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EMtaz: Joshua Kimmich, Mann der StundeWo er ist, ist der Ball

Kimmich überzeugt bei seinem EM-Debüt als rechter Außenverteidiger. Sogar der verdrängte Benedikt Höwedes ist angetan.

Ich Kimmich, du Ball Foto: ap

„1:0 und Gruppensieger!“, twitterte Joshua Kimmich nach dem Spiel. Mehr nicht. Kein Wort zu seinem überragenden EM-Debüt in der Nationalmannschaft. Nichts zu den vielen Lobeshymnen seiner Mitspieler und des Bundestrainers. Nichts zur völlig ungewohnten Position auf der rechten Außenverteidigerposition. Nur die spröden Fakten. Vom 21-Jährigen könnte noch so mancher Stoiker etwas lernen.

Fast schon ein wenig verwundert stellte Bundestrainer Joachim Löw nach der Partie gegen Nordirland fest: „Bei ihm konnte ich im Vorfeld der Partie auch keine Nervosität feststellen.“ Und auch im Prinzenpark von Paris sagte Kimmich nach dem Spiel gegen Nordirland nicht viel. Er wollte dem Hype um ihn nicht die geringste Nahrung geben. „Keiner ist allein auf dem Fußballplatz.“ Das war einer seiner wenigen Sätze.

Allein stand er aber nach dem Abpfiff im Mittelpunkt. Jeder Nationalspieler bekam obligatorisch die Frage nach Kimmichs Auftritt gestellt. Mats Hummels erklärte: „Er hat heute einen richtig guten Job gemacht. Aber das ist kein bisschen überraschend. Er hat große Qualitäten und großes Selbstvertrauen.“ Auffällig oft wurde ihm von seinen Kollegen ein properes Selbstwertgefühl bescheinigt. Das will was heißen im Elitekreis der deutschen Kicker, wo eigentlich keiner sonderlich mit Komplexen zu kämpfen hat. Löw hob ebenfalls hervor: „Er ist sehr clever und sehr selbstbewusst.“

Für 7 Millionen Euro wechselte er letztes Jahr vom VfB Stuttgart, der ihn an RB Leipzig verliehen hatte, zum FC Bayern München, obwohl er noch keine 30 Zweitligaspiele bestritten hatte. Eine Bürde, der beim FC Bayern in der Vergangenheit kein Neuling aus dem Juniorenbereich gewachsen war. Kimmich bekam aber unter Pep Guardiola mehr als seine 30 Einsätze. Plötzlich spielte der Mittelfeldspieler in der Champions League, und zwar in der Innenverteidigung. Auch diese Herausforderung meisterte er.

Bewerbung für den Sturm

Also schon mentalitätsbedingt bringt der Neuling eine besondere Note in den deutschen Kader. Gegen Nordirland war er zwar nominell als rechter Außenverteidiger vorgesehen, er interpretierte seine Rolle aber derart offensiv, als ob er sich zugleich auch für die Sturmreihe empfehlen wollte. Ein ums andere Mal tauchte der enorm lauffreudige Kimmich in Strafraumnähe auf und bediente die Offensiven Mario Götze, Thomas Müller oder Mario Gomez mit zentimetergenauen Hereingaben. Zuweilen ließ sich Kimmich auch mutig auf direkte Duelle mit seinem Gegenspieler Jonny Evans ein, ohne Unnötiges zu riskieren.

Er überzeugte derart, dass gar sein Rivale Benedikt Höwedes generös einräumte, der Trainer habe mit der Entscheidung für Kimmich völlig richtig gehandelt. Wie stark seine Mitspieler ihm vertrauen, zeigte sich auch auf dem Rasen. War das Spiel gegen Polen noch von einer ex­tremen Linkslastigkeit geprägt, verstand es der junge Bayern-Profi dank seiner permanenten Präsenz, das Geschehen oft auf seine rechte Seite zu verlagern.

Den einzigen Beweis, den Kimmich auf der für ihn ungewohnten Außenverteidigerposition nicht erbringen konnte, war seine Standfestigkeit in der Defensive. Die Nord­iren taugten nicht für einen Bewährungstest. Löw sagte: „Ganz ehrlich, für die Defensive war das heute nicht so ein Problem.“

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1 Kommentar

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  • War schon im TV ein typisches Kahnsches Ärgernis: Höwedes ist kein "Rivale" von Kimmich - oder besser: es bräuchte noch ein paar klitzekleine Spielsaisons (so runde drei bis fünf), bis Kimmich von sich sagen dürfte, er könne mit Höwedes um eine Etatposition rivalisieren. Das nichtexistente Problem ist aber deshalb nicht existent, weil die beiden Spieler ein Dezennium und damit eine oder gar mehrere Generationen trennt. Warum ein Weltmeister-Höwedes (einer der durchaus wenigen aus dem 2014-Kader, der dieses Attribut zu recht trägt), der eine reine und konsequente Abwehrrolle spielt und mit genau dieser Rolle auch im Auswahl-Kader beauftragt war und ist, *in dieser Rolle* jedem Kimmich-ähnlichen vorzuziehen ist, hätte man in der Saison mehrfach, aber exemplarisch z.B. gegen Juve beim FCB betrachten können. Oder eine interessierte Redaktion könnte ja mal nun, da Herr Guardiola nicht mehr exaltierte Lobeshymnen singen muss, bei diesem nachfragen, wen er besetzt hätte, wenn er die Wahl zwischen Höwedes und Kimmich gehabt hätte.

     

    Da z.B. Italien oder gar Spanien auf dem Programm stehen könnte für die DFB-Elf wird man ziemlich bald sehen können, dass die beiden nicht "rivalisieren", sondern bestenfalls im Defensivmodus zueinander kompatibel sind - was schlecht wäre, denn das würde wohl bedeuten, dass Boateng oder Hummels nicht spielen würden und Höwedes dafür innen in die Bresche springen müßte.

     

    Ob Kimmich den ihm sehr zu gönnenden Top-Spielerstatus hinkriegen kann, wird die Zeit und besagte Spielsaisons zeigen. Anscheinend ist das Overhyping talentierter Jungspieler ein tiefes Bedürfnis vieler Journos - auch da könnten sie sich mal an einen Guardiola halten, der einen anderen Overhypten, der wie viele andere auch nicht liefert in den Saisons, aussortierte und auf die Jubelverzückten pfiff.