Luther-Jubiläum in Wittenberg: Ungetaufte und Skeptiker
Religiös ist in Wittenberg kaum jemand. Das Lutherhaus ist dicht. Nicht alle glauben, dass sie etwas von den Reformationsfestspielen haben werden.
Möbius späht zu den Renaissancegiebeln hinüber, als könnte er Menschen locken. Aber selbst Touristen lassen sich kaum sehen und wenn, dann huschen sie zur Stadtkirche hinüber. Möbius deutet auf Rote Bete, Kohlrabi, auf das ganze Erntedank. Am Rand stecken Himbeerwurzeln im Eimer. „Vermehren sich prächtig, schmecken süß“, sagt Möbius. Er zieht die Himbeerstöckchen auseinander. In die Erde gesteckt und los geht’s. Man könne sich vor Früchten dann bald nicht mehr retten. Wenn das mit Luther nur auch so ginge.
Denn für den Reformator ist Wittenberg ein karger Boden. Darüber können die Touristen, die Kirchen, die Unesco-Welterbestätten nicht hinwegtäuschen. Anfang Oktober erst öffnete die Schlosskirche ihre Tür, wo der Luther am 31. Oktober 1517 seine Thesen gegen den Ablasshandel angeschlagen haben soll. Die Reformation nahm ihren Lauf. 499 Jahre später kommen die meisten Wittenberger ganz gut ohne Lutherbibel und Katechismus durchs Leben. Vielleicht 20 Prozent gehören überhaupt einer Konfession an, Katholiken und Muslime eingeschlossen.
Mit dem Reformationsfest beginnen am letzten Oktobertag die 500-Jahr-Feierlichkeiten. Ende Mai 2017 werden sie mit einem Festgottesdienst in Wittenberg ihren Höhepunkt finden. 300.000 Christen sollen in die Stadt strömen, die selbst nur 45.000 Einwohner zählt. Laufkundschaft? Möbius winkt ab. „Touristen kaufen kein Gemüse“, auch nicht, wenn Luther draufsteht. „Die Wittenberger werden am wenigsten davon haben“, glaubt Möbius. Verschwendetes Steuergeld.
Luther mit Joint, als Sprayer
Für den Gärtner scheint die Werbekampagne der evangelischen Kirche nicht gemacht. „Reformation heißt, die Welt zu hinterfragen“ lautet der Slogan für den „Reformationssommer 2017“. Das Motto wird in einem Film visualisiert. Unter blauem Himmel und Schäfchenwolken fliegt die Kamera auf die Lutherstadt zu. Glaubt man dem Film, so war die Reformation eine Art Bürgerinitiative, ähnlich der Antiatomkraftbewegung. „Reformationsbotschafterin“ Margot Käßmann schwärmt von „Natur“ und „Spiritualität“, doch von Martin Luther ist keine Rede mehr. Stattdessen bekommt der Wittenberger Schwanenteich seinen großen Auftritt. Dort werden im nächsten Jahr Flüchtlingsboote schwimmen, aus denen Geflüchtete Spielgeräte bauen sollen.
Torsten Zugehör immerhin ist mit Luther eingedeckt. Schon auf den Fluren im Neuen Rathaus schaut der Kirchengründer im Dutzend von den Wänden. Luther zeitgemäß mit Joint, als Sprayer, mit Kopfhörern. Im Büro grüßt ein 80 Zentimeter hoher Kunststoff-Luther und auf der Karte des „Lord Mayors“ von Wittenberg ist der kantige Schädel des Reformators gut zu erkennen. Zugehör, schwarzer Anzug, weißes Hemd, sportlich, sitzt in einem Clubsessel. Seit gut einem Jahr ist der parteilose Jurist Oberbürgermeister. Er soll die Einwohner durch das Jubiläum führen, die Getauften, die Ungetauften und die Skeptiker.
Torsten Zugehör, Bürgermeister
300.000 Besucher an einem Wochenende – wird dem Stadtoberhaupt nicht angst und bange? Der junge Referent, der mit am Tisch sitzt, muss lachen. Zugehör sagt: „Nö, nicht mehr.“ Die Organisation liege in den Händen der Kirche und die habe reichlich Erfahrung mit Kirchentagen. Außerdem werde der große Festgottesdienst ja vor den Toren der Stadt gefeiert. „Wir brauchen ein gewaltiges Gottvertrauen“, sagt er dann doch.
Kein Elitenprojekt soll es werden
Das strahlt der 44 Jahre alte geborene Wittenberger auch aus. Entspannt erzählt Zugehör, wie die Stadt das Jubeljahr mit Töpfermarkt, Weinfest, Luthers Hochzeit, mit Tanz und Luftballons feiern und wohl auch ein bisschen erden will. Der Kirche ist daran gelegen. „Sie ist sehr bemüht, dass es nicht nur ein Elitenprojekt ist“, sagt Zugehör.
Nur einmal, auf einen Vorfall im Juni angesprochen, wirkt der Oberbürgermeister angespannt. Da hatte sich ein Wittenberger Kleingartenverein geweigert, einen Mann mit libanesischen Wurzeln aufzunehmen. „Wir wollen keine Ausländer“, erklärte ein Vereinsvorstand. „Rassismus im Kleingarten“ titelte die Mitteldeutsche, überregionale Zeitungen zogen nach. Der Vereinsvorstand trat zurück. Die Sache beruhigte sich. Doch Zugehör ist auf der Hut. Solche Schlagzeilen kann die Stadt nicht brauchen. Heikel genug, dass im März 22,4 Prozent hier AfD gewählt haben.
In der Schlosskirche, dem wohl berühmtesten Wittenberger Heiligtum, hallen Schritte. Mit Kameras durchmessen Touristen die Kirche. Das Geviert ist der Dreh- und Angelpunkt der lutherischen Welt. Bei der Wiedereinweihung der Schlosskirche war Königin Margarethe von Dänemark, Oberhaupt der dänischen Lutheraner, zugegen, als Gastgeschenk einen Altarbehang im Gepäck. Wie es heißt, hat sie selbst mit Hand angelegt.
Ein Who is Who der Kirchenmänner
Jetzt aber ist der Behang wieder fort. Nur zu Pfingsten und zum Reformationstag werde das Textil gezeigt, erklärt eine Dame bei der Aufsicht. „Das weiß ich von offizieller Stelle“, raunt sie. Irgendwie ist in der Kirche alles offiziell. Reformatoren – Juristen, Bischöfe und Rektoren, Theologen sowieso – blicken von den Säulen wie Heilige, andere sind in Öl gemalt, als Medaillons und in Glas gearbeitet. Lauter evangelische Helden. Es sind so viele, dass die EKD, die Evangelische Kirche in Deutschland, ein „Who’s who?“ herausgegeben hat, das die Taten der Kirchenmänner von Schottland bis Siebenbürgen – es sind fast nur Männer – würdigt.
Der 88 Meter hohe Turm der Schlosskirche, seit 1892 mit wilhelminischer Pickelhaube, dominiert die Stadt und ragt immer wieder unvermittelt aus den Straßenfluchten auf. Am Mark räumt Matthias Möbius seine Ware zusammen. Gegenüber dringt Licht aus der „Adlerschänke“. Bereits Luther soll hier eingekehrt sein. Vor dem Eingang rauchen Männer mit Rauschebärten und parlieren auf Englisch.
In Sichtweite schiebt Klaus Blümner seine Souvenirständer herein. Der Seniorchef des „Hauses der Geschenke“ verkauft kein Gemüse, trotzdem ist er unzufrieden. Wer ist bloß auf die Schnapsidee gekommen, gerade jetzt das Lutherhaus zu schließen? Erst Anfang März soll es wieder öffnen. Blümner, ein gebeugter Mann mit buschigen Augenbrauen, ist ein versierter Verkäufer. Jeden Morgen stellt er so viele Ständer auf die Straße, dass sich die Touristen wie Fischlein in Reusen verfangen und erst wieder freikommen, wenn sie einen Luther-Kühlschrankmagneten, ein Lutherbier oder einen Stoffbeutel „Wittenberg“ in den Händen halten. Aber wenn das Lutherhaus geschlossen ist?
40 Läden stehen leer
Blümners Laden hat schon viele Luther-Festspiele erlebt. Das nächste Jahr ist für ihn ein doppeltes Jubiläum. 1867, zum 350. Jahrestag des Thesenanschlags, öffnete der Buchbinder Adolf Kimstädt ein Geschäft. Eine Sensation waren Fotografien der Lutherstätten auf Pappe gezogen, allererste Ansichtskarten. Zum Doppel-Jubiläum 2017 haben Kimstädts Nachfahren wieder eine Attraktion vorbereitet: einen blinkenden Automaten. Wer in das Ding zwei Euro einwirft, bekommt eine goldglänzende Münze, entweder mit der Schlosskirche oder der Lutherrose. Eigentlich sollte das Gerät die Straße schmücken, doch jetzt steht der Kasten eingezwängt zwischen Zeitungen und Ansichtskarten.
„Manche Leute kennen unsere Sorgen nicht“, seufzt Karin Blümner. Wen sie meint, wird schnell klar. Der Sohn präsentiert ein Schreiben aus dem Rathaus, das das Aufstellen des Automaten untersagt. Alle drei Blümners sind aufgebracht. Was haben sie denn noch vom Reformationstamtam? Fast 40 Läden stehen leer. Mit etwa 6.000 Besuchern täglich rechne die Stadt im nächsten Jahr, hatte Bürgermeister Zugehör eben noch im Rathaus gesagt. 150 Busladungen.
Trotzdem hat der Schuhladen nebenan aufgegeben und auch der alte „Kimstädt“ hat schon bessere Zeiten erlebt, wie Klaus Blümner einräumt. Kein Wunder, dass sich hinter dem Reformationsklimbim inzwischen auch Magazine finden mit viel nackter Haut.
Der Seniorchef zieht ein Schlüsselbund aus dem Kassentisch, geht vor die Tür und deutet auf die hell leuchtenden Fenster gegenüber. „Da, Mäcgeiz hat meine ganze Schreibwarenabteilung kaputt gemacht.“ Blümner wendet sich ab. „Jetzt kommt 2017. Und dann schauen wir, was kommt.“ Sehr zuversichtlich klingt das nicht.
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