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Mehr Studis, höhere Hürden

SEMESTERSTART Die norddeutschen Universitäten haben mit immer mehr Bewerbern zu kämpfen: Es gibt mehr Abiturienten denn je und starke Zulassungs-Beschränkungen

Und dann auch noch die Flüchtlinge: Volle Hörsäle wird es an den norddeutschen Hochschulen immer öfter geben Foto: Daniel Bockwoldt/dpa

von Johanna von Criegern

Ihr Abi fiel schlechter aus, als geplant: Schnitt 1,6. Davon können andere nur träumen. Doch für Johanna bedeutete diese Zahl, dass sie schwierige Voraussetzungen bei ihrer Studienplatzbewerbung haben würde. Beworben hat sie sich für die zulassungsbeschränkten Fächer Jura, Medizin und Psychologie. Die Abiturientin aus Wedel gehört zum Doppeljahrgang in Schleswig-Holstein: Dieses Frühjahr schrieben dort gleich zwei Jahrgänge die Abiturprüfung, weil wie in den meisten Bundesländern, die Gymnasialzeit von neun auf acht Jahre verkürzt wird.

Die Anzahl der Abiturienten verdoppelte sich in Schleswig-Holstein durch den Doppeljahrgang zwar nicht, sie stieg im Vergleich zum Vorjahr aber immerhin um fast 50 Prozent: Von knapp 13.000 auf 19.300. Dadurch gibt es in diesem Jahr auch deutlich mehr Studienbewerber als sonst. Die Kieler Christian-Albrechts-Universität, Schleswig-Holsteins einzige Volluniversität, rechnet mit 6.500 Studienanfängern. Normalerweise sind es 5.000. Um dem Ansturm zu begegnen, will sie 1.200 neue Studienplätze schaffen und schreibt 180 Stellen in der Lehre aus. Die neuen Studierenden sollen in angemieteten Gebäuden untergebracht werden – zur Not sollen auch Container her. Für einige besonders beliebte Fächer wie Sport- und Geowissenschaften hat die Uni ab dem Wintersemester neue Zulassungsbeschränkungen eingeführt.

Wie der Christian-Albrechts-Universität ergeht es auch anderen Hochschulen: Die Universität Bremen bietet knapp 3.900 Plätze für Studienanfänger, die einen Bachelorabschluss oder das Erste Staatsexamen anstreben. Bis zum Abgabeschluss am 15. Juli trudelten jedoch 27.000 Bewerbungen für diese Studienplätze ein.

Studieren wird immer beliebter: Von 2005 bis 2014 stieg die Zahl der Studienanfänger bundesweit um 39,3 Prozent. In Niedersachsen waren es gar 49 Prozent. Aber immer mehr Bewerber gehen leer aus. So wie Clara. Die 19-Jährige bewarb sich für den Studiengang Gebärdensprache an der Uni Hamburg. Zeitgleich reichte sie Bewerbungen in Hannover, Kiel und Osnabrück ein. Am 10. August kam der letzte Ablehnungsbescheid.

Nur 18 Plätze bietet Hamburg für den Studiengang Gebärdensprache. Die Nachfrage ist hier deutlich größer als das Platzangebot: Voriges Jahr lag der Numerus Clausus (NC) bei einem Abischnitt von 2,8. Der NC gibt an, welchen Notendurchschnitt die letzte zugelassene Person eines Semesters hat. Clara dachte, dass sie mit einem Schnitt von 2,6 gute Chancen hätte. Diesen Herbst aber liegt er bei 1,9.

Um für die steigende Anzahl an Bewerbern mehr Studienplätze zu schaffen und die Qualität an den Hochschulen zu verbessern, haben Bund und Länder 2007 den „Hochschulpakt 2020“ beschlossen. Dabei unterstützt der Bund die Hochschulen finanziell stark, die Länder steuern einen Teil bei und sind für die Verwaltung der gesamten Gelder verantwortlich. Einige Bundesländer schließen mit ihren Universitäten noch weitere Vereinbarungen. Zum Beispiel verpflichtete sich die Universität Hamburg, seit 2013 und noch bis 2020 jedem ihrer Bachelor-Absolventen einen Masterstudienplatz zuzusichern. Dafür erhält sie jährlich finanzielle Unterstützung des Senats. Ein Teil der Gelder kommt aus dem Hochschulpakt.

Die Förderung von Bund und Ländern lässt aber den NC nicht sinken. Weil die Nachfrage wächst, sorgt der bestehende Mangel an Studienplätzen für immer neue und höhere Zulassungsbeschränkungen. Clara hat sich jetzt eine Anwältin gesucht und gegen ihren Ablehnungsbescheid Widerspruch eingelegt. Ob sie damit Erfolg hat, weiß sie erst in einigen Wochen, wenn das Semester schon längst begonnen hat. Falls es nicht klappt, will sie ein Jahr jobben und sich dann noch einmal bewerben – in Hamburg und Berlin. An dem Hamburger Studienplatzangebot von 18 Plätzen für Gebärdensprache kritisiert sie: „Das ist kleiner als eine normale Schulklasse.“

Weil die Nachfrage wächst, sorgt der Mangel an Studienplätzen für neue Zulassungshürden

Wenn Clara auch im nächsten Jahr nicht genommen wird, muss sie sich nach einem anderen Studiengang umgucken. Und ihr Wunschstudium aufgeben. Sie wäre nicht die Einzige. Viele Abiturienten haben gar keine andere Wahl. Vor allem wer Humanmedizin studieren möchte, hat schlechte Karten. Der Stiftung für Hochschulzulassung zufolge liegt der NC für Medizin dieses Jahr in 14 Bundesländern bei 1,0. Hamburg und Bremen gehören dazu.

Johanna hat sich gleich für mehrere Studiengänge an verschiedenen Orten beworben. Für Medizin wurde sie zwar abgelehnt, zwei Universitäten nahmen sie aber für Psychologie an und in Hamburg erhielt sie einen Platz für Jura. Für Oktober ist sie hier eingeschrieben.

Wer abgelehnt wurde, kann aber noch im Nachrückverfahren Erfolg haben: Viele Bewerber schicken mehrere Bewerbungen ab und erhalten auch mehrere Angebote von verschiedenen Universitäten. Letztendlich schreiben sie sich nur an einer Universität ein. So bleiben Plätze für Nachrücker frei.

Um solche Mehrzulassungen zu verhindern, gibt es seit einigen Jahren das „Dialogorientierte Serviceverfahren“ (DOSV) der Stiftung für Hochschulzulassung: Über ein Internetportal sollen sich Interessierte bei den Universitäten bewerben. Wenn sie mehrere Angebote erhalten, müssen sie sich schnell entscheiden. Die anderen Plätze können dann an andere Bewerber vergeben werden – ohne dass diese vorher einen Ablehnungsbescheid erhalten. Es ist ein weiterer Schritt, um vielen Abiturienten den Einstieg in ihr Wunschstudium zu ermöglichen. Egal, mit welchem NC.

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