Die Wahrheit: Lautloser Killer im Naturdarm
Ein mysteriöser Auftragsmörder im zu engen Beinkleid sorgt an den Tresen der Stadt jahrelang für Gesprächsstoff.
W enn Horkelmann mit kleinen schnellen Schritten durch die Stadt eilte, sah er von Weitem aus wie ein Paar Wiener auf der Flucht, denn sein Oberkörper war kurz, die Beine aber waren lang und gekrümmt wie die Rippen eines Buckelwals, und die alte braune Lederhose, die er stets trug, glänzte so prall und eng, dass man jeden Augenblick darauf wartete, dass sie mit lautem Knall zerplatzte. Er konnte kaum atmen und fiepte wie ein Hund mit zu engem Halsband.
Niemand wusste, wie Horkelmann es schaffte, sich in die Hose zu zwängen – nur Raimund war sich sicher, dass er eine ausgeklügelte Katapultkonstruktion besitzen musste, mit der er sich morgens in die glänzende Lederpelle hineinschoss.
Gefragt aber hatte ihn nie jemand. Wenn er zu uns an die Theke des Café Gum trat, eine Runde ausgab und sagte: „Na, Jungs, alles klar?“, murmelten wir allenfalls: „Logo, Horkel, alles bestens!“, ehe wir mit ihm anstießen und er fiepend wieder hinauseierte.
Nur einmal, als wir uns auf dem Goetheplatzfest herumtrieben und ihn im Gewühl entdeckten, schrammten wir bloß um Haaresbreite an einer Katastrophe vorbei. „So“, murmelte Raimund, der längst zu viel Bier getrunken hatte, „und jetzt werde ich ihn endlich fragen, warum er sich immer in diese Wursthülle quält!“
Bevor er sich aber auf den Weg ins Gewühl machen konnte, stellte sich heraus, dass Luis noch immer den legendären Spock-Griff beherrschte, und so sank Raimund ohnmächtig in unsere Arme, ohne dass Horkel uns überhaupt bemerkte. „Boah, danke, du hast mir das Leben gerettet!“, sagte Raimund, als er wieder nüchtern war, denn alle waren sich einig, dass die Frage nach der zu engen Hose tödliche Folgen haben würde.
Manche sprachen davon, dass Horkelmann zwanzig Jahre bei der Fremdenlegion gewesen sei, andere wollten erfahren haben, dass er eine Einzelkämpferausbildung beim Mossad bekommen habe. Fest aber schien zu stehen, dass er sein Leben lang als lautloser Killer tätig gewesen war und nur mit den Augen zu zwinkern brauchte, um jemanden, der unziemliche Fragen stellte, ins Jenseits zu befördern.
Insofern wurde es deutlich langweiliger in der Stadt, als Horkel, der alte einsame Wolf, auf einem Schützenfest plötzlich doch noch die Liebe seines Lebens kennenlernte. Die Dame sorgte dafür, dass er sein sauer Erspartes nicht länger verplemperte, indem er irgendwelchen Nichtsnutzen im Café Gum einen ausgab, stopfte die Hose in den Altkleidercontainer und steckte Horkel in einen weiten Kaftan, so dass er endlich entspannt durch die Stadt stapfen konnte und aus der Ferne nun eher für ein wandelndes Zirkuszelt gehalten wurde.
Vor allem aber räumte sie mit den Killerlegenden auf, und so wusste bald jeder, dass Horkelmann sein Leben schnarchend an einem Schreibtisch in einer überflüssigen Abteilung des Bauamts zugebracht hatte und den circa zwei Dutzend Morden, die auf sein Konto gingen, immer nur Büropflanzen zum Opfer gefallen waren, die er notorisch zu gießen vergaß.
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