Kolumne Lügenleser: Burkinis für Brandenburg
Die Vorurteile gegen den Osten sind meist unfair. Bei Hertha BSC und 1. FC Union ist man tolerant. Aber nackte Waden zeigen Hakenkreuz.
E in beliebiges Strandbad in Brandenburg. Handtücher, Sonnenschirme, Eis, Luftmatratzen, dicke Bäuche. Bei einigen wünscht man sich etwas mehr Stoff am Körper, aber nun gut. Alles so, wie man es erwartet. Ob Wandlitz, Halbe oder Neuruppin – spielt keine Rolle mehr. Die Verhältnisse sind ortsübergreifend. Mein Gipsfuß hindert mich am Badespaß, ich lese einen aktuellen Bestseller, welch großer Fehler. Das Buch macht mich so wütend, dass ich es an die Wand werfen möchte, wo es im Idealfall in tausend Teile zerspringt. Leider bestehen Bücher aus Pappe und Papier, eine Wand ist ebenfalls nicht in Sichtweite.
Also beobachte ich meine Umgebung. Bereits nach wenigen Sekunden schießen einem automatisch die Bilder in den Kopf, die vergangene Woche ebenfalls für Wut gesorgt haben. Von der Sonne verbrannte Familien, die schweigend bis zustimmend dabei zusehen, wie eine Frau von vier Männern in Uniform gezwungen wird, sich zu entkleiden.
Schockiert hat mich nicht die Gesetzgebung eines Ortes in Südfrankreich. Die Hoffnung auf sinnvolle Gesetze habe ich aufgegeben. Schockiert hat mich das „Volk“. Die Tatenlosigkeit der Beisitzenden. Diese tumben Gesichter, voller Sensationsgeilheit, Schadenfreude und Ignoranz. Ob das hier anders wäre? Der Erste, der ins Blickfeld gerät, trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift: „Ich bin kein Klugscheißer, ich weiß es wirklich besser.“ Viel Widerstand wäre sicherlich nicht zu erwarten, wenn hier jemand aus „den richtigen Gründen“ gedemütigt würde. Steile These, nur aufgrund einer einzelnen, bierseligen Oberbekleidung, ich weiß. Sein Freund trägt eine Badehose in den Farben der Flagge des Deutschen Reichs. Ein arabisches Königreich für einen Burkini. Ich humpele rüber ins Strandcafé. Eine überdimensionale Deutschlandfahne, auf einem Flachbildfernseher wird das Spiel von Hertha BSC übertragen, obwohl alle Angestellten 1.-FC-Union-Trikots tragen. Da ist man tolerant.
Auf einer Tafel die Ankündigung: „Stainless Steel und Killerton. Die besten Böhse Onkelz- und Frei.Wild-Coverbands Deutschlands“. Ein Burkini wird hier immer unwahrscheinlicher, aber ich gebe nicht auf. Ich weiß um die Vorurteile gegen den Osten. Sie sind meist unfair. Denn der Westen ist nicht besser. Er vermag seine Ressentiments nur galanter zu verstecken, unter einer Decke von mittelständischer Bildung und gepflegten Rotwein-Abenden statt schalem Dosenbier am Stammtisch. Nebenan sitzen zwei junge Männer. Einer trägt ein Hemd mit Runen-Aufschrift. Zusammengefasst steht dort: „Keine Gnade“. Sein Kollege hat gleich ganz auf ein T-Shirt verzichtet. Auf dem Arm prangt der Schriftzug „Skinhead“, auf der Wade ein blitzsauberes Hakenkreuz. Um ihn herum rennen Kinder, alte Männer in zu enger Badehose grüßen, die Bedienung scherzt. Der Rest des Lokals scheint ebenfalls keinen Anstoß zu nehmen, man kennt sich.
Es gibt Regeln und Traditionen in diesem Land. Sagt nicht nur die CSU. Die Burka gehört nicht dazu, hört man immer wieder. Das Hakenkreuz offenbar schon. Burkinis für Brandenburg und Restdeutschland? Ja, bitte!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Klimaziele der EU in weiter Ferne
Neue Klimaklage gegen Bundesregierung
Kritik an Antisemitismus-Resolution
So kann man Antisemitismus nicht bekämpfen