piwik no script img

Zukunft als eine Angst

taz.meinland Im sächsischen Schleife warten die Anwohner auf ihre Umsiedlung. Und dann?

Halt auch nicht die Megaperspektive: tanzen im Dreck Foto: Christian Mang

SCHLEIFEtaz| Ihre Adresse allein steht für viel: Friedensstraße 68, das ist der Ort, an dem Jadwiga Mahlings Kirchenhaus steht. Ein bisschen kitschig fast, so als habe ihr jemand diese programmatische Adresse in das Malbuch einer ländlichen Kulisse gepinselt. Dabei ist diese Adresse vielleicht ausgerechnet eine der entscheidenden, wenn es um die Zukunft in Deutschland geht und die Frage: Wohin wird sich diese Gesellschaft entwickeln?

Die Pastorin Jadwiga Mahling bewohnt hier, in der ostsächsischen Kirchengemeinde Schleife, mit ihrer Familie ein hübsch renoviertes Pfarrhaus mit großem Hof; und sie führt die Gottesdienste in einer alten Wehrkirche, die, fein restauriert, viel pittoresker kaum dastehen könnte. All das – ihr Pfarrhaus, die Kirche, die modern ausgestatteten Feuerwehrhäuser in den umliegenden Dörfern – gehört zum Erbe einer traditionsreichen Geschichte in der Lausitz: gefördert von dem Geld, das die Braunkohle brachte. Doch etwas in Schleife stimmt nicht. Eigentlich stimmt in Schleife meistens etwas nicht.

Derzeit ist es dies: 1.700 Anwohner wissen nicht, ob sie bald wie versprochen ihre Häuser verlassen müssen – oder ob sie nicht doch bleiben dürfen; mit all den Entsagungen und Versprechungen, die das dann für sie bedeutet. Denn kurz hinter Schleife liegt ein großer Tagebau namens Nochten. Und wenn sich bald, wie einst beschlossen, dieser Tagebau ausweiten könnte in Richtung Schleife, dann würde das natürlich bedeuten: dass in manchen Hausfassaden die Risse wieder tiefer werden, von den permanenten Erschütterungen, die die Schaufelradbagger ins Erdreich stoßen. Und das ganze Ortsteile, wie Trebendorf, weggebaggert würden: Einige treibt diese Aussicht in die Verzweiflung.

Für andere Anwohner ist die Umsiedlung eine Versprechung: Sie wissen, welch satte Entschädigungen sie für die Umsiedlung erhalten. Sie träumen von neuen, gut gedämmten Häusern. Und sie wissen auch schon, wo ihre neuen Einfamilienhäuser stehen werden. Die Verträge sind unterschriftsreif, doch Vorsicht: Ob es jemals zur Umsiedlung kommt, steht, wieder einmal, völlig in den Sternen.

Das hat mit so vielem zu tun: Mit den Plänen des neuen Betreibers, mit denen der Landesregierung – vor allem aber mit den Zielen der Bundesregierung. Wenn diese ihre Klimaziele wirklich erreichen will, soll dann wirklich noch der neue Tagebauabschnitt Nochten II eröffnet werden? In Schleife und vielen umliegenden Gemeinden ist das eine existenzielle Frage für eigentlich jede und jeden: die Gemeinden entzweit, ihre AnwohnerInnen verunsichert.

An eine Kirche inmitten dieser Verunsicherung ließ sich im November 2014 Jadwiga Mahling versetzen. Seitdem kämpft die evangelische Pastorin mit sorbischen Wurzeln in zwei Sprachen für eine Verständigung. Was soll eigentlich kommen, wenn einmal die Umsiedlungen vorbei sind? Was passiert, wenn die letzte Kohle gefördert wurde? Und welche Zukunftsaussichten bieten sich einer Region, die jahrezehntelang auf eines setzte, das für Stolz und Arbeit sorgt: Kohle. Martin Kaul

Umkämpft, bedroht, zerrissen: In der Lausitz wird die Energiewende konkret. Gibt es ein Leben nach der Kohle?

Das ist es ja: Was kommen wird, kann ihnen niemand sagen

In der Reihe taz.meinland diskutiert die taz diese und andere Fragen heute in Schleife: 18.30 Uhr, Evangelische Kirche Schleife, Friedensstraße 68, 02959 Schleife. Eintritt frei. Mehr Infos:

www.taz.de/meinland

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen