piwik no script img

Nachruf Angelika SchrobsdorffZum Sterben nach Berlin

Sie schrieb süffisante Gesellschaftsporträts der 50er Jahre, ihr erster Roman war ein Skandal. Mit 88 Jahren ist Angelika Schrobsdorff gestorben.

Angelika Schrobsdorff hoffte, in Jerusalem „eine neue Heimat zu finden“. Letztlich vergeblich Foto: imago/Uwe Steinert

Vor zehn Jahren zog sie aus Jerusalem nach Berlin. Hier wolle Angelika Schrobsdorff sterben, wie sie sagte. Ausgerechnet in der Stadt, aus der sie mit ihrer Schwester und ihrer jüdischen Mutter 1938 fliehen musste, um dem mörderischen Rassenwahn des Regimes zu entgehen, dessen treuer Parteigänger ihr preußischer Vater war.

In Bulgarien fanden die Frauen ein gastfreundliches Exil. Dass Schrobsdorff das Land seitdem liebte, ist in ihren Büchern nachzulesen. Besonders in „Grandhotel Bulgaria“, dem Tagebuch einer Wiederbegegnung mit dem Land und der dort verbliebenen Familie ihrer Schwester nach dem Ende des kommunistischen Regimes 1996.

Im Stil launisch amüsant, lebensklug und spöttisch war sie eine sehr genaue Beobachterin, auch ihrer selbst. Damit gewann sie schließlich eine große LeserInnengemeinde. Ganz anders als noch 1961. Da stellte sie ihren ersten Roman „Herren“ vor, der sofort Skandal machte. Nicht nur weil sie darüber schrieb, wie sie im Spiegel ihre eigene Schönheit bewunderte, sondern auch der Vielzahl der Herren wegen, die sie sich als Liebhaber zuschreiben konnte.

1947 war sie 20-jährig nach Deutschland zurückgekehrt und tippte für Johannes Mario Simmel Manuskripte ab, was vielleicht ihre Art Schreibschule war. Auf die „Herren“ folgten „Der Geliebte“ (1964) und „Diese Männer“ (1966), süffisante, stimmige ­Gesellschaftsporträts der 50er Jahre von einer jungen Frau, die auf ebenso naheliegende wie irritierende Weise von älteren Männern fasziniert war, Männern, die wie ihr Vater Anhänger der Nationalsozialisten gewesen waren.

1971 heiratete sie den Filmregisseur Claude Lanzmann, der damals schon in der Vorbereitung seiner epochalen Dokumention „Shoa“ (1985) steckte. Nach der Scheidung 1983 zog sie von Paris nach Jerusalem. Sie glaubte, wie sie sagte, „dort eine neue Heimat zu finden“. Letztlich vergeblich.

Nicht weniger scharfsichtig, wie sie die junge BRD beschrieben hatte, analysierte sie nun den Staat Israel und den Umgang mit den Palästinensern, den sie missbilligte. 2006 zog sie nach Berlin, wo sie am Wochenende 88-jährig verstorben ist.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!