Neues Album von Solange Knowles: Aus dem Schatten der Schwester
Wie Beyoncé beschäftigt sich auch Solange auf der LP „A Seat at the Table“ mit der #BlackLivesMatter-Bewegung. Sie wird dabei aber viel konkreter.
Am Freitag landete „A Seat at the Table“, das neue Album von Solange, auf Platz eins der US-Charts. Lange als mindertalentierte jüngere Schwester von Beyoncé Knowles belächelt, schafft es Solange damit endlich aus dem Schatten des übermächtigen Popstars zu treten.
Der ständige Vergleich mit Beyoncé nervt zwar, aber entkommen kann sie ihrer erfolgreichen Schwester nicht, auch wenn ihr Werk inzwischen auch beeindruckend ist. Solange Knowles veröffentlichte bereits zwei Alben und eine von der Kritik hochgelobte EP namens „True“ (2012). Man bemisst den Wert von Pop nie nur nach kommerzieller Verwertbarkeit. Aber „A Seat at the Table“ ist nun das herausragende und erfolgversprechende Album, etwas, das der 30-Jährigen bis jetzt gefehlt hat.
Sie beschäftigt sich darin mit der Protestbewegung #BlackLivesMatter und Polizeigewalt, cultural appropriation und der Mainstreamisierung afroamerikanischer Schönheitsideale als überzeichnetes Meme durch Figuren wie Kim Kardashian. Während Beyoncé – die auf ihrem letzten Album „Lemonade“ ähnliche Themen verhandelte – dabei abstrakt und oberflächlich blieb, erzählt Solange mit „A Seat at the Table“ anscheinend mitten aus ihrem Leben. Dem Leben einer Mutter, die einen 11-jährigen Sohn in einem Land großzieht, das unschuldige Schwarze von rassistischen Polizisten auf offener Straße erschießen lässt. Wie bringt man seinem Kind bei, dass es sich bei Polizeikontrollen vorsichtig verhalten muss? Was macht das mit ihm und dem Verhältnis zum gesellschaftlichen System, in dem es aufwächst?
Auf musikalischer Ebene zeigt sich der Unterschied zum Sound der Schwester ebenso deutlich: Der Teppich, auf dem Solange ihre Stimme drapiert, ist grober, weniger glatt ausproduziert. Wo Beyoncé für jeden Song eine Armada an Komponisten und Produzenten auffährt, arbeitet Solange allein und komponierte die Songs auf dem Klavier. In Kooperation mit dem Produzenten und Kollegen Raphael Saadiq, der etwa für The Roots tätig war, übertrug sie die Rohfassungen in eine minimalistische Mischung aus Soundcloud-R&B und dessen Vorläufern aus den Neunzigern.
Solange: „A Place at the Table“ (Columbia/Sony)
Knowles transportiert Oldschool in die Jetztzeit
Janet Jacksons experimentierfreudiges Album „Velvet Rope“(1997), aber auch die frühen Alben von Erykah Badu und D’Angelo sind Referenzen. Durch Spoken Word-Skits zwischen den Songs, bei denen die musikalischen Themen der vorherigen Songs weitergesponnen werden, bekommt das Album einen roten Faden. So gibt es mehrere Intermezzi des Rap-Moguls Master P, ein Skit mit dem queeren schwarzen Pop-Sänger Dev Hynes alias Blood Orange, einen mit Solanges Mutter Tina Knowles und einen mit ihrem Vater, dem Manager Matthew Knowles. Dieses Personal sorgt für spannende Perspektivwechsel mit autobiografischer Färbung.
Wichtiger Bezugspunkt ist auch die R&B-Ära Ende der Neunziger, für die Musikjournalisten seinerzeit das fragwürdige Etikett „NeoSoul“ erfanden. Solange Knowles transportiert die Oldschool elegant in die Jetztzeit. „A Seat at the Table“ klingt nach gestern und nach heute, nach den Soulquarians und nach Soulection. Dafür verzichtet sie gern auf weichgespülte Radio-Hits. Gleich zwei Videoclips, „Cranes In The Sky“ und „Don’t Touch My Hair“, flankierten die Albumveröffentlichung.
Das wirkte, als könnte die Künstlerin nicht recht entscheiden, auf welchen Song sie setzen wolle, um sich zu vermarkten. Das wäre gar nicht nötig gewesen. „A Seat at the Table“ ist ein mutiges, ein musikalisch vielfältiges Statement, das sich mit relevanten gesellschaftlichen Themen wie Selbsthass beschäftigt, dabei auch zentrale Fragen des Feminismus und Identitätsfragen der African-American Community abbildet.
In „Don’t Touch My Hair“, einem tollen Duett mit dem aufstrebenden Londoner Künstler Sampha, warnt Solange: „Don’t test my mouth, they say the truth is my sound.“
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