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TAZ-SERIE FLUCHTPUNKT BERLIN (7)Es bleibt ihr Zuhause auf Zeit

Nach knapp einem Jahr in Berlin hat die syrische Familie Mottaweh nun ein befristetes Aufenthaltsrecht bekommen. Ihre Zwischenbilanz über die neue Heimat.

Wenn ihre Kinder größer sind, will Salwa Kamel eine Ausbildung zur Kosmetikerin machen. Im Bild eine Familie bei ihrer Ankunft in einer Flüchtlingsunterkunft. Foto: dpa

Die Kurznachricht auf dem Telefon hat sieben Fragezeichen: „Was heißt das, kannst Du übersetzen?“ Im Anhang schickt Mahmoud Mottaweh ein Foto des Briefs, „Bundesamt für Migration und Flüchtlinge“ steht im Briefkopf. Es ist der Bescheid über den Ausgang ihres Asylverfahrens.

Seit März, seit ihrer Anhörung in der Behörde, fragt Mottaweh zweimal am Tag in der Poststelle der Lichtenberger Gemeinschaftsunterkunft, ob so ein Brief für seine Familie, für ihn, seine Frau Salwa Kamel und die fünf Kinder, angekommen ist.

Am Mittwoch ist er da: Asylanträge abgelehnt. Subsidiärer Schutzstatus zuerkannt. Im Klartext: Kein Schutz nach dem deutschen Asylrecht oder der Genfer Flüchtlingskonvention. Aber die Familie wird bleiben dürfen – erst mal. Berlin wird für mindestens ein weiteres Jahr ihr Zuhause bleiben. Ob die Stadt aber auch Heimat werden kann? Salwa Kamel und Mahmoud Mottaweh schauen auf ein Jahr Berlin zurück.

Ber­li­ner Amts­schim­mel

Taz-Serie Fluchtpunkt Berlin

Das Projekt: Die Aussichten für Flüchtlinge auf ein Bleiberecht sind sehr ungleich verteilt. Was aber bedeutet das konkret für die Menschen? In loser Folge begleitet die taz eine syrische und eine serbische Flüchtlingsfamilie mehrere Monate lang in ihrem neuen Berliner Alltag.

Zuletzt erzählten die Mottawehs aus Syrien, wie es ist, wenn man bei Google Earth versucht zu erkennen, ob das eigene Haus bei Damaskus noch steht; und die Jovanovićs fanden sich beinahe im Abschiebeflieger nach Belgrad wieder.

Alle Folgen: www.taz.de/Schwerpunkt-Fluechtlingsserie (taz)

Die serbische Familie

Familie Jovanović: Mutter Mitra und die beiden Kinder, Maria (15) und Jagos (12), sind Roma und kommen aus der südserbischen Kleinstadt Leskovac. Es ist ihr dritter Versuch, in Deutschland Asyl zu erhalten. „In Serbien gibt es für uns nichts: keine Arbeit, wir haben kein Haus, in der Schule werden wir gemobbt“, sagt Maria.

Der jüngste Asylantrag der Familie wurde im April abgelehnt. Am 10. Mai sollte die Familie in einer Sammelabschiebung von Schönefeld nach Belgrad ausgewiesen werden. Wegen eines Formalfehlers auf dem Bescheid konnte die Anwältin der Familie die Abschiebung verhindern. Nun wird der Fall der Jovanovićs voraussichtlich am kommenden Dienstag in der Härtefallkommission bei der Senatsverwaltung für Inneres verhandelt. (akl)

Mahmoud Mot­ta­weh: „Was ich ko­misch finde: Ei­ner­seits sind die Be­hör­den hier so struk­tu­riert, mit den gan­zen Ter­mi­nen, die man für alles braucht. Und dann ver­hed­dern sie sich selbst in ihrer Struk­tur. Ei­gent­lich hät­ten wir schon im Ja­nu­ar das In­ter­view bei der Be­hör­de haben sol­len, die über un­se­ren Asyl­an­trag ent­schei­det. Dann kam ein Brief: Der Ter­min klappt nicht. Als wir dann nicht er­schie­nen sind, kam der nächs­te Brief: Warum wir nicht er­schie­nen seien und dass unser Asyl­an­trag nun ab­ge­lehnt wer­den könne. Die hat­ten ver­ges­sen, dass sie un­se­ren Ter­min selbst ab­ge­sagt haben. Im März hat es dann ge­klappt mit der Anhörung.“

Im Jahr 2016 wurde bisher laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge rund 105.000 SyrerInnen Asyl gewährt. Die meisten, 2015 waren es knapp 96 Prozent, bekommen Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention: Den bekommt, wer in seiner Heimat „persönlich“, etwa aufgrund seiner politischen Überzeugung oder Religionszugehörigkeit, verfolgt wird. Asyl gibt es zunächst für drei Jahre; wer danach seinen Lebensunterhalt „überwiegend selbst bestreitet“, darf bleiben.

Die Nichtregierungsorganisation Pro Asyl beobachtet seit dem Asylpaket II der Bundesregierung einen Anstieg der Fälle, in denen SyrerInnen nur ein subsidiärer Schutz zuerkannt wird, der zunächst auf ein Jahr befristet ist und den Familiennachzug ausschließt. Zwar wird der Schutz meist unproblematisch verlängert, es gibt Anspruch auf Leistungen vom Jobcenter und eine Arbeitserlaubnis. Allerdings wird eben kein individueller Schutz aufgrund von Verfolgung zugesprochen: Ist der Bürgerkrieg in Syrien vorbei, droht die Abschiebung. Mehrere Oberverwaltungsgerichte haben bereits geurteilt, das sei nicht rechtens: potenziell seien alle SyrerInnen politisch Verfolgte durch Machthaber Assad. Pro Asyl rät SyrerInnen mit subsidiärem Schutzstatus deshalb, eine Klage zu prüfen.

Mahmoud Mottaweh: „Vor ein paar Monaten habe ich noch gesagt: Wir halten es hier im Heim nicht mehr aus, wir gehen ohnehin zurück. Aber meine Kinder mögen dieses Land, sie mögen Berlin. Sie können langsam richtig gut Deutsch. Ich überlege, mir einen Anwalt zu nehmen und auch zu klagen.“

Mühsame Wohnungssuche

Salwa Kamel: „Das Dringendste ist für mich, dass wir endlich eine Wohnung brauchen. Ich weiß, wir hatten keine Chan­ce auf eine Woh­nung, so­lan­ge nicht über unseren Asylantrag entschieden war. Seit fast einem Jahr mit fünf Kin­dern in einem Zim­mer, ohne ei­ge­ne Küche und Bad, das strengt an.“

Mahmoud Mot­ta­weh: „Jetzt muss sich das So­zi­al­amt in un­se­rem Be­zirk um eine Woh­nung für uns küm­mern, haben sie uns ge­sagt. Und sie haben ge­sagt, wir bräuch­ten min­des­tens fünf Zim­mer. Wie wol­len sie die für uns fin­den, zu der Miete, die das So­zi­al­amt für uns über­nimmt? Ich habe jetzt genug Woh­nungs­an­zei­gen ge­se­hen: Ich glaube, das wird schwierig.“

Wie groß eine Woh­nung sein muss und wie teuer sie sein darf, ist in der Aus­füh­rungs­vor­schrift Woh­nen ge­re­gelt. Dem­nach dürf­te die Woh­nung für die Mot­ta­wehs höchs­tens 850 Euro Brut­to­kalt­mie­te kos­ten.

Salwa Kamel: „Also, drei Zim­mer wür­den mir wirk­lich rei­chen. In Sy­ri­en hat­ten wir auch nur vier, eins davon war das Gäs­te­zim­mer.“

Mahmoud Mot­ta­weh: „Was ich auch noch ab­surd finde: dass ich mich immer ab­mel­den muss, wenn ich in eine an­de­re Stadt fahre – wie ein Kind bei sei­nen El­tern.“

Mahmoud Mot­ta­weh deu­tet auf den Stem­pel „Wohn­sitz­auf­la­ge“ in sei­nem Aus­weis. Auch als Flüchtling mit subsidiärem Schutzstatus darf er künftig seinen Wohnort nicht frei wählen.

Mahmoud Mot­ta­weh: „Ja, diese gan­zen Pa­ra­gra­fen hier ma­chen einen klein. Das fühlt sich ein biss­chen so an, als sei man in einem gro­ßen Ge­fäng­nis. Im Li­ba­non, der ersten Sta­ti­on auf un­se­rer Flucht, konn­te ich in Bei­rut von einem Tag auf den an­de­ren ein neues Leben an­fan­gen: Ich konn­te ar­bei­ten, ich konn­te ein Auto kau­fen. Das ist hier alles so müh­sam.“

Ar­bei­ten­de Müt­ter

Salwa Kamel: „Ich habe in Sy­ri­en Ab­itur ge­macht. Dann habe ich Ara­bisch an der Uni­ver­si­tät von Da­mas­kus stu­diert und ab­ge­bro­chen, als ich mit mei­nem ers­ten Sohn schwan­ger war. Damit war ich in Sy­ri­en der Nor­mal­fall: Es gibt zwar auch Frau­en, die sich auf den Beruf kon­zen­trie­ren. Aber ei­gent­lich küm­mert man sich um die Fa­mi­lie, wenn es so­ weit ist, und der Mann ver­dient. Hier ist das an­ders, das sehe ich. Hier scheint es den Frau­en sehr wich­tig zu sein, zu ar­bei­ten. Ich will das auch. Meine Kin­der wer­den grö­ßer, ir­gend­wann brau­chen sie mich nicht mehr. Dann will ich eine Auf­ga­be haben, das ist mir wich­tig. Ich möch­te gerne eine Aus­bil­dung zur Fri­seu­rin oder Kos­me­ti­ke­rin ma­chen. Ich glau­be, ich habe Ta­lent dafür.“

Salwa Kamel wischt durch die Fo­to­ga­le­rie auf ihrem Smart­pho­ne – Fotos von Flücht­lings­frau­en aus dem Heim, die sie ge­schminkt hat: Ma­kel­lo­se Haut, Pfir­sich­wan­gen, schön wie Pup­pen sehen die Frau­en aus.

Mahmoud Mot­ta­weh: „Ich fände es gut, wenn Salwa eine Aus­bil­dung macht, ich würde sie un­ter­stüt­zen. Spä­ter, wenn die Kin­der etwas grö­ßer sind. Im Mo­ment ist das so­ viel Ar­beit, da muss ich mit­hel­fen: Wä­sche wa­schen, ko­chen. Jetzt ist erst mal Schluss mit Kin­dern, habe ich ge­sagt, Elaf [das Mädchen wurde im Januar geboren, d. Red.] ist unser letz­tes ge­we­sen (lacht).“

Quee­res Ber­lin

Mahmoud Mot­ta­weh: „Seit un­se­rer An­kunft hier in Ber­lin sind wir mit einer deut­schen Fa­mi­lie be­freun­det. Der Sohn ist schwul. Wir haben neu­lich ein Bar­be­cue im Gar­ten der Fa­mi­lie ge­macht, der Freund von Denny war auch da. Bei uns in Sy­ri­en wäre das nicht mög­lich, sol­che Paare müs­sen sich ver­ste­cken. Un­se­re Re­li­gi­on er­laubt Ho­mo­se­xua­li­tät nicht. Aber wir glau­ben auch, dass Gott über so etwas rich­tet. Also ur­tei­le ich nicht über Denny, er ist unser Freund.“

Die Mot­ta­wehs sind kon­ser­va­ti­ve Mus­li­me. Mottaweh gibt Frau­en zum Bei­spiel nicht die Hand, er sagt, das ver­bie­te ihm der Islam.

Salwa Kamel: „Ich hoffe trotz­dem, dass Denny ir­gend­wann doch eine Frau fin­det und hei­ra­tet und eine Fa­mi­lie grün­det.“

Mahmoud Mot­ta­weh: „Wer eine gute Fa­mi­lie hat, hat alles. Ich habe letz­tes Jahr hier eine schwu­le Demo ge­se­hen. Ich glau­be, das ist nicht gut, nicht na­tür­lich. Aber es stört mich auch nicht, dass Ho­mo­se­xu­el­le hier hei­ra­ten dür­fen. Man muss die Re­geln des Lan­des re­spek­tie­ren, in dem man lebt. Ge­nau­so will ich, dass man auch re­spek­tiert, an was ich glau­be: weil das meine Pri­vat­sa­che ist.“

AfD & Co

Salwa Kamel: „Neu­lich im Su­per­markt hat eine Frau mei­ner Toch­ter Alma ein­fach so auf den Kopf ge­hau­en, als ich kurz nicht hin­ge­schaut habe. Alma hat es mir er­zählt. Aber es gibt zum Glück genug an­de­re Men­schen. Neu­lich haben wir Mahmouds Cou­sin be­sucht, er wohnt in einem Flücht­lings­heim bei Mag­d­e­burg. Im Re­gio­nal­zug haben wir eine deut­sche Fa­mi­lie ge­trof­fen, sie waren nett, wir haben zu­sam­men Kekse ge­ges­sen.“

Mahmoud Mot­ta­weh: „Wir haben im Fern­se­hen von den Pe­gi­da-Leu­ten ge­hört. Aber was ist die AfD? Die kenne ich nicht.“

Er hört sich einen Er­klä­rungs­ver­such an über die rechts­populistische Par­tei, die der­zeit 15 Pro­zent der Ber­li­ne­rIn­nen wäh­len wür­den, und denkt nach.

„Im Koran gibt es eine Ge­schich­te, dass Mo­ham­med sich um einen kran­ken Juden ge­küm­mert hat, ob­wohl der ihm zuvor stän­dig Müll vor die Tür ge­legt hatte. Der Jude ist dann zum Islam kon­ver­tiert. Mo­ham­med sagt, zu schlech­ten Leu­ten muss man gut sein.“

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