Konzerttipp: Miramode Orchestra: Filigrane Grooves im großen Ganzen
Das Miramode Orchestra um den Komponisten Ede Merkel ist eins der umtriebigsten Jazz-Projekte Berlins. Am Samstag spielen sie im Roten Salon
Sie ist unsichtbar, aber im Musikbetrieb für so manchen leider noch immer geeignetes Instrument zur Vermessung stilistischer Terrains: die „Jazz-Ecke“. Als toter Winkel der Musikrezeption und -vermarktung vereint sie sämtliche Klischees auf sich, die Jazz wie alles andere wirken lassen als lebendige Musik – immergleiche Songstrukturen, endlose Improvisationen von Virtuosen, in deren Abglanz sich selbst ernannte Spezialisten tummeln, wenig einladende Clubs mit hoher Grauschleierquote sowie die zwangsromantische Vorstellung vom Künstlerglück unter prekären Lebensbedingungen.
Mit alledem sehen sich besonders MusikerInnen konfrontiert, die in Berlin Jazz studiert haben, auch der Saxofonist Ede Merkel, der vor sieben Jahren das Miramode Orchestra gegründet hat. Denn das Jazz-Institut Berlin leistet sich, als eine von drei Musikhochschulen in Deutschland, das eher realitätsferne Profil, die Studierenden ausschließlich Jazz zu lehren und sie nur in wenigen Pflichtveranstaltungen pädagogisch zu befähigen.
Außer in Berlin, Essen und Hamburg nämlich ist es an 14 Hochschulen schon lange üblich, MusikerInnen auch in Pop- und Rockmusik auszubilden, in Neuer Musik (Weimar), oder Aktueller Musik (Saarbrücken). Ede Merