: Deutsch-polnische Dissonanzen
Die Regierungswechsel in Warschau und Berlin verheißen auf den ersten Blick Schlechtes für die Beziehungen der schwierigen Nachbarn. Doch was düster scheint, bietet Chancen
Das ohnehin schwierige deutsch-polnische Verhältnis steht vor einer neuen Belastungsprobe: dem bevorstehenden doppelten Machtwechsel in Berlin und Warschau. An der Weichsel sorgt der Rechtsrutsch bei den Parlamentswahlen vor zwei Wochen für Aufregung unter europäisch gesinnten Polen, polemisierte die größte Partei „Recht und Gerechtigkeit“, die den neuen Premierminister stellen wird, doch offen gegen Deutschland und die Europäische Union.
Und es kann noch schlimmer kommen: Der Präsidentschaftskandidat der Rechtspopulisten, Lech Kaczynski, liegt bei der am kommenden Sonntag anstehenden Wahl gut im Rennen. Ihn trennen Umfragen zufolge nur wenige Prozentpunkte vom Favoriten, dem rechtsliberalen Donald Tusk.
Für Kaczynski gilt Deutschland neben Russland als die „größte Gefahr“ für Polen. Einmal brüstete er sich damit, keine Kontakte zu deutschen Politikern zu unterhalten. Das ist keine bloße Rhetorik. Der Warschauer Bürgermeister zeigte zuletzt tatsächlich kein Interesse für solche Treffen. Das Angebot von Bundespräsident Horst Köhler, mit ihm bei seinem Polenbesuch vor einem Monat zu sprechen, ließ Kaczynski einfach unbeantwortet.
Der Deutschlandkomplex der Kaczynski-Brüder stößt in der Bevölkerung durchaus auf Resonanz. Noch immer traut sie dem Frieden mit dem Nachbarn nicht ganz, hat Angst vor Entschädigungsklagen und der Rückkehr der Deutschen in ihre alten Häuser. Es ist fatal, dass sowohl die rot-grüne Regierung als auch die CDU/CSU leichtfertig dazu beigetragen haben, diese Ängste zu erhalten – und zu vergrößern. Noch bis Sommer 2004 ermunterte selbst die Bundesregierung Vertriebene zu Entschädigungsklagen gegen Polen. In Briefwechseln wies das Finanzministerium die ehemaligen Eigentümer extra darauf hin. Solche Klagen würden Polen nach dem Krieg zum zweiten Mal zum Opfer machen. Das Trauma, mit dem immer noch viele Polen kämpfen, würde Realität werden.
Bundeskanzler Gerhard Schröder hat im Turbowahlkampf dieses Sommers weiteres Porzellan zerschlagen, als er sich über die Warschauer Einwände gegen den Bau einer Gaspipeline durch die Ostsee von Russland nach Deutschland beschwerte: „Es kann nicht angehen, dass Deutsche ihre Interessen nicht selbstbewusst vertreten können. Dafür steht der deutsche Bundeskanzler.“
Was hierzulande fast unbemerkt bleibt, hatte im Nachbarland – völlig verständlich – ein verheerendes Echo. Selbst die falsche Verschwörungstheorie, Deutschland und Russland machten gegen Polen gemeinsame Sache, bekommt dank solch nationalistischer Rhetorik wieder Konjunktur.
Ebenso unbemerkt von der deutschen Öffentlichkeit – aber noch gefährlicher für die deutsch-polnischen Beziehungen – ist, was die Preußische Treuhand treibt. 60 Jahre nach dem Krieg will sie früheres Eigentum im heutigen Polen einklagen oder Schadenersatz durchsetzen. Der Chef der Treuhand, Rudi Pawelka, wird nach jahrelangen Drohungen nächsten Donnerstag mit einer Pressekonferenz in Berlin loslegen. Dabei profitierten besonders die Vertriebenen nach dem Krieg vom 65 Milliarden Euro schweren Lastenausgleich in der Bundesrepublik.
