: Merkel trotzt den Schreihälsen
NIEDERSACHSEN Beim einzigen Auftritt der Kanzlerin im Kommunalwahlkampf pöbeln Rechtspopulisten von der AfD und fordern ihren Rücktritt. Die flüchtet in Routine
AUS CELLE ANDREAS WYPUTTA
Angela Merkel wirkt müde, als sie im Endspurt vor den niedersächsischen Kommunalwahlen auf eine Bühne ihrer CDU in Celle steigt. Die Kanzlerin hat den G-20-Gipfel in China, die Wahlniederlage ihrer Partei in ihrem Heimatland Mecklenburg-Vorpommern und die Haushaltsgeneraldebatte hinter sich.
In der Provinz 40 Kilometer nördlich von Hannover soll sie am Mittwochabend auch noch Werbung für den Christdemokraten Jörg Nigge machen: Der will in der knapp 70.000 Einwohner zählenden Kreisstadt nördlich von Hannover Oberbürgermeister werden und damit den seit sieben Jahren regierenden Sozialdemokraten Dirk-Ulrich Mende ablösen.
Eigentlich müsste Merkels Auftritt ein Heimspiel sein: Celle gilt als strukturell konservative Beamtenstadt, die Wahl Mendes zumindest innerhalb der CDU als Betriebsunfall. Doch die Kanzlerin ist viel zu sehr Politprofi, um nicht zu wissen, dass dieser Wahlkampfeinsatz nicht ganz leicht wird: Unter die knapp 1.000 BürgerInnen, die sie auf dem Großen Plan, dem von vielen schmucken Fachwerkhäuschen gerahmten zentralen Platz der Stadt, erwarten, haben sich viele Anhänger der rechtspopulistischen AfD gemischt.
Die machen während der gesamten Rede Merkels Stimmung gegen die Kanzlerin: „Hau ab!“ und „Merkel muss weg“ brüllen sie. Auch „Wir sind das Volk“, der von den Pegida-Marschierern okkupierte Slogan der DDR-Opposition, ist immer wieder deutlich zu hören. „Stoppt die Kriegstreiberei gegen Russland“, ist auf einem Transparent zu lesen.
Die Rechtspopulisten treibt eine Mischung aus Angst und Verfolgungswahn. Ein Mittfünfziger gibt sich zwar als AfD-Mitglied zu erkennen, versteckt sein Gesicht aber hinter einem selbst gebastelten Plakat. „Merkel muss weg“ steht auch darauf – und „Kinder haften für ihre Eltern“. Er habe keine Lust, künftig mit einem „deutschen Stern“ herumzulaufen, sagt er und zieht so einen geschmacklosen Vergleich mit der Entrechtung der Juden durch den gelben Stern der Nationalsozialisten.
Wenn bekannt werde, dass er in der AfD sei, drohe ihm Gewalt, sagt ein anderer Mann, der seinen Namen ebenfalls nicht nennen will. „Am Schluss wird mein Auto abgefackelt“, fürchtet er.
Überhaupt, Furcht: „Ich hab die Schnauze voll, will nicht bei jedem Mülleimer Angst haben müssen, dass da ’ne Bombe drin ist“, redet sich der Shirtträger in Rage. Schuld daran seien „die Flüchtlinge, die Moslems“ – die Rechtspopulisten haben die platten AfD-Parolen, die den Islam pauschal mit Islamismus und Terror gleichsetzen, zutiefst verinnerlicht.
Auf der Bühne hält Angela Merkel währenddessen die Routinerede, die sie schon bei Hunderten Wahlkampfauftritten variiert hat. Zwar erinnert die Kanzlerin an „die fürchterlichen Bürgerkriege“, die in Syrien und im Irak toben. Ansonsten aber versucht sie, an die Wohlfühlstimmung der alten Bundesrepublik anzuknüpfen: Die Regierungschefin verspricht den Erhalt der sozialen Marktwirtschaft genauso wie die Schaffung neuer Jobs durch die Stärkung von Mittelstand und Handwerk. Auch Bürokratieabbau und Steuersenkungen fehlen nicht. Als lokales Element verspricht Merkel den Bau einer Ortsumgehungsstraße.
Die aus den Bürgerkriegen geflüchteten Menschen erwähnt die Kanzlerin dagegen nur indirekt, verpackt in einen Dank an alle ehrenamtlich engagierten BürgerInnen.
Merkels Gespür für politische Stimmung funktioniert noch immer – doch mehr als Höflichkeitsapplaus erntet sie bei den oft grauhaarigen CDU-Sympathisanten in Celle lange Zeit nicht. Die Unterstützung des Publikums bekommt die Parteichefin erst, als sie sich direkt gegen die Krakeeler von der AfD wendet: Die sollten „nicht nur herumschreien, sondern auch mal zuhören“, poltert die Kanzlerin.
Immerhin: Ein Ergebnis wie in Mecklenburg-Vorpommern werden die Rechtspopulisten in Niedersachsen nicht einfahren können. Für AfD-Landeschef Armin-Paul Hampel wären auch zehn Prozent ein Erfolg – seine Partei hat es schlicht nicht geschafft, landesweit Kandidaten aufzustellen.
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