Neues Buch von Carolin Emcke: Verstörung und Kusshand
Carolin Emcke wird mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Nun ist ihr neues Buch „Gegen den Hass“ erschienen.
Schlägt man nach der jüngsten Einheitsfeier Carolin Emckes Buch „Gegen den Hass“ auf, kommen einem unwillkürlich die Bilder von Claudia Roths Reaktion in Dresden in den Sinn. Nachdem die Pegida-Demonstranten das Gesprächsansinnen der Grünen-Politikerin mit Gebrüll quittiert hatten und sie schon am Weggehen war, warf sie den Demonstranten noch rasch eine Kusshand zu.
Ein ähnlicher Geist treibt Emcke um bei ihrer essayistischen Entgegnung auf den Rechtspopulismus, zu dem sie eingangs, natürlich noch in Unkenntnis der Ereignisse vom 3. Oktober, bekennt: „Es verstört mich grundsätzlich der Mechanismus der Ausgrenzung und die ungeheuerliche Aggression“. Ihre Kusshände tragen Namen, sie lauten: Vielfalt, Leichtigkeit, Lust und Fantasie.
Das Buch erscheint pünktlich zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an Carolin Emcke am 23. Oktober in der Frankfurter Paulskirche. Es geht da nicht nur um Pegidisten und AfDler, sondern auch um Dschihadisten und alle anderen, die der offenen Gesellschaft den Kampf angesagt haben. Woher kommt deren Hass? Wie funktioniert er? Was kann man dagegen tun?
Gegen das Opfergebaren und das „Verschlichten der Welt“, das sie bei Fanatikern aller Couleur am Werk sieht, möchte Emcke genaue Analysen in Stellung bringen. Und dafür holt sie weit aus. Man soll zunächst einmal kapieren, wie Liebe funktioniert, wie Hoffnung und wie Sorge. Durch eine Verkennung ihres Objekts nämlich. Und wie diese würden sich auch Hass und Verachtung ihre Objekte zurechtschnitzen, seien dies Ausländer, Ungläubige oder alle, die sexuell nicht der Norm entsprechen.
Mix aus Ideologiekritik und Diskursanalyse
Das Handwerkszeug der 49-Jährigen, zusammengelesen an den Unis von Frankfurt am Main und London sowie in Harvard, besteht aus einer eher saloppen Mischung aus Ideologiekritik und Diskursanalyse. Lackiert wird mit bildungsgesättigter Farbe: „So wie Titania nicht Zettel liebt, weil er so ist, wie er ist, sondern weil die Wirkung des Zaubertranks sie verführt, so hassen die Blockierer von Clausnitz nicht die Geflüchteten, weil sie so sind, wie sie sind.“
Carolin Emcke: „Gegen den Hass“. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2016, 240 Seiten, 20 Euro
Warum, so wundert sich Emcke rhetorisch über die Videoaufnahmen aus der sächsischen Kleinstadt, habe sich die Wut gegen die in Bussen ankommenden Geflüchteten gerichtet und nicht gegen diejenigen, die für die Schließung ebenjener Fabrik verantwortlich waren, in der die Neu-Clausnitzer untergebracht werden sollten. Verblendungszusammenhang 2.0 sozusagen.
Dem Rassismus, will sie weiter wissen, liege ein „Gefühl der Ohnmacht gegenüber der sozialen Wirklichkeit“ zugrunde. Dabei hält sie es mit Didier Eribon, der in seinem Buch „Rückkehr nach Reims“ über die Motive seiner Front National wählenden Verwandten spekuliert, zu denen er seit Jahrzehnten keinen Kontakt hat. Den Ort besucht hat Emcke nicht.
Für das Unreine
Wie solche Befunde bleiben auch die Lösungsvorschläge im Ungefähren und sind leicht abzunicken, allerdings nur für Gleichgesinnte. Fanatikern will sie entgegengetreten durch „zivilgesellschaftlichen (und zivilen) Widerstand gegen die Techniken des Ausgrenzens und Eingrenzens, gegen die Raster der Wahrnehmung, die manche sichtbar und andere unsichtbar machen“, aber auch durch ökonomische und soziale Interventionen. „Vor allem aber braucht es ein Plädoyer für das Unreine und Differenzierte (…), eine Kultur des aufgeklärten Zweifels und der Ironie“.
Wer Ironie oder Humor in ihren Texten sucht, hat seine liebe Müh. Ihre journalistische Laufbahn kickstartete die in einem Hamburger Vorort aufgewachsene Emcke 1998 beim Auslandsressort des Spiegels. Sie arbeitete als Reporterin unter anderem im Kosovo, im Irak und in Afghanistan, bevor sie 2006 freie Autorin und Publizistin wurde. Schon in ihrem ersten Buch, „Von den Kriegen. Briefe an Freunde“, in dem sie über ihre Arbeit reflektiert, klingt das Pathos an, das ihre Texte, auch ihre Kolumne in der Süddeutschen Zeitung, in der sie zuletzt wieder und wieder für eine Willkommenskultur eintrat, bis heute grundiert. „Am Anfang war nur Sprachlosigkeit“, lautet der erste Satz, bezogen auf die Grausamkeit, die sie während ihrer Reisen gesehen oder deren Zeugen sie interviewt hat.
Der hohe Ton, den Emcke anschlägt, ist der Holocaustliteratur entliehen. „In der Tat wird dieser Essay (…) ähnlich argumentieren, wie Didi Hubermann in seinem grandiosen ‚Bilder trotz allem‘ es für die Bilder aus Auschwitz getan hat“, heißt es in „Weil es sagbar ist. Über Zeugenschaft und Gerechtigkeit“. Ihr Buch dreht sich wohlgemerkt auch um Themen wie „liberaler Rassismus“ oder Islamfeindlichkeit.
Andauernde Selbstverunsicherung
Sogar „Wie wir begehren“ (2013), der viel besprochene Coming-out-Bericht, ist über weite Strecken in diesem Ton gehalten. Gleich zum Einstieg wirft Emcke die Frage einer Schuld auf, „die sich nicht abtragen, nur ableben lässt durchs Leben“. In diesem Fall empfunden von der Autorin, weil sie den Selbstmord eines Klassenkameraden, von dem sie annimmt, er sei wahrscheinlich schwul gewesen, nicht verhindern konnte.
Wie man überhaupt bei Emcke immer dem schreibenden Ich bei seinem Ringen zusieht, das Richtige zu tun und die rechten Worte zu finden. „Ich kann nur sagen, dass es ein Schreiben in dauernder Selbstverunsicherung ist wie das Spazierengehen in Kindertagen, bei dem der Schulfreund in unregelmäßigen Abständen einem von hinten mit leichtem Schwung die Füße wegschlug“, heißt es in „Stumme Gewalt“. Darin machte sie sich 2008 zur Aussöhnung von RAF-Tätern und Opferangehörigen Gedanken – 18 Jahre nach der Ermordung ihres Patenonkels Alfred Herrhausen durch ein Kommando der RAF.
Sicher kann man fragen, ob es in Ordnung ist, den vermeintlichen Repräsentanten eines verhassten Systems umzubringen. Klar kann man überlegen, ob die universelle Verwendung des Schwuchtel-Schimpfworts auf deutschen Schulhöfen Jugendlichen das Coming-out schwer macht. Aber Emcke sieht bei beidem und noch dazu bei Hate-Speech im Internet genauso wie beim Anzünden von Flüchtlingsheimen oder dem Charlie-Hebdo-Attentat unterschiedslos dieselbe „illiberale Mechanik von willkürlich-absichtsvoller Inklusion und Exklusion“ am Werk.
Unterm Strich führt sie dadurch alle möglichen Erscheinungsformen von Rassismus, Islamismus und Dschihadismus, Schwulen- oder Lesbendiskriminierung unterschiedslos mit einer Todesdrohung eng. Und da wäre doch jetzt eine „Kultur des aufgeklärten Zweifels“ mal wirklich angebracht.
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