: Blutiger Anschlag auf eine Hochzeit
Terror Die Bombe explodiert mitten in der Festgesellschaft. Drahtzieher des Attentats in der südtürkischen Stadt Gaziantep ist wohl der IS. Die Familie des Bräutigams war in der kurdisch-linken Partei HDP aktiv
Aus Istanbul Jürgen Gottschlich
Es sollte der Tag ihres Lebens werden. Eine große kurdische Hochzeit mitten im kurdischen Viertel von Gaziantep. Hunderte Besucher, der Höhepunkt der Hochzeit – der traditionelle Umzug der Braut von der Wohnung ihrer Eltern zu der des Bräutigams – war gerade im Gange. Das Brautpaar und alle Hochzeitsgäste befanden sich auf der Straße, als gegen 23 Uhr die Detonation einer Bombe das Fest in blanken Horror verwandelte.
Die Bombe ging mitten in der Menge hoch, vermutlich ein Selbstmordattentat; der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan sagte am Sonntag, bei dem Attentäter handle es sich um ein Kind zwischen 12 und 14 Jahren. Zuvor hatte der Gouverneur von Gaziantep erklärt, es seien Überreste einer Sprengstoffweste gefunden worden.
In den engen Gassen des Viertels hatte die Explosion eine besondere Wucht. Die großen türkischen Medien zeigten am Sonntagmorgen die Schrapnell-Einschläge der Bombe, die Löcher in Hauswänden und selbst in eisernen Haustüren hinterlassen hatte.
Zeugen berichteten von blutigen Leichenteilen auf den Straßen. Bis Sonntagnachmittag zählten die Sicherheitskräfte 51 Tote und mindestens einhundert zum Teil schwer Verletzte. Nach einem Bericht der Tageszeitung Hürriyet wurde das Brautpaar verletzt, überlebte den Anschlag aber.
Beide Familien stammen ursprünglich aus der Kleinstadt Siirt, deren Bevölkerung gemischt kurdisch und arabisch ist. Deshalb gab es zunächst Spekulationen über den ethnischen Hintergrund des Brautpaares und der Hochzeitsgäste. Die kurdisch-linke HDP teilte aber noch in der Nacht mit, dass die Familie des Bräutigams aktiv in der Partei mitgearbeitet und es sich um eine kurdische Hochzeit gehandelt habe. Das legt den Schluss nahe, dass mit dem Attentat gezielt HDP-Anhänger getroffen werden sollten.
Das Attentat reiht sich damit ein in die Serie von Anschlägen im letzten Jahr, als im Mai in Diyarbakır, im Juli in Suruç und zuletzt im Oktober während einer großen Friedensdemo der HDP in Ankara jeweils HDP-Anhänger zum Ziel von Selbstmordanschlägen wurden. Für alle diese Anschläge machten die Sicherheitskräfte türkische Anhänger des IS verantwortlich.
Erdoğan zufolge ist der IS auch für den Anschlag in Gaziantep verantwortlich. Wie schon bei anderen Gelegenheiten nannte Erdoğan den IS, die PKK und die Gülen-Anhänger allesamt als eine Front, die die Türkei zerstören und entlang ethnischer oder religiöser Linien spalten wolle.
Der Kovorsitzende der HDP, Selahattin Demirtaş, brachte eine weitere Vermutung in Umlauf. Man sollte prüfen, sagte Demirtaş im Sender IMC, ob dieser Anschlag nicht eine Verlängerung des Putsches vom 15. Juli sei, also ob die Drahtzieher des Anschlags auch Anhänger der Gülen-Bewegung seien. Ausführende des Attentats könnten demnach zwar durchaus türkische IS-Anhänger sein, aber für die Sicherheitslücken beim Geheimdienst und der Polizei, durch die die Anschläge auf HDP-Anhänger möglich wurden, könnten Gülen-Anhänger in den Institutionen verantwortlich gewesen sein. „Sie wollen uns in einen Bürgerkrieg treiben“, vermutete Demirtaş, „alle Parteien sollten sich zusammensetzen und beraten, wie das verhindert werden kann.“
Es gibt aber auch genügend Anhaltspunkte dafür, dass der IS ganz ohne Beeinflussung durch die Gülen-Bewegung als Urheber des Anschlags auf die Hochzeitsgesellschaft verantwortlich ist. Aus Sicht des IS kämpfen die Kurden in Syrien und in der Türkei zusammen. Erst vor wenigen Tagen hat der IS gegen Kämpfer der syrischen Kurden in Manbidsch, einer Stadt in Syrien auf halber Strecke zwischen der IS-Hochburg Rakka und der türkischen Grenze, eine schwere Niederlage erlitten. Es liegt nahe, das Attentat als Rache für Manbidsch zu sehen.
Auch der Ort Gaziantep legt den Verdacht auf eine IS-Täterschaft nahe. Wohl nirgendwo sonst in der Türkei gibt es so viele Kämpfer aus dem syrischen Bürgerkrieg wie in Gaziantep. Die Millionenstadt an der Grenze zu Syrien ist einer der Hauptrückzugsorte von Assad-Gegnern jeder Couleur. Dazu gehören neben Angehörigen der „Freien Syrischen Armee“ auch Islamisten aller Gruppierungen. Es ist kein Geheimnis, dass auch der IS in Gaziantep aktiv ist. Im vergangenen Jahr ermordete er in der Stadt geflüchtete IS-kritische syrische Journalisten. Der Krieg hat in dieser Region die Grenze längst überschritten.
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