Nun kann niemand die Klagen der Treuhand verbieten. Aber die achselzuckende Ignoranz der Öffentlichkeit gegenüber ihrer Wirkung im Nachbarland muss endlich ein Ende haben. Erst recht die Doppelzüngigkeit der Union. Zwar distanzieren sich alle Parteien und auch der Bund der Vertriebenen (BdV) von der rechtslastigen Organisation.
Doch von einem durchaus angebrachten Parteiausschluss Pawelkas ist trotz seiner Hetze gegen den Nachbarn keine Rede. Er bleibt weiterhin unbehelligt CDU-Stadtrat in Leverkusen und führt die Landsmannschaft Schlesien, die Mitglied im BdV ist. Und BdV-Vizepräsident Hans-Günther Parplies sitzt im Aufsichtsrat der Treuhand. Sowohl die CDU als auch der Vertriebenenbund spielen also ein doppeltes Spiel – und im Falle der BdV-Präsidentin Erika Steinbach ein besonders übles.
Ihr in Berlin geplantes „Zentrum gegen Vertreibungen“ spielt in Polen ebenfalls den Gegnern Deutschlands nur in die Hände. Die dortigen Sorgen, Deutschland wolle die Geschichte umschreiben und sich nicht mehr als Täter, sondern nach den Juden als das zweite Opfer des eigenen Zweiten Weltkriegs darstellen, haben Steinbach und ihre Anhänger selbst verschuldet. Die CDU-Abgeordnete, die immerhin auch dem Bundesvorstand ihrer Partei angehört, siedelte das Vertriebenenzentrum vor gut vier Jahren selbst „in geschichtlicher und räumlicher Nähe“ zum Berliner Holocaust-Mahnmal an, was sie später bestritt.
CDU-Chefin und Kanzlerkandidatin Angela Merkel fordert nicht nur den zu Recht verwehrten Regierungssegen für ein Vertriebenenzentrum, sondern auch noch einen nationalen Gedenktag für die Opfer der Vertreibung. Diese Geschichtspolitik würde das deutsch-polnische Verhältnis fast in die Zeit zurückwerfen, als einige Unionsabgeordnete wie Steinbach im Bundestag noch gegen die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze stimmten.
Bei allem Pessimismus bezüglich der Beziehungen Deutschlands und Polens: Grund zur Hysterie besteht nicht. In Polen wird die Kaczynski-Partei – einmal an der Regierung – nicht auf offenen Konfrontationskurs zu Deutschland gehen. Lech traf sich diesen Sommer informell mit dem CDU-Europaabgeordneten Elmar Brok. Dabei soll er sich „nicht unvernünftig“ gezeigt haben, heißt es. Außerdem beteuerte er jüngst öffentlich, er wolle eine „sehr harmonische Zusammenarbeit Polens mit Deutschland“. Die Kaczynskis werden ihre alte Rechnung für ausstehende Kriegsreparationen von Deutschland allerdings nur dann präsentieren, falls deutsche Vertriebene von Polen die Rückgabe von Eigentum erzwingen würden.
Doch auch in die künftige Regierung in Deutschland könnte mäßigend wirken – mit Blick auf die deutsch-polnischen Beziehungen ist einer großen Koalition einiges abzugewinnen. Zum einen werden die Sozialdemokraten dem Geschichtsrevisionismus der Union mit einem Vertriebenenzentrum in Berlin einen Riegel vorschieben. Zum anderen hat Angela Merkel in Warschau versprochen, dass sie keine Russlandpolitik „über die Köpfe der Polen hinweg“ machen werde. Dann besteht durchaus Hoffnung auf eine bessere Atmosphäre für die Beziehungen zu Polen.
Die Instrumentalisierung von Ängsten und Stimmungen durch die politischen Parteien auf beiden Seiten hat in der Bevölkerung diesseits wie jenseits der Oder schon genügend Schaden angerichtet. Entscheidend für eine positive Entwicklung in der Zukunft ist das gemeinsame Interesse an einer gleichberechtigten Partnerschaft. Und das ist leider noch viel zu wenig ausgeprägt. OLIVER HINZ
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