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Anwohner sollen sich direkt an Politiker wenden

TEILHABE Parteien eröffnen im sozial schwachen Lichterfelde-Süd ein gemeinsames Bürgerbüro

Der Thermometer-Kiez ist an diesem verschneiten Donnerstagnachmittag gespenstisch leer, als die Bezirkspolitiker von CDU, SPD, Grünen und Piraten in der Celsiusstraße ihr gemeinsames Bürgerbüro eröffnen. Dieser neue „Politladen“ ist von Plattenbauten umstellt. Lichterfelde-Süd gilt als Problemkiez, die Armut ist hoch. Mit wenigen Worten eröffnet Cornelia Seibeld, die für die CDU im Abgeordnetenhaus sitzt, den Laden, der vorerst für sechs Monate eine Anlaufstelle für die Bürger im Kiez bieten soll. Im Moment sieht er noch ziemlich kahl aus.

„Die Politik an sich soll beworben werden“, sagt Seibeld. Viele Bürger würden hier erst gar nicht auf die Idee kommen, sich mit ihren Problemen an Politiker zu wenden. Bei der letzten Wahl zur Bezirksverordnetenversammlung ging nicht einmal jeder Zweite wählen. Seibeld hat Bürgersprechstunden erlebt, bei denen nur einer oder gar keiner kam – obwohl sie zuvor Tausende Flyer verteilt hatte. Nun wollen die Parteien in seltener Eintracht Präsenz zeigen. Zur Eröffnung hat sich trotzdem kaum ein Bürger hierher verirrt. Demnächst soll eine Website auf den Laden aufmerksam machen. Montag wird die erste Bürgersprechstunde angeboten.

Die Parteien bekommen den bisher leer stehenden Laden zur Zwischennutzung. Falls ein Geschäft eröffnen will, müssten sie schließen, doch das ist unwahrscheinlich, hier steht vieles leer: Gleich nebenan gab es ein Kaufhaus mit Bäcker, Friseur und vielen anderen Geschäften. Doch davon ist nicht viel übrig geblieben, weil sich viele nur noch den Discounter leisten können. „Die soziale Durchmischung ist zurückgegangen“, sagt Jürgen Bischof von dem sozialen Zentrum „Busstop“, der die Probleme in Lichterfelde-Süd gut kennt: „70 Prozent der Kinder unter 15 Jahren leben von Hartz IV.“

Hemmschwelle senken

Im „Busstop“ gegenüber konnten die Bürger bislang einmal im Monat zur Sprechstunde mit den Bezirkspolitikern kommen. Selten kamen mehr als fünf. Norbert Schellberg, Kreisvorsitzender bei den Grünen in Steglitz-Zehlendorf, hofft, dass die Hemmschwelle bei den Bürgern nun sinkt, weil es sich um ein überparteiliches Angebot handelt. Im Politladen wechseln sich die Parteien ab, an mindestens vier Wochentagen soll der Laden geöffnet sein. Wenn das Projekt Zuspruch findet, soll es nach sechs Monaten fortgesetzt werden. MARTIN RANK

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