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Die WahrheitSteigen Sie aufs Dach!

Neues aus der irren Welt der Spiele: Eine Anleitung für alle Pokémon-Geschädigten auf der verzweifelten Jagd nach der Vernunft.

Einer wichtigsten Grundregeln lautet, selbst wenn Sie bereits auf Level 5 sind: Bewahren Sie die Ruhe! Foto: dpa

Ich weiß ja nicht, auf welchem Level ich Sie gerade erwische. Eventuell sind Sie noch im Beginner-Modus. Also im Sitzen. Tasse Kaffee auf Frühstückstisch, taz daneben, Radio an. Gut so: Kein Grund zur Panik. Ruhe bewahren. Sitzen bleiben. Alles prima. Wer drinbleibt, ist auf der sicheren Seite.

Und sollte bei Ihnen draußen gerade jemand ganz fürchterlich schreien, immer locker bleiben. Das kann was Schlimmes bedeuten, muss aber nicht. Schauen Sie einfach kurz aus dem Fenster, ob Sie helfen müssen. Wahrscheinlich sehen Sie einen Durchgedrehten auf Level 3. Der will nur spielen. Kann er aber nicht. Strom ist alle.

Seien Sie also jetzt bitte edel, hilfreich und gut. Öffnen Sie Ihr Fenster und rufen der hilflosen Person Folgendes zu: „Die App nutzt Ihre Kamera, GPS, bietet Sound und Hintergrundmusik und nutzt sogar die Vibra­tions­funk­tion des Smartphones. Das schraubt Ihren Batterieverbrauch extrem in die Höhe. Aktivieren Sie besser schon in der App eine Stromsparfunktion oder optimieren Sie den Akkuverbrauch in den Einstellungen Ihres Handys. Es kann auch nicht schaden, immer eine Power­bank als Ladestation dabei zu haben. Jaha. So ist das Leben. Kein Strom – keine Wertungspunkte! Keine Ursache! Gern geschehen! Da nicht für!“

Schon mehr Obacht ist geboten, wenn Sie gleich im Auto sitzen. Vielleicht müssen Sie zur Arbeit, Kaffee to drive neben dem Schaltknüppel, Kopf auf den Schultern. Ich setze mal voraus, dass Sie so vernünftig sind und dann nicht auf Ihr Smartphone achten. Bitte! Hände ans Lenkrad! Brav. Augen geradeaus. Aber auch links. Und rechts. Schön aufmerksam bleiben.

Konzentrieren Sie sich auf die Verkehrszeichen und auf die Ampel vor Ihnen. Und wenn Ihre Grün zeigt, müssen Sie trotzdem gucken, ob da nicht gerade was Verrücktes kreuzt. Früher hieß das Wildwechsel, heute heißt das Pokémon Go. Die Stadtverwaltungen arbeiten dran, aber die Schilder sind noch nicht fertig. Wahrscheinlich kreuzt also gerade ein freilaufender Gamer mit stierem Blick aufs Display ihren Weg. Er ist auf der verzweifelten Jagd nach dem nächsten Level-up. Der kann jetzt wirklich nicht auf sein Grün warten, also warten bitte Sie, bis der Befallene langsam an Ihnen vorbeigezogen ist.

Vor dem Auto kreuzt etwas: Früher hieß das Wildwechsel, heute heißt das Pokémon Go

Deeskalieren Sie die Situation

Warnen Sie auch andere Verkehrsteilnehmer. Schalten Sie die Warnblinkanlage ein und verursachen Sie einen Stau. Dann steigen Sie bitte auf Ihr Autodach und rufen so laut wie möglich: „Wahrscheinlich hat er schon das Trainer-Level 5 erreicht und will jetzt mit seinem gefangenen Taschenmonster in einer Arena andere Pokémon-Spieler treffen. Wissen Sie, das Kräftemessen untereinander stellt ein wesentliches Spielelement der Augmented-Reality-App dar. Da geht’s nicht nur um das Fangen von Pokémon. Nein, nein, weit gefehlt.“

Könnte natürlich sein, dass Ihnen ein paar besorgte Bürger dann an den Kragen wollen, weil die denken, Sie hätten das Chaos verursacht. Bleiben Sie bitte friedlich und deeskalieren Sie die Situation. Am besten erklären Sie Ihren aufgebrachten Mitmenschen in aller Ruhe, wie die beim Spielstart von Pokémon ihren Avatar individualisieren. Anschließend können die sich ja dann ihren persönlichen Starter-Pokémon fangen. Zum Beispiel Glumanda, Schiggy oder Bisasam.

Und jetzt, liebes Publikum, jetzt lesen Sie bitte einfach etwas Anderes aus dieser sehr vernünftigen Tageszeitung und freuen sich darüber, dass Sie hin und wieder etwas begreifen.

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