piwik no script img

Als Alsterwassernoch nichts mitBrause zu tun hatte

Wirtschaft! Das Museum für Hamburgische Geschichte zeigt, wie das Brauwesen für die Stadt und sogar für die Stadtentwicklung zur Schlüsselbranche wurde. Die feiert sich mit der Schau selbst

Wirtschaftsfaktor Bier: Auf St. Pauli entstand eine der großen, industriellen Brauereien, von der heute nur noch der Name „Brauquartier“ kündet. Das Astra braut längst der frühere Konkurrent Holsten Foto: Carlsberg Deutschland

Von Hajo Schiff

Seit die Jäger und Sammler sesshaft wurden, wussten sie um die berauschende Kraft pflanzlicher Stärke. Manche sagen gar, nur um Getreide oder Früchte in längeren Prozessen zu vergären, wurden sie überhaupt sesshaft. „Er trank Bier – sieben Becher. Sein Geist entspannte sich. Er wurde ausgelassen. Sein Herz war froh und sein Gesicht strahlte …“, so ein etwa 4.600 Jahre altes Zitat aus dem Gilgamesch-Epos. Mit solch uralten Verweisen beginnt die aktuelle Ausstellung, mit der das Museum für Hamburgische Geschichte die herausragende Bedeutung des Biers für Hamburg betont.

Dabei fängt es, vom traditionsreichen Thema berauscht und geographisch etwas ausgreifend, mit altbabylonischen Trinkröhrchen und Rollsiegeln, altägyptischen Hausbrauerei-Darstellungen und dem rheinländischen Grabstein eines Brauers aus spätrömischer Zeit an. Der Germanen-Beschreiber Tacitus fand übrigens, wie die meisten Römer, Bier sei ein scheußliches Gebräu. Doch davon trinkt noch heute jeder Deutsche etwa 100 Liter pro Kopf pro Jahr.

Aber im Mittelalter waren es mit etwa eintausend Litern etwa zehnmal so viel. Das einst nur wenig alkoholhaltige Bier gehörte damals, auch als Biersuppe zum Frühstück für Jung und Alt, zu den Grundnahrungsmitteln – immerhin war es sauberer als bloßes Wasser, Wein war zu teuer und die heutigen Heißgetränke unbekannt.

In dem Jahr, in dem gerade 500 Jahre bayrisches Reinheitsgebot gefeiert wird, klingt es eigenartig lokalpatriotisch: Süddeutsches Bier und vor allen Pilsener ist eine historisch eher neue Erscheinung. Im Mittelalter kam das Bier überwiegend aus Hamburg. Das gilt insbesondere für die Hochzeit der Hanse, wie die neue Ausstellung mit zahlreichen Exponaten, Dokumenten und Inszenierungen nachweist.

Nirgendwo wurden zwischen dem 13. und 15. Jahrhundert solche Mengen Bier produziert wie in Hamburg. Zeitweilig gab es an die 530 Brauereien. Und Alster steht noch immer auf den Getränkekarten. Aus Alsterwasser hatte ein anständiges Bier damals zu sein. Deshalb hatte Bier auch größten Einfluss auf die Stadtentwicklung: Nicht nur, dass die Stadt am Export von Bier nach London und Nowgorod und alle Hanseorte dazwischen viel Geld verdiente, die Stadt selbst veränderte sich: 1235 wurde die Alster aufgestaut, einerseits für das Wasser, andererseits für die Mühlen, von denen etwa ein Drittel Weizenschrot für die Brauer lieferte.

Und die Brauherren waren reich und einflussreich. Die erste „Stadtwasserkunst“, das Wasserhebewerk am Jungfernstieg samt Frischwasserversorgung mit hölzernen Rohren, ging ebenso wie die Gründung der Börse auf ihre Initiative zurück. Brauherren machten sich keineswegs die Finger schmutzig, sie waren die Herren des Biers, nicht seine Hersteller. Die Braurechte waren an den Grundstücksbesitz gekoppelt, manche heute wieder produzierten, restauranteigenen Hausbiere gehen noch immer auf diese alten Regelungen zurück.

