Magazin-Festival Indiecon: Engagierte LiebhaberInnen
Auf der Indiecon in Hamburg stellen sich unabhängige Magazine vor. Einige zeigen: Es geht auch um Inhalte und nicht nur um die Form.
Ein Magazin selbst zu machen, ist Selbstausbeutung, heißt es unter Magazin-Selbstmachern. Trotzdem gibt es davon unzählige und einmal im Jahr treffen sie sich bei der Indiecon, dem Festival für Independent-Magazine in der Heinrich-Heine-Villa in Hamburg und dem anschließenden Indiemagday im Hamburger Oberhafen, einer Art Marktplatz für Indiemags.
Ein Indiemag wird nicht von einem großen Verlag herausgegeben, sondern von engagierten LiebhaberInnen. Je nach Grad der Professionalisierung übernehmen diese Redaktionelles und Design, aber auch Marketing, PR und Vertrieb.
Der Running Gag auf der Indiecon, die dieses Wochenende zum dritten Mal stattfand, ist das Wohnzimmer, das gleichzeitig als Redaktionsraum, Atelier und Lagerhalle zweckentfremdet wird. Das kennen nämlich alle Magazinmacher mindestens aus ihrer Anfangszeit.
Viel kann man den „Indiemags“ nachsagen: Oliver Gehrs, Herausgeber des erfolgreichen Indiemags Dummy, bemängelte vor einigen Jahren etwa, dass dem redaktionellen Inhalt weniger Bedeutung beigemessen werde als der optischen Ästhetik.
Gesellschaftspolitischer Anspruch
Und auch dieses Jahr ist da etwas dran: Viele Indiemags präsentieren sich als hübsche Lifestyle-Hipster-Magazine. Einige aber versuchen mehr zu sein und verwirklichen durchaus einen gesellschaftspolitischen Anspruch.
Das Magazin Sofa zum Beispiel erscheint seit Ende Juli. Es will in seiner ersten Ausgabe die Trashkultur feiern. Durch seine Ästhetik, die sich vor allem an der Bravo orientiert, meint man auch gleich, in einem bunten Popcorn-Magazin gelandet zu sein.
Magazin „Thnk Tnk“
Die Themen des Magazins hinterfragen dann aber genau die Dinge, die die Bravo feiert. LGBTQI, Feminismus und das Ausloten neuer Lebensformen finden hier statt, wo ein pausbäckiges Mädchen den Leser grimmig vom Cover anschaut, während über ihm in pinker Bubble-Schrift der Titel das Magazins blubbert. Das Titelthema ist dabei gleichzeitig die Zielgruppe: Teens von heute.
Queer-feministisch ist auch das Magazin BBY. Ausschließlich Frauen behandeln in dessen zweiter Ausgabe das Thema Interior Design. Auch wenn das Oberthema im Eifer des knallbunten Gefechts immer wieder untergeht, macht es doch Spaß, wenn die Macherinnen ihre Lieblingsdesignerinnen interviewen oder Künstlern kreative Aufgaben stellen.
Dabei dekonstruieren sie immer wieder das Oberthema. Schon das Editorial verspricht „10 cheap tricks to make your home look more expensive“ und darunter: „9 genius hacks to hide your bourgeois background“.
Art pour l'art
Ein drittes Magazin hat alles, was an Indiemags bemängelt werden kann, es verzichtet auf jeglichen echten Inhalt. Das ··· -Magazin, gesprochen „Punkt-Punkt-Punkt-Magazin“ entsteht, indem man vor Ort auf einen Button klickt. Dadurch setzt sich ein Programm in Bewegung, das willkürlich ein Wort wählt und dann Text- und Bild-Datenbanken darauf durchsucht.
Nach wenigen Minuten konzipiert sich so nach dem Zufallsprinzip ein komplett sinnfreies Magazin. Es wird sofort ausgedruckt, geheftet und mitgenommen. Ein Stück Kunst, das ohne Künstler auskommt – ohne Grafikdesigner, ohne Autor, ohne Redakteur. Es zeigt auf, wie die Digitalisierung sich zurück in die analoge Printwelt kämpfen kann. Am Ende bleibt aber der Eindruck von der art pour l’art.
Thnk Tnk begann als Uniprojekt. Es mutet auf den ersten Blick sehr verkopft an und wenn man hineinschaut, merkt man, dass der erste Blick recht hatte. Aber auch hier fusionieren Gestaltung und Inhalt zu einem stimmigen Gesamtkunstwerk. In der aktuellen zweiten Ausgabe geht es – grob – um gesellschaftlich nachhaltiges oder zumindest bewusstes Wirtschaften und Handeln.
Überhaupt stellt das Magazin, nicht ganz unpathetisch, die Frage, wie Designprozesse aussehen müssten, um gesellschaftliche Prozesse mitgestalten zu können. Was ist etwa Populismus, was kann linker rechtem Populismus entgegensetzen, und was ist „ehrlicher“ Populismus?
Spannend ist das Streitgespräch zwischen einem AfD-Funktionär und einem Antifa-Mitglied, bei dem zwar keine Dogmatiken verworfen werden, aber ein Diskurs stattfindet, der auf seine „Intersubjektivität“ stolz ist.
Empowerment
Ein weiteres interessantes Projekt ist das Cameo-Magazin. Ein Cameo ist ein Gastauftritt in einem Film, einem Theaterstück oder einem Roman. Ein kurzes Auftauchen, das selten zur Handlung beiträgt und das schnell wieder vergessen wird. Cameo indes handelt von Geflüchteten und möchte dafür sorgen, das diese in unserer Gesellschaft mehr sind als eine Randnotiz.
Es geht um Integration, um Netzwerke, die Integration schaffen und darum, Geflüchteten eine Möglichkeit zu geben, sich kreativ zu verwirklichen. Die aktuelle zweite Ausgabe ist zwar schon ein Jahr alt, doch ist das Projekt mittlerweile so weit gewachsen, dass das Cameo-Kollektiv im Großraum Hannover aus beinahe 100 Leuten besteht, die gemeinsam an Ausstellungen arbeiten und überlegen, wie man sowohl Empowerment ermöglicht – für Menschen, die nicht integriert sind, als auch in der Gesellschaft selbst.
Die dritten Ausgabe soll im Januar erscheinen. Indiemags, das jedenfalls wird deutlich, können weit mehr sein als Reisemagazine und gedruckte Interior-Design-Blogs – selbst wenn sie genau das sind.
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