Umstrittenes Berliner Flüchtlingsheim: „Aggressiver Kommunikationsstil“
„Wir empfehlen einen Betreiberwechsel“: Bettina Völter, Prorektorin der Alice Salomon Hochschule in Hellersdorf, über die Flüchtlingsunterkunft in der Carola-Neher-Straße.
taz: Frau Völter, vor Kurzem hat die Initiative „Hellersdorf hilft“ von „unhaltbaren Zuständen“ in der Unterkunft für Geflüchtete in der Hellersdorfer Carola-Neher-Straße gesprochen. Der Betreiber PeWoBe hat die Vorwürfe zurückgewiesen. Ihre Hochschule ist auf vielfältige Weise in dem Heim aktiv. Welche Eindrücke haben Sie?
Bettina Völter: Es gibt dort seit über einem Jahr wiederholt zu wenig Fachpersonal. 2016 arbeiteten bei rund 530 BewohnerInnen laut BewohnerInnen und PraktikantInnen monatelang nur eine Sozialarbeiterin und eine Kinderbetreuerin, weit weniger als halb so viel wie erforderlich.
Liegt das daran, dass das Lageso nicht mehr Personal bezahlt oder stellt die PeWoBe nicht mehr Personal ein, obwohl sie das könnte?
Uns gegenüber sagte die PeWoBe, das Land sei bei der Finanzierung der Personalkosten unzuverlässig. Wiederum hat der Betreiber aufgrund der Hinweise der Alice Salomon Hochschule (ASH) und des Bezirks Marzahn-Hellersdorf letztes Jahr eine Weisung des Lageso erhalten, mehr Personal einzustellen. Für mich gibt es da einen Widerspruch. Wir haben wahrgenommen, dass engagierte MitarbeiterInnen aufgrund der problematischen Arbeitsbedingungen gekündigt haben. Studierende und BewohnerInnen berichten, dass angegebene Beratungszeiten oft nicht eingehalten werden. Informationen würden, wenn überhaupt, meist nur in deutscher Sprache gegeben. Die ASH empfiehlt dringend ein Gewaltschutzkonzept und ein Beschwerdemanagement für BewohnerInnen.
In Berlin muss man ja kein Wohlfahrtsverband sein, um ein Flüchtlingsheim zu betreiben. Aufträge gehen vom Land auch an Wachschutzunternehmen ohne Erfahrungen in der sozialen Arbeit. Sind da solche Zustände möglicherweise nicht nur singulär?
Der Flüchtlingsrat moniert das zu Recht. Unsere Hochschule hat gemeinsam mit anderen Hochschulen der sozialen Arbeit ein Positionspapier zu professionellen Standards für die soziale Arbeit mit Geflüchteten in Gemeinschaftsunterkünften erarbeitet. Die will unser Rektor gemeinsam mit zwei anderen Berliner Hochschulrektoren seit Wochen der Landesregierung übergeben. Bisher hat Sozialsenator Mario Czaja (CDU) dazu keinen Termin gefunden.
ist Prorektorin der in der Flüchtlingsarbeit engagierten Alice Salomon Hochschule und Professorin für Theorie und Methoden sozialer Arbeit.
Zurück zur PeWoBe: Haben Sie dem Unternehmen Ihre Kritik vorgetragen?
Wir hatten letzten Sommer zwei Gespräche. Da wurde zunächst viel abgestritten. Es hat sich dann strukturell nichts geändert, im Gegenteil. Seit November 2015 war ein Wachschutz eingesetzt, der mit rassistischen Sprüchen auffiel, und ein Heimleiter, der nach Aussagen von Studierenden, BewohnerInnen und Mitarbeitenden ziemlich aggressiv kommunizierte. Im Juni übernahm Peggy M. die Heimleitung.
Das ist jene Heimleiterin, deren frühere DVU-Kandidaturen jetzt bekannt wurde.
Ja. Ein in der Kinderbetreuung engagierter Bewohner berichtete, dass derzeit Kinder nicht mehr ohne ihre Eltern das Heim verlassen dürfen. Das erschwert die Selbstorganisation der BewohnerInnen und alle Bemühungen, die Kinder in bezirkliche Freizeitangebote zu integrieren.
