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Sehnsucht In Ländern außerhalb der EU ist die Idee von Europa lebendig, obwohl auch der Blick auf die Defizite unverstellt bleibt. Das ersehnte Europa ist jenes, in dem Freiheit, Solidarität, Gleichheit und Toleranz nicht nur Phrasen sindStimmen von außerhalb

Polen. Pilger beten vor dem Jasna-Góra-Paulinerkloster in Częstochowa. Es ist der letzte Akt ihrer zehntägigen Wallfahrt Foto: Maciek Nabrdalik

Protokolle Marie Kilg, Jan Feddersen und Barbara Oertel

Jamala, Gewinnerin des Eurovision Song Contest 2016 aus der Ukraine

Geografisch, kulturell und mental ist die Ukraine zweifelsohne Teil Europas. Wäre die Sowjetunion nicht gewesen, wären wir heute wahrscheinlich Teil der EU. Ich bin sicher, wir werden es auch irgendwann sein, aber das braucht noch Zeit. Mittlerweile gibt es eine neue Generation, die in Freiheit aufwachsen konnte. Die jungen Leute haben Zugang zu jedweder Information. Sie sind es, die nun neue Unternehmen gründen, neue Musik komponieren, neue Bücher schreiben, neue Mode und Software entwerfen. Bald werden sie auch unser Land regieren und ihren Platz in der europäischen Familie einnehmen. Lass uns hoffen, dass Europa dann immer noch frei, multikulturell, so wohlhabend, sicher und offen für Neues ist.

Tamara Grigorjan, 28, Bloggerin aus Karwatschar in Armenien

Ich lebe in Karwatschar, einem Ort, der 320 Kilometer von der armenischen Hauptstadt Jerewan entfernt ist. Karwatschar wird von der Region Bergkarabach verwaltet und befindet sich in einem von Armenien befreiten oder besetzten Gebiet – das kommt auf den jeweiligen Standpunkt an. Im vergangenen April ist der Krieg zu uns zurückgekehrt. Bei Kämpfen zwischen Armenien und Aserbaidschan starben Hunderte Soldaten auf beiden Seiten.

Aufgewachsen bin ich in Vanadzor und mit 17 Jahren zum Journalistikstudium nach Jerewan gegangen. Seit sieben Jahren schreibe ich einen Blog über Theater. 2012, nach Abschluss des Studiums, haben mein Freund Davit und ich in Jerewan geheiratet. Zwei Tage später sind wir nach Karwatschar gezogen. Unsere Verwandten wollten das nicht, aber dann haben sie eingesehen, dass wir unsere Entscheidung nicht ändern würden. Davit arbeitet in einer Schule als Geschichtslehrer. Ich schreibe für verschiedene Medien und gebe Kindern Englischunterricht in unserem örtlichen Kulturhaus.

Wenn ich an Europa denke, kommen mir als Erstes Vincent van Gogh und seine Bilder in den Sinn. Für mich ist Europa ein Symbol der Zivilisation, ein Ort, an dem der Mensch an sich einen Wert hat. Heute haben wir Armenier noch keinen Platz in Europa, weil unser Land schwach ist, Europa aber starke Partner braucht. Dennoch haben wir eine reiche Kultur, die wir mit Würde präsentieren müssen. Ich träume von einem demokratischen Armenien, obwohl der Weg dahin noch weit ist. Ich träume von einem Land, in dem die Menschen zufrieden sind. Und von einem Leben mit Davit und Kindern in unserem Haus in Karwatschar.

Christoph Krieg, 25, Student aus der Schweiz

Dank bilateraler Verträge zwischen der Schweiz und der EU kann die Schweiz viele Eigenschaften der EU nutzen, auch ohne ein Mitgliedsstaat zu sein. Sie hat auch so (eingeschränkten) Zugang zum europäischen Binnenmarkt, und dank Schengen ist Reisen in Europa unkompliziert möglich. Zwar wäre es interessant, bei der EU-Gesetzgebung aktiv mitzuwirken – und auch mitentscheiden zu können, was mit dem von der Schweiz an die EU überwiesenen Geld passiert. Doch das käme mit einem Preis: Wesentliche Prinzipien der Schweizer Demokratie müssten – zumindest teilweise – aufgegeben werden. Direkte Demokratie und ein ausgeprägter Föderalismus bilden das Kernstück der politischen Schweiz. Gerade aus Schweizer Sicht weist die EU eher ein Demokratiedefizit aus.

Viele SchweizerInnen – wie wohl auch viele EU-BürgerInnen – sehen die EU als geldverschlingendes Bürokratiemonster, das sich kaum je an seine eigenen Regeln wie etwa die Maastrichter Kriterien hält und sich alljährlich aus neuen Krisen retten muss.

Damit ein EU-Beitritt für die Mehrheit der SchweizerInnen wirklich interessant wäre, müsste sie sich grundlegend verändern. Die Vision einer solchen EU sollte klar direkt-demokratische Züge aufweisen und dem föderalistischen Subsidiaritätsprinzip auf Staatenebene Rechnung tragen. Sie sollte sich zu Rechtsstaatlichkeit und Transparenz verpflichten. Eine solche Union wäre keine Transferunion, sondern eine Union, die mit liberalen Gesetzen die institutionellen Rahmenbedingungen in Europa stärkt und die individuellen Grundrechte sichert. Zu solch einer Union würde ich auch gehören wollen.

Noy Maya, 23, studiert Kommunikationswissenschaften in Tel Aviv, Israel

Vor ein paar Wochen habe ich einen Zeitungsartikel über Menschen auf einer kleinen griechischen Insel gelesen. Sie lebten ein gutes, langes, ruhiges Leben, nicht so hektisch wie bei uns. In Israel ist es nicht leicht, wir liefern uns Wettrennen um Arbeit und Wohnraum. Ich möchte gerne einen gut bezahlten Job finden, damit ich mir irgendwann ein Haus leisten kann. Ich möchte meinen Kindern etwas hinterlassen. Viele Menschen hier werden das nicht schaffen. Israel als EU-Mitglied klang für mich also zuerst nach einer schönen Vision.

Ich sehe mich als Weltbürgerin und ärgere mich oft darüber, dass es für uns so schwer ist, in einem anderen Land der Welt zu arbeiten oder zu leben. Die EU würde der israelischen Mittelklasse vielleicht neue Möglichkeiten eröffnen. Wir könnten uns in der EU sicherer fühlen, als Freund – wirtschaftlich und politisch.

Aber abgesehen von den individuellen Vorteilen für uns Bürger und Bürgerinnen würde eine EU-Mitgliedschaft große Probleme machen. Für das Kollektiv, die Nation, gäbe es Nachteile. Die Freizügigkeit wäre schlecht für die jüdische Mehrheit im Land. Die EU bewirbt postnationales Denken. Doch meiner Meinung nach widerspricht das der israelischen Idee. Wenn viele Nichtjuden nach Israel kommen und jüdische Israelis das Land verlassen, kann Israel kein sicherer Ort für Juden mehr sein.

Youssef Haddouch, arbeitet bei einer NGO in Er Rachidia, Marokko

Marokko ist ein Baum, der seine Wurzeln in Afrika hat und seine Äste nach Europa ausstreckt“, sagte Hassan II., der ehemalige König von Marokko. Sein Nachfolger, der heutige König Mohammed VI., wendet sich von Europa ab. Weil er den Westsaharakonflikt nicht lösen will, arbeitet er Hand in Hand mit Afrika und Russland und investiert in afrikanische Projekte.

Ich denke, dass mein Land irgendwann der EU beitreten wird. Das würde Marokko sehr helfen. Wir haben zu viele Probleme – eine hohe Arbeitslosigkeit und eine schlechte Menschen- und Frauenrechtssituation.

Aber Marokko wird sich nur schwer verändern. Katar und die Emirate organisieren Projekte und Subventionen; in der Realität nützt das alles nichts. Warum? Weil nur ein kleiner Teil der Bevölkerung profitiert. Im Grunde heißt das: Eigentlich haben wir eine Mentalitätskrise.

Eine Mitgliedschaft in der EU würde in vielen Bereichen helfen: auf politischer Ebene, in der Wirtschaft, aber eben auch für die soziale Zusammenarbeit und im Bereich der Kultur.

Ich möchte in meinem Land bleiben und arbeiten. Aber ich denke oft darüber nach, nach Europa zu gehen, weil ich nicht sehr frei bin hier und es wenig Arbeit gibt.

Ihr Europäer seht den Wert der EU gar nicht. Gleichzeitig denke ich an mein Land, daran, was hier gebraucht wird, und ich möchte Europa widerstehen, solange ich kann.

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