Das Bier selbst wurde von Braumägden und Brauknechten handwerklich mit viel mündlich tradierter Erfahrung gemacht. Denn chemisch genau beherrschte Wissenschaft wurde das Brauen erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, nach einer Reihe von Erfindungen wie Louis Pasteurs genauer Analyse der Mikroorganismen in der Hefe, Carl von Lindes Kühlapparaturen und chemisch präzise standardisierten Prozessen. Vorher konnte es immer wieder passieren, dass das Bier sauer und zu Essig wurde, dann war „Hopfen und Malz verloren“.

Haltbarkeit war stets ein großes Problem. Denn die Würzmischung des „Grutbiers“ war einst wesentlich von Gagel bestimmt. Der wildwachsende Gagel ist ein leicht öliger Strauch mit starkem Duft, der das Bier zwar aromatisch, aber nicht haltbarer machte. Das änderte sich erst, als ab etwa 1233 dieses Kraut durch Hopfen aus Mecklenburg und dem Braunschweigischen ersetzt wurde. Die kurz zuvor nach Hamburg gerufenen Franziskaner und Dominikaner haben dieses Wissen wohl mitgebracht. Denn die Klöster sorgten seit je für gutes Bier, es war den Mönchen eine erlaubte und willkommene Fastenspeise.

1235 wurde die Alster aufgestaut, einerseits für das Brauwasser, andererseits für die Mühlen, von denen etwa ein Drittel Weizenschrot für die Brauer lieferte

Das neue Hamburger Hopfenbier wurde von „Probeherren“ regelmäßig getestet, schließlich wollte der Rat für sein jahrhundertelang wichtigstes Exportgut die Qualität garantieren. Jeweils zwei Kannen mussten die Brauereien dafür zur Verfügung stellen. Und die Ergebnisse waren öffentlich: Die Qualitätsrangliste wurde zweimal wöchentlich ausgehängt.

Soll massenhaft Bier verschifft werden, muss eine weitere Branche blühen: Die Zunft der Böttcher. In Hamburg wurden in der Blütezeit 145.000 Fässer im Jahr hergestellt, das Holz von weit her importiert. Nicht alle der 145 Liter fassenden Hanse-Tonnen waren für Bier, aber doch viele: Ein Bierschiff konnte bis zu mehreren Hundert Tonnen laden.

Nun schielt eine von der „Sozietät Norddeutscher Brauereiverbände“ geförderte Ausstellung über Bier ganz gewiss nach großem Publikum samt vielen Neubesuchern und Konsumenten, speziell mit dem aufwendigen, bierigen Beiprogramm. Etwa wurde eigens ein „Craft-Beer“ gebraut, von einer Firma, die auch noch nach dem bekanntesten Seeräuber in der Hamburger Geschichte benamst ist. Aber da die Museen heutzutage immer stärker angehalten werden, als Wirtschaftseinheiten statt als Kulturorte zu agieren, ist so etwas wohl unvermeidlich.

Zur Geschichte des Biers und der Stadt gibt es ja vom Braubottich zum Bierdeckel, vom barocken Humpen bis zur modernen Werbung, von der Konkurrenz von Kaffee und Tee zu den „Actienbrauereien“ und großen Trinkhallen des 19. Jahrhunderts einige durchaus interessante Lernhäppchen. Schade, dass man dazu das vom Hamburger Maler Georg Hinz 1665 in seinem Stillleben gemalte rotblonde Bier nicht trinken kann. Aber das Hausrestaurant hält ein ähnliches Nachbräu bereit. Prost.

„Kein Bier ohne Alster. Hamburg – Brauhaus der Hanse“: bis 12. März 2017, Museum für Hamburgische Geschichte

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen