heute in hamburg: „Das schüchtert schon ein“
Prozess Betriebsräte der Assistenzgenossenschaft wehren sich heute gegen ihre Abmahnungen
33, arbeitet als persönlicher Assistent in der Assistenzgenossenschaft und ist seit zwei Jahren im Betriebsrat.
taz: Herr Jörger, Sie wehren sich heute mit 14 weiteren Betriebsräten gegen eine Abmahnung durch die Geschäftsführung der Assistenzgenossenschaft. Wieso wurden Sie abgemahnt?
Marcus Jörger: Der Grund war die Störung des Betriebsfriedens. Gestört haben wir nach Meinung unserer Geschäftsführung damit, dass wir zwei anonymisierte Erfahrungsberichte zur schwierigen Situation in der persönlichen Assistenz in unserer Betriebsratszeitung veröffentlicht haben. Der eine erzählte von einem Ladendiebstahl, den ein Rollstuhlfahrer mit Hilfe seines Assistenten beging. In der anderen Geschichte wurde der Lebensgefährte einer Rollstuhlfahrerin gegenüber der Assistentin sexuell übergriffig.
Warum halten Sie Ihr Vorgehen für legitim?
Ein harmloses Beispiel: Die Assistenznehmerin leitet die Assistentin an, dass sie zum Zähneputzen keine Handschuhe benutzen soll. Die Hygienebestimmungen besagen zwar, dass Handschuhe Pflicht sind, die Assistentin soll es aber auch so machen, wie die Assistenznehmerin es will. Uns ging es darum, ein Nachdenken über dieses Spannungsverhältnis anzuregen. Wir wollten die Kolleginnen aus der isolierten Arbeitssituation rausholen und ermutigen, über Grenzüberschreitungen zu sprechen und Verbesserungen einzufordern.
Ist es nicht eher ungewöhnlich, dass Betriebsräte persönlich zur Verantwortung gezogen werden?
Ja, finden wir auch. Der Anwalt der Geschäftsführung hat bei der Güteverhandlung im Dezember dieses Vorgehen damit begründet, dass die Geschäftsführung den Betriebsrat ja nicht als Gremium abmahnen könne. Steckt da noch mehr hinter?
Das war nicht das erste Mal, dass die Geschäftsführung die Veröffentlichung bestimmter Inhalte unserer Betriebsratzeitung verhindern wollte. Und es geht hier nicht um Geschäftsgeheimnisse. Im Ergebnis schüchtert eine Abmahnung natürlich ein. Aber wir wollen über unsere Arbeitsbedingungen sprechen.
Warum ist das so wichtig?
Wenn Betriebsräte aufhören, Probleme zu benennen und mit der Belegschaft zu diskutieren, werden die Kolleginnen alleine gelassen. Wir arbeiten beinahe ausschließlich in Teilzeit und die Vereinzelung bei der Arbeit erschwert kollektives Eintreten für die eigenen Interessen enorm. Deshalb ist es umso wichtiger, dass ein Betriebsrat sich nicht einschüchtern lässt.
INTERVIEW: KAI VON APPEN
Prozess: 10 Uhr, Arbeitsgericht, Osterbekstraße 96, 1. Stock, Saal 119
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen