Kolumne Durch die Nacht: Bumm-bumm und die richtige Politik
Auf dem Zug der Liebe wurde der menschlichen Nähe gehuldigt – und der Politik. Das weckt Erwartungen an die Fuckparade.
Stundenlang hinter ein paar Wagen hinterherzulaufen, von denen herab pausenlos Technomusik schallt – das ist nichts mehr, für das sich Millionen begeistern können, wie zu den besten Zeiten der Loveparade. Zum Zug der Liebe am vergangenen Wochenende kamen gerade mal zehntausend Raver. Ich fand’s trotzdem super. Zehntausend Freaks auf einen Haufen oder zumindest Menschen, die einen Tag lang so taten und aussahen, als seien sie welche – wo hat man das sonst schon?
Es ging vielleicht etwas arg viel um die Liebe, für die man bei diesem Umzug auf die Straße gehen wollte. Überall gab es Herzchen, alles war so positiv, es fehlten nur noch ein paar Räucherstäbchen und ein Yoga-Wagen. AfD, Gentrifizierung, Frank Henkel: Gegen all das wollte man ja auch demonstrieren. Da war es nicht ausreichend, nur Blümchenstimmung verbreiten zu wollen.
Irgendwann kam ein Mädchen auf mich zu und sagte: „Ich wünsch dir ganz viel Liebe.“ Das ist schön. Hätten jedoch die Bewohner in der Rigaer Straße 94 diesen Satz zu Frank Henkel gesagt, anstatt ordentlich Radau zu veranstalten, würden sie jetzt wohl nicht mehr dort wohnen, wo sie es immer noch tun.
Umso besser, dass schon bald der nächste Technoumzug ansteht. Und zwar einer, bei dem es dezidiert nicht ums bloße Miteinander-Kuscheln geht: die Fuckparade. Ja, die gibt es auch noch. Es steht noch nicht hundertprozentig fest, wann genau sie stattfinden soll, voraussichtlich wird es September. Mit etwas Glück also noch vor der Wahl.
Der Zug der Liebe hat bewiesen, dass man entgrenzte Loveparade-Stimmung und politischen Anspruch auf einen Nenner bringen kann. Da sollte sich die schon immer politisch verstehende Fuckparade nun klarer positionieren denn je.
Beim Zug der Liebe haben sie erkannt, dass es kein ausreichender Grund mehr ist, auf die Straße zu gehen, um allen zu demonstrieren, dass man diese komische Bumm-bumm-Musik mag. Bei der Fuckparade hatte ich jedoch in den letzten Jahren das Gefühl, es würde immer noch zu sehr darum gehen, dass man zeigen wollte, dass man dieses oder jenes Bumm-bumm nicht so mag. Dafür aber dieses richtig harte, laute, brutale Bumm-bumm.
Der Kampf darüber, wer das bessere Bumm-bumm für sich beanspruchen darf, war einmal legitim und anfangs der Hauptgrund, warum die Fuckparade in Abgrenzung zur Loveparade vor 20 Jahren gegründet wurde. Jetzt aber sollte es um andere Dinge gehen: gerne Gabba, aber bitte mit einem lauteren Fuck gegen Verdrängung denn je.
Und wenn die Bewohner der Rigaer Straße bei der Parade nur mitlatschen wollen, wenn sie einen eigenen Wagen bekommen, von dem herab den ganzen Tag Deutschpunk und die Scherben tönen, dann sollte man bei derlei Geschmacksfragen halt mal ein Auge zudrücken.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Vorgezogene Bundestagswahl
Ist Scholz noch der richtige Kandidat?
Humanitäre Lage im Gazastreifen
Neue Straßen für Gaza – aber kaum humanitäre Güter
USA
Effizienter sparen mit Elon Musk
Demokratie unter Beschuss
Dialektik des Widerstandes