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Ist eine Bratwurst weihnachtlicher als Pizza?

Petition der Woche Ein hart umkämpftes Pflaster: Seit diesem Jahr entscheidet ein Punktesystem darüber, welcher Stand beim Karlsruher Christkindlesmarkt einen Platz bekommt. Einige Traditionsgeschäfte fehlen deshalb. Eine Karlsruherin will das jetzt ändern

Der Konflikt: Traditionsgeschäfte haben keinen Platz mehr auf dem Karlsruher Christkindlesmarkt, weil sie nicht genug Punkte bekommen.

Das wollen die Initiatoren der Petition: Das Punktesystem abschaffen.

Das wollen sie nicht: Willkür und neue Kriterien.

Das wollen sie eigentlich: Tradition bewahren.

Zu finden unter: www.petitionen24.com/v/44873891/N8JBGU

von Sarah Bioly

Christina Wagners Flammkuchenstand sah aus wie ein Zuckerbäckerhaus: Grüne Girlanden mit lila Christbaumkugeln schmückten ihre kleine Hütte, die seit 16 Jahren immer zur Adventszeit auf dem größten Karlsruher Christkindlesmarkt stand. Doch dieses Jahr hat die Stadt ihr eine Absage erteilt. Ihr Stand und ihr Produkt seien nicht weihnachtlich genug. Doch wie soll sie ihre Deko noch verbessern? „Echte Tannennadeln sind verboten, die könnten nämlich auf den Flammkuchen fallen“, sagt sie. In den vergangenen Jahren sei ihr Stand noch ein Insidertipp gewesen für den besten Glühwein und den besten Flammkuchen auf dem Markt. Jetzt steht auf ihrem Platz ein anderer Stand. Auch er verkauft Flammkuchen. Weihnachtlicher sehe der aber auch nicht aus.

Millionen Besucher flanieren jährlich über Weihnachtsmärkte, trinken Glühwein, kaufen letzte Weihnachtsgeschenke, essen kandierte Äpfel, Flammkuchen oder Bratwurst und stimmen sich auf die Weihnachtszeit ein. In den wenigen Wochen vor Weihnachten erzielen viele Schausteller den Großteil ihres Jahresumsatzes; fällt dieser weg, ist ihre Existenz bedroht. Hinter den glitzernden Kulissen tobt deshalb ein harter Kampf, der derzeit in Karlsruhe eskaliert.

Denn die Stadt hat ein Punktesystem eingeführt, nach dem die Betreiber ausgewählt werden, die einen Platz bekommen. Bislang galten die Kriterien: „Attraktiv, bekannt und bewährt“. Viel Fluktuation gab es nicht. „Da musste erst einer wegsterben, damit man da reinkommt“, sagt Wagner. Auch sie hatte jahrelang um einen Platz kämpfen müssen.

Immer wieder klagten Schausteller in der Vergangenheit, weil sie abgelehnt wurden. Für die Stadt der wichtigste Grund, ein neues Verfahren einzuführen, wie sie in einer Pressemitteilung schreibt. Jetzt entscheiden also Punkte dar­über, wer von den 260 Bewerbern einen der begehrten 90 Plätze bekommt. Transparenter soll das sein, viele sehen darin Willkür. 140 Punkte braucht man für den Zuschlag. Bauweise, Warenangebot, Deko, Preis-Leistung und Umweltfreundlichkeit sind neue Kriterien. Über die Punktevergabe urteilt eine Jury nach Aktenlage.

Auch Mario Eichel kam nach 25 Jahren auf dem Markt nicht wieder zum Zug. Er verkauft Lángos und hat gegen die Absage geklagt. Bislang ohne Erfolg. „Da sitzt eine Jury, und die bewertet den fünfseitigen Fragebogen, den wir ausgefüllt haben. Das ist doch alles Geschmackssache“, sagt er. Er hat das Gefühl, die Stadt wolle ein paar bestimmte Stände loswerden. Seine Lángos haben jedenfalls null Punkte bekommen bei der Kategorie „Weihnachtliches Produkt“.

Ebenso die Pizza von Rolf Gebert, die er seit 1977 auf dem Christkindlesmarkt verkauft. „Wieso ist eine Bratwurst weihnachtlicher als eine Pizza“, fragt er sich. Die Absage war ein herber Schlag. 105 von 140 Punkten. Jetzt herrsche eine Atmosphäre der Angst. Nicht einmal bei „Prägendes Traditionsgeschäft“ bekam er volle Punktzahl.

Für Sonja Sehn völlig unverständlich. „Seit ich klein war, haben wir jedes Jahr, bevor wir den Weihnachtsbaum gekauft haben, bei ‚Geberts Pizzabäckerei‘gegessen“, sagt sie. Immer herzlich seien sie dort gewesen. Sie möchte Gebert etwas zurückgegeben und hat vergangene Woche eine Petition gestartet – für den Erhalt der Traditionsstände auf dem Christkindlesmarkt. Rund 1.000 Karlsruher haben für die Pizza von Gebert unterschrieben. Der Lángos-Stand hat sogar schon über 1.300 Unterschriften. „Ich möchte den betroffenen Schaustellern Trost spenden. Aber bei so vielen Unterstützern hoffe ich, dass ich vielleicht sogar das Punktesystem kippen kann“, sagt Sehn. Seit Kurzem gibt es sogar eine eigene Facebookgruppe, in der schon zum Boykott des Christkindlesmarktes aufgerufen wird. Sehn schreibt dort: „Auch wenn das Verwaltungsgericht negativ beschieden hat, der Kampf fängt gerade erst an.“

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