Ein Wohnheim ist doch kein Gefängnis …
Wir empfehlen dem Land Berlin dringend, den Betreibervertrag mit der PeWoBe zu beenden.
Die Alice Salomon Hochschule für soziale Arbeit, Gesundheit und Kindheitspädagogik engagiert sich seit 2013 in dem Hellersdorfer Flüchtlingsheim. In Reaktion auf die rassistischen Proteste gegen die Unterkunft führt die Hochschule Lehrveranstaltungen in dem nahe gelegenen Gebäude durch, um dort Öffentlichkeit hineinzubringen.
Studierende bieten ehrenamtlich Hausaufgabenhilfe und Freizeitangebote für Kinder an, begleiten Bewohner zu Ärzten und Ämtern, organisieren nahe der Unterkunft eine Wohnungs- und eine Rechtsberatung sowie Filmabende. Die Schule nimmt am Nachbarschaftsdialog teil.
Die Wohnheim-Betreibergesellschaft PeWoBe, die das umstrittene Heim in der Carola-Neher-Straße in Hellersdorf betreibt, wehrt sich juristisch gegen die jüngsten Vorwürfe. Die ehrenamtliche Initiative „Hellersdorf hilft“ erhielt von ihr eine Unterlassungserklärung. Danach dürfen sie einen Teil der Vorwürfe gegen die PeWoBe nicht mehr erheben.
„Das Vorgehen der PeWoBe zeigt erneut, warum sie als Betreiber für Geflüchtetenunterkünfte nicht geeignet ist“, erklären dazu die integrationspolitischen Sprecher aller drei Oppositionsfraktionen Canan Bayram (Grüne), Fabio Reinhardt (Piraten) und Hakan Taş (Linke). „Statt die Vorwürfe lückenlos aufzuklären, versucht die PeWoBe den Verein mundtot zu machen.“
Die PeWoBe hat auch die Vorwürfe der Abgeordneten von Grünen, Linken und Piraten zurückgewiesen. „Die erhobenen Vorwürfe entsprechen nicht der Wahrheit“, lässt das Unternehmen durch seinen Anwalt erklären. „Die zweifelsohne sehr ehrenvolle Arbeit des Hellersdorf hilft e.V. wurde zu keinem Zeitpunkt infragegestellt.“ Die Pressemitteilung der Oppositionspolitiker sei „offensichtlich eine ausschließlich politisch motivierte Mitteilung". (mai)
Die Landesregierung hat der taz erklärt, der Vertrag sei schon Ende März ausgelaufen. Er soll – wie alle neuen Verträge – neu ausgeschrieben werden. Doch bisher hatte das Lageso dazu keine Zeit. Darum läuft das Haus erst einmal ohne Vertrag.
Das befördert Willkür. Eine Ausschreibung muss umgehend erfolgen.
Haben Sie Ihre Kritik der Landesregierung vorgetragen?
Bereits vor einem Jahr habe ich einen Brief an den Staatssekretär Dirk Gerstle (CDU) geschrieben. Daraufhin gab es die erwähnte Weisung, allerdings offenbar ohne dauerhaften Effekt. Wir haben versucht, über den Beraterkreis von Mario Czaja zu sensibilisieren. Ohne Erfolg. Nun habe ich Herrn Czaja persönlich geschrieben.
Hat die Pressemeldung über die ehemalige DVU-Mitgliedschaft von Peggy M. Sie überrascht?
Nein, das Gerücht kursierte unter Insidern schon länger. Um glaubwürdig zu sein, hätte Peggy M. sich vor ihrer Übernahme der Verantwortung für Geflüchtete von ihrem Engagement in der DVU distanzieren müssen.
Haben Sie ein gutes Gefühl, Ihre Studenten weiterhin zu Praktika in das Heim zu schicken? Frau M. hat dann ja Zugang zu deren persönlichen Daten.
Die ASH hat bereits seit April keine PraktikantInnen mehr, die direkt in der Unterkunft arbeiten. Das konnten wir nicht mehr verantworten, weil es an Fachlichkeit mangelt und weil ein aggressiver Kommunikationsstil herrschte. Die BewohnerInnen können sich vor Machtmissbrauch allerdings nicht schützen.
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