: Kunst ist unser Öl
Revolution Ein Festival im HAU Hebbel am Ufer erzählt nach, wie westafrikanische Künstler_innen und die Zivilbevölkerung 2014 friedlich den langjährigen Diktator in Burkina Faso wegfegten
von Dorothea Marcus
Es waren extreme, berauschende Tage. Als Kritikerin war ich im Oktober 2014 nach Burkina Faso gereist, um über das Theaterfestival Récréatrales in Ouagadougou zu schreiben, und wurde dann Zeugin, wie während der Festivaltage eine Quasidiktatur friedlich aus den Angeln gehoben wurde, mit nicht unwesentlicher Hilfe von Musik und Theater.
An vier Tagen fegten vorwiegend junge Leute den despotischen Präsidenten Blaise Compaoré nach 27 Jahren korrupter Herrschaft mit fröhlichen Massendemos aus dem Land – ausgerüstet mit Blätterbesen und viraler Netzkommunikation, getragen vom Enthusiasmus und Stolz der Bevölkerung. Für den Kontinent Afrika, sonst weitgehend mit politischem Chaos und Gewalt konnotiert, eine Sensation. Die in Deutschland allerdings weitgehend unbemerkt blieb. Schon immer, trotz Analphabetismusquote von rund 70 Prozent, hatte das bitterarme westafrikanische Binnenland mit seinen rund 17 Millionen Einwohnern eine der reichsten Kulturlandschaften Afrikas mit rund 112 Festivals, unter anderem dem größten panafrikanischen Filmfestival Fespaco. „Kultur ist unser Öl“, sagte Kulturminister Baba Hama gerne, als er noch an der Macht war, auch wenn der Staat selten einen Cent dazugab.
Das biennale Festival, das in einem idyllischen Stadtteil der Hauptstadt Ouagadougou stattfindet und gerade erneut zu Ende ging, ist eine erstaunliche Mischung aus Selbsthilfe-Nachbarschaftsprojekt und großem künstlerischen Anspruch: Bewusst wurden die Proben und Aufführungen in die Innenhöfe der Familien verlegt, fünf Monate lang haben Künstler aus Kamerun, Mali, dem Kongo, Togo und der Elfenbeinküste hier gewohnt, um Projekte zu realisieren, die im Heimatland nicht möglich wären. Zu Festivalzeiten sorgen die Familien dann für die Atmosphäre, das Bier, die gegrillten Bananen, jede Nacht klingt aus mit Konzerten, die Straßen sind voller Menschen.
Viele von ihnen zogen mit den Künstlern dann jeden Abend ins Stadtzentrum, um sich auf die täglichen Demonstrationen vorzubereiten, manch einer schlief eine Woche lang im Bühnenbild, weil er nicht mehr nach Hause kam. Ich rieche noch den Qualm der brennenden Nationalversammlung, trotzte mit den burkinischen Freunden der Ausgangssperre, erinnere mich an die Freudenschreie in der Künstlerkantine, als die Nachricht von der Abdankung des Präsidenten kam – und sehe das überwältigte Gesicht von Odile Sankara, Schwester des Präsidenten Thomas Sankara, der 1987 mutmaßlich von seinem einst besten Freund Compaoré, ermordet wurde.
Ohne den Rapper Smokey, der zum Festival „Schlaflose Nächte. Burkina Faso zwischen Kultur und Revolution“ ins HAU Hebbel am Ufer kommt, wäre es so weit nie gekommen. Mit dem Raggaemusiker Sams le Ka gründete er im Sommer 2013 die Bewegung La balai citoyen, was tatsächlich „Bürgerbesen“ heißt, und schuf so ein ziviles Netzwerk der Revolution, das unaufhörlich zur Gewaltfreiheit aufrief.
Der hervorragende Dokumentarfilm „Une révolution africaine“ (18. 11., HAU2, 21 Uhr) von Boubacar Sangaré und Gidéon Vink erzählt davon – die Filmemacher wirken, als hätten sie damals mitgekämpft. Smokey und seine Kumpel organisierten damals unermüdlich Unterkomitees, Straßensperren, Nachtwachen, verteilten Flugblätter für Gewaltfreiheit, Essig und Wasser gegen das Tränengas.
Abends stand Smokey meist trotzdem auf der Bühne, auch wenn er manchmal zu spät kam: In „Nuit blanche à Ouagadougou“ (15./16. 11., 20.30 Uhr) von Serge Aimé Coulibaly umkreist er im schwarzen Mantel die Szene und fordert in hartem, aber melodiösen Rap die „schwarzen Monster“ des Landes auf, die miesen Lebensbedingungen nicht hinzunehmen, gegen Korruption und unaufgeklärte Morde aufzustehen.
Dazu tanzen vier Tänzer des Faso Danse Théâtre akrobatisch, wütend und kraftvoll den harten Alltag in Ouagadougou, die stereotype Arbeit in den Minen, die ständige Jagd nach Geld. Der großartige Tänzer Sayouba Sigué wird mit Knebel zum Schweigen gebracht, tanzt aber zuckend weiter. Im Hintergrund ein schweigender Alter als bedrohlicher Schatten des aus dem Amt gejagten Präsidenten. Ein heute noch mitreißendes, cool durchkomponiertes Agitproptanzstück.
Untrennbar mit dem burkinischen Theaterfestival Récréatrales, das so sehr zur Revolution beitrug, ist sein Gründer Etienne Minounghou verbunden, der in Berlin sein furioses Solo „M’appelle Mohammed Ali“ zeigt. Darin lässt er am Beispiel des Underdogs, der zum Weltmeister wurde, tief in den Kopf eines jungen Afrikaners blicken, mit all den Wünschen, Kämpfen, Grenzüberschreitungen – und aktualisiert es ständig neu, je nach Lage im Land.
Die ist zwei Jahre nach der friedlichen Revolution nicht gerade rosig, berichten burkinische Freunde am Telefon: Arbeitslosigkeit und auch der Hunger haben drastisch zugenommen, die junge Demokratie – die zwischenzeitlich auch noch erfolgreich einen internen Militärputsch überstand – fühlt sich von der westlichen Welt alleingelassen.
Auch der Exdiktator, damals komfortabel von Frankreich zur Elfenbeinküste ins luxuriöse Exil ausgeflogen, zieht noch manche Strippe – und wurde bis heute nicht vor Gericht gestellt. Umso wichtiger, wenn sich jetzt das Festival Schlaflose Nächte mit der Situation im Land der „aufrechten Menschen“ (wie Thomas Sankara die einstige Kolonie Obervolta umbenannte) beschäftigt.
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