Der Posten des Regierungschefs soll abgeschafft werden.
Seit seiner Wahl zum Präsidenten im Sommer 2014 versucht Erdoğan per Verfassungsänderung durchzusetzen, dass künftig alle Macht beim Präsidenten liegt und das Amt des Regierungschefs abgeschafft wird.
Bislang haben sich die Oppositionsparteien im Parlament geweigert, eine solche Verfassungsänderung zu unterstützen, sodass der AKP die Mehrheit dafür fehlte. Das hat sich jetzt geändert. Die rechtsnationalistische MHP unter ihrem Parteichef Devlet Bahçeli hat nun zugestimmt, eine Verfassungsänderung mitzutragen und im Parlament dafür zu sorgen, dass es eine ausreichende Mehrheit für eine Volksabstimmung geben wird.
Die neue Verfassung soll die Macht weitgehend auf den Präsidenten und wahrscheinlich zwei Vizepräsidenten konzentrieren. Erdoğan wird dann das Kabinett ernennen und die bisherigen Funktionen von Präsident und Ministerpräsident in einer Person vereinen. Er könnte auch Gesetze per Dekret erlassen, sodass der jetzige Ausnahmezustand quasi zum Normalzustand würde.
Ausnahme wird zum Normalzustand
Umstritten war bislang, ob der künftige Präsident Mitglied einer Partei und somit auch der Parteichef sein darf oder nicht. Bislang schreibt die Verfassung dem Staatschef parteipolitische Neutralität vor. Erdoğan will das ändern, um weiterhin als Parteichef auch die absolute Kontrolle über die Regierungspartei zu haben. Das war zwischen AKP und MHP umstritten, scheint aber im Sinne Erdoğans gelöst zu sein. Strittig ist, ob die Verfassung ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten beinhalten soll. Die MHP ist dafür, wenn der Präsident das Recht hat, das Parlament aufzulösen.
Ministerpräsident Binali Yıldırım, der die Abschaffung seines Amts vorantreibt, hat angekündigt, dass die Verfassungsreform im Januar im Parlament beschlossen werden soll, gefolgt von einer Volksabstimmung im Frühsommer. Wird die Verfassungsreform angenommen, soll Erdoğan die neuen Rechte zunächst übergangsweise zugestanden bekommen, bis er sich 2019 der Wiederwahl als Präsident stellt. Er könnte sich dann ein drittes Mal wählen lassen und bis maximal 2029 Präsident der Türkei bleiben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen