Studie zur Amerikanischen Revolution: Jakobiner, Bourbonen und Sekten
Michael Hochgeschwender untersucht in seinem Buch die US-Gründungsmythen. Freiheitsstreben und Sklaverei gingen dabei Hand in Hand.
Wir sehen mit anderen Augen; wir hören mit anderen Ohren; und wir denken andere Gedanken als früher“, schrieb Thomas Paine, 1782 an Abbé Raynal, um der Alten Welt Mentalitätsunterschiede nach der amerikanischen Revolution zu erklären. Paine galt als intellektueller Kopf der Revolutionäre, in seinen Schriften findet sich demokratisches Ideengut, neben George Washington, Benjamin Franklin und 40 weiteren Personen zählt er zu den founding fathers der USA.
Zum besseren Verständnis der Ideologie und des Selbstverständnisses der heutigen Supermacht helfen Kenntnisse ihrer Gründungsmythen und historischen Geschehnisse. Schon deshalb lohnt eine Lektüre von Michael Hochgeschwenders Studie „Die Amerikanische Revolution“, denn er greift darin neueste Forschungsergebnisse auf.
Auch in fachlicher Hinsicht ist dem Münchner Amerikanisten ein großer Wurf gelungen, denn die Phase vor und nach der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung der 13 Kolonien von England am 4. Juli 1776 stellt der 54-Jährige nicht als bloße Ereignisgeschichte dar.
So beschreibt Hochgeschwender etwa, wie im ausgehenden 18. Jahrhundert Öffentlichkeit als „orale Kultur“ funktionierte: Menschen hörten sich stundenlange Predigten an. Oder wie sich die „Diskurslandschaft“ zu jener Zeit ausnahm: Die philosophischen Überlegungen eines John Locke waren der geistige Humus für den Aufstand gegen das britische Empire.
Einseitige Erklärungsmuster
Unbehagen an Begrifflichkeiten und einseitigen Erklärungsmustern existieren schon so lange wie die USA selbst. „Die Amerikanische Revolution“ untersucht linke, liberale und konservative Interpretationen ihrer Geschichte. Schon durch ihren Namen reklamiert etwa die republikanische Tea-Party-Bewegung das Auslösemoment der Revolution für sich: Sie berufen sich auf den militanten Protest Bostoner Händler und Bürger am 16. Dezember 1773 gegen britische Zölle.
Sie enterten – als Indianer verkleidet – drei Schiffe und kippten deren Teeladungen in den Hafen. Nur, die tugendhafte, weiße und protestantische Renitenz, auf die sich die konservativen Fundamentalisten heute berufen, hat so gar nicht existiert. Die Geschichte ist komplizierter, als dass die Einteilung der Amerikaner als „freiheitsliebende patriotische Helden und der Briten als korrupte und despotische Schurken“ heute noch ausreicht.
Michael Hochgeschwender: „Die Amerikanische Revolution Geburt einer Nation 1763 - 1815“. CH Beck Verlag, München 2016, 512 S., 29,95 Euro
Die US-Revolutionäre beriefen sich zwar auf ihr Land als Empire of Liberty, aber sie waren Jakobiner und Bourbonen. „Aufklärung und Religion, Vernunft und Emotion, Idealismus und Eigeninteresse, Freiheitsstreben und Toleranzideale, aber eben auch Antikatholizismus und Sklaverei gehen Hand in Hand“, schreibt Hochgeschwender. Seine Studie zeichnet aus, wie sie die britische Politik des ausgehenden 18. Jahrhunderts anschaulich mit in die Erzählung webt und damit auch den schwierigen Ablösungsprozess der Amerikaner von den Briten verdeutlicht.
Während der Adel im Mutterland die Elite bildete, entwickelte sich in den USA eine wohlhabende Schicht von Kaufleuten und Händlern, deshalb versage das postkoloniale Modell von imperialem Zentrum und kolonialer Peripherie. Englische Sprache und Kultur waren konstituierend für die junge Nation. So prägten etwa die sozialrevolutionären freireligiösen Levellers die USA mehr als ihre britische Heimat.
Nach Amerika jedoch emigrierten unterschiedlichste Sekten und Einwanderergruppen, manche brachten moderne Einstellungen mit, andere blieben rückwärtsgewandt, was zur gesellschaftlichen Komplexität und sozialen Ausdifferenzierung beitrug. Dazu berichtet der Autor immer wieder vom Leiden der indianischen Bevölkerung und von der blutigen Geschichte der Sklaverei, aber auch, wie das Feuer zu ihrer Abschaffung bereits bei Thomas Paine gelegt wurde.
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