: Der Plastiktüte abschwören
Müllvermeidung Seit der Einführung eines Entgelts für Tragetaschen aus Plastik ist der Verbrauch bei Handelsketten und in privaten Geschäften deutlich zurückgegangen
von Leonie Mikulla
Shoppen gehen funktioniert in Berlin anscheinend auch ohne Plastiktüte ganz gut. Das zumindest bestätigen die Unternehmen, die sich an der freiwilligen Vereinbarung zur Reduzierung des Verbrauchs von Tragetaschen aus Plastik beteiligt haben. Diese hatte der Handelsverband Deutschland mit dem Bundesumweltministerium im April abgeschlossen. Teilnehmende Firmen verpflichten sich darin, Plastiktüten seit 1. Juli dieses Jahres nur noch gegen ein Entgelt herauszugeben.
Hintergrund ist eine im Mai 2015 verabschiedete EU-Richtlinie, die aus Umweltschutzgründen den Verbrauch von leichten Kunststofftragetaschen mit einer Wandstärke bis zu 50 Mikrometer vermindern will. Dabei handelt es sich um die handelsüblichen Tüten, die man bisher fast überall kostenlos zum Einkauf dazubekommen hat – 71 Stück davon verbraucht ein Mensch in Deutschland momentan pro Jahr.
Bis Ende 2025 soll der Verbrauch um fast die Hälfte auf 41 Tüten sinken, so das Ziel der EU. Um das zu erreichen, setzt man auf die werbewirksame Selbstverpflichtung der Unternehmen. Die Vereinbarung hatte zu Beginn bundesweit immerhin über 300 Teilnehmer.
In Berlin haben sich bisher aber nur wenige Unternehmen beteiligt, die ihren Sitz in der Hauptstadt haben. Lediglich sechs haben laut der vom Handelsverband Deutschland herausgegebenen Teilnehmerliste die Vereinbarung unterzeichnet.
Dabei sind die ersten Reaktionen positiv. „Das hätte schon viel früher gemacht werden sollen“, sagt eine Mitarbeiterin des Buchladens Dante Connection in Kreuzberg, die die Vereinbarung unterzeichnet hat. Nur noch zehn Tüten seien im Juli über die Ladentheke gegangen. Vor der Vereinbarung habe sich hingegen fast jeder Kunde seine Waren in Plastik einpacken lassen. Und das Modegeschäft cruszs in Mitte hat die umweltschädlichen Tüten kurzerhand komplett abgeschafft und bietet seinen Kunden nur noch wiederverwendbare Verpackungen an.
Wieso also beteiligen sich nicht mehr Händler und Ladenbesitzer? Ein Streifzug durch Berlin ergibt: Auch Geschäfte, die nicht offiziell die Vereinbarung unterzeichnet haben, wurden zum Umdenken angeregt und haben die kostenlose Tüte verbannt. Dabei wäre es prinzipiell natürlich wünschenswert, dass die Unternehmen die Vereinbarung unterschreiben, sagt Andreas Hertel vom Handelsverband Deutschland. Nur so könne wirklich überprüft werden, ob die Ziele auch erreicht werden.
Eine Mitarbeiterin des Laden 13 für Bürobedarf in Friedrichshain erklärt, der Shop sei aufgrund seiner Größe gar nicht Mitglied im Handelsverband. Die Idee hätten sie trotzdem gut gefunden und ebenfalls der Tüte abgeschworen. Die Kunden seien mittlerweile vorbereitet: „Da kommen auf einmal die schönsten selbst genähten Beutel zum Vorschein.“
Anders sieht es da aus bei Läden, die nicht unbedingt auf das Umweltbewusstsein ihrer Kundschaft setzen können. Im türkischen Gemüse- und Obsthändler um die Ecke wird nach wie vor fleißig in Plastik verpackt – die ganz dünnen Tüten für Obst und Gemüse sind aus hygienischen Gründen sowieso von der freiwilligen Vereinbarung ausgenommen. Und wo jeder Apfel einzeln verpackt wird, bringt der Konsument dann auch noch die 5 Cent auf, die beispielsweise Eurogida mittlerweile an der Kasse für größere Tüten verlangt.
Den Löwenanteil am Tütenverbrauch haben jedoch vor allem die großen Unternehmen mit etlichen Filialen in Berlin, unter anderem die einschlägig bekannten Supermarktketten. Aber viele von ihnen haben schon vor der Vereinbarung ein Bezahlmodell für die Plastiktüten eingeführt. So auch die Elektronikkonzerne MediaMarkt und Saturn, deren Sprecherin von einem „beeindruckenden Ergebnis“ berichtet: Der Tütenverbrauch habe sich in Berlin seitdem um 80 Prozent reduziert.
Offizielle Zahlen zur Entwicklung des Gesamtverbrauchs liegen noch nicht vor. Diese werden erst im Laufe der Zeit von der Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung (GVM) bereitgestellt. Es bleibt also abzuwarten, ob der Siegeszug gegen die Tütenflut anhalten wird.
In den Berliner Spätis hält man übrigens wenig von der teuren Tüte. Hier gehört eine kostenlose Plastiktüte noch zum guten Service. „Hast du schon mal eingekauft bei einem von diesen geldgierigen Konzernen?“, fragt der Mitarbeiter eines Shops in der Torstraße. „Die verkaufen Dreckstüten für 25 Cent, die sind schlechter als unsere. So etwas tun wir unseren Kunden nicht an, die kriegen bei uns weiterhin Tüten umsonst.“
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