Streit um Straßen-Bemalung: „Das ist Amtsanmaßung“
Die Anwohner-Ini Lahnstraße hat zur Verkehrsberuhigung eine Kreuzung blau gefärbt, das Amt hat’s wieder weggefräst: zu Recht, sagt Anwältin Alexandra Siemering
taz: Frau Siemering, was ist konkret ein gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr?
Alexandra Siemering: Beispielsweise Dinge von der Autobahnbrücke schmeißen, Gullydeckel entfernen, gefährliche Hindernisse aufstellen. Das kann sein: Draht über die Fahrbahn spannen, Straßensperren errichten, das Werfen von Holzscheiten. Und auch als Autofahrer kann man selbst gefährlich in den Straßenverkehr eingreifen: etwa durch das Abbremsen, um anderen eine Lektion zu erteilen, oder absichtliches Schneiden.
Wir fragen für eine Bürger-Initiative: Ist das Färben einer Kreuzung mit blauer Farbe auch ein gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr?
Erst dann, wenn ein objektiver und ein subjektiver Tatbestand zusammenkommen. Der objektive Tatbestand ist eine abstrakte Gefährdung der Sicherheit des Straßenverkehrs. Die ist bei einer blauen Kreuzung durchaus gegeben. Die Motivation der Anwohner war jedoch im Zweifel das Gegenteil: Die Färbung sollte zur Sicherheit beitragen. Die Initiative wollte die Verkehrsteilnehmer an die geltenden Regeln, rechts vor links, erinnern. Damit ist der subjektive Tatbestand womöglich nicht erfüllt. Um gefährlich zu sein, muss der Eingriff zudem mit Schädigungsvorsatz getätigt worden sein. Außerdem muss für den Tatbestand des gefährlichen Eingriffes eine konkrete Gefahr für Verkehrsteilnehmer nachgewiesen sein. Durch Außenstehende müsste etwa ein Unfall oder ein Beinahe-Unfall bezeugt sein, der auf die blaue Kreuzung zurückzuführen ist. Das ist in diesem Fall zweifelhaft.
45, Rechtsanwältin. Arbeitet im Transport- und Speditionsrecht, kennt sich aber auch im Verkehrsrecht aus. Sie ist Bremerin und seit 2005 selbstständig.
Dann hatte Jens Tittmann, Sprecher des Bausenators, also unrecht, als er die Aktion als „gefährlichen Eingriff“ wertete. War es dann auch unrechtmäßig, sofort alles zu sperren, einzureißen und neu zu asphaltieren?
Nein. Dafür gibt es Verwaltungsvorschriften im Bremer Landesgesetz. Um eine drohende Gefahr abzuwenden, kann die Behörde die Maßnahme unter bestimmen Voraussetzungen ohne vorherige Aufforderung an den Störer mit einer sogenannten Ersatzvornahme durchführen. Und dann anschließend die Kosten auf den Verursacher abwälzen.
Aber geht von einer blauen Kreuzung eine Gefahr aus?
Sie ist eine Irritation. Für den Straßenverkehr gilt das Sichtbarkeitsprinzip: Jeder Verkehrsteilnehmer, der an die Kreuzung kommt, muss mit einem beiläufigen Blick die Verkehrszeichen verstehen können. Wenn ich als Fahrerin in eine verkehrsberuhigte Zone komme und dort ein Schild für Tempo 30 steht, ist mir klar: Hier muss ich mich an rechts vor links halten. Das weiß ich aber nicht deswegen, weil die Straße blau angemalt ist. Diese Markierung ist kein erkennbares Verkehrszeichen. Die STVO regelt genau, was zulässige Verkehrszeichen sind: Blaue Farbe für eine Kreuzung ist da nicht vorgesehen.
Aber das ist doch trotzdem nicht gefährlich.
Doch: sowohl die blaue Farbe als auch die rote Linie, die wie eine Haltelinie aussieht. Als Verkehrsteilnehmer könnte ich denken, dass ich dort in jedem Fall halten muss. Wenn jemand hinter mir fährt, rechnet der nicht damit, dass ich auch ohne bevorrechtigten Querverkehr halte. Damit besteht die Gefahr eines Auffahrunfalls. Das gefährdet mich, meinen Mitfahrer und den Hintermann.
Aber gerade, weil die Situation in der Lahnstraße vorher so gefährlich war, hat die Ini die Kreuzung gefärbt. Hätte man nicht abwarten können und gucken, ob es funktioniert?
Nein: Wenn man von der STVO abweichende Zeichen und Markierungen anbringt, entbehren die einer Rechtsgrundlage. Sobald das Amt Kenntnis von einem rechtswidrigen Zustand hat, ist es dazu aufgefordert, ihn zu beheben. Deswegen hat der ASV auch so schnell reagiert. Tut es das nicht, trägt das Amt an einem Unfall im Zweifel Mitschuld.
Waren denn der große Aufriss und die Kosten von 8.500 Euro verhältnismäßig?
Ob die Kosten gerechtfertigt sind, müsste gegebenenfalls ein Gutachter prüfen und einschätzen. Wenn ich der Adressat dieser Rechnung wäre, würde ich der Zahlungsaufforderung widersprechen und einen Sachverständigen einsetzen. So viel mehr kostet der dann auch wieder nicht. Alle Amtsmaßnahmen müssen erforderlich, geeignet und angemessen sein. Wenn es eine andere Möglichkeit zum Beheben der Markierung gegeben hätte, etwa durch Übergießen, hätte das ASV ein ebenso geeignetes milderes und billigeres Mittel vorziehen müssen.
Wäre es besser gewesen, wenn die Anwohnerinitiative Poller oder Kölner Teller angebracht hätte?
Kölner Teller gelten nicht als Hindernis. Solange sie ordnungsgemäß und sachgerecht angebracht sind, geht von ihnen keine Gefahr für den Straßenverkehr aus. Aber ohne Befugnis oder Genehmigung geht beides grundsätzlich nicht. Solche eigenmächtigen Handlungen sind immer Amtsanmaßungen. Auch wenn es kein gefährlicher Eingriff ist. Ein Poller stellt grundsätzlich jedoch ein Hindernis dar.
Immerhin hat das ASV auf eine Anzeige verzichtet.
Amtsanmaßung ist ein Offizialdelikt, eine Strafverfolgung erfolgt nicht auf Antrag. Vermutlich bekommen die Initiatoren also trotzdem bald Post vom Staatsanwalt. Außerdem war das Färben natürlich Sachbeschädigung, also unbefugtes Verändern des Erscheinungsbildes einer fremden Sache.
Was ist denn, wenn jetzt an der selben Kreuzung Beinahe-Unfälle oder gar richtige Unfälle passieren, weil eben rechts vor links missachtet wird?
Das wäre ein Indiz dafür, dass Maßnahmen erforderlich sind. Das würde aber keinen rechtswidrigen Zustand rechtfertigen, sondern nur einen erhöhten Handlungsbedarf für das Amt bedeuten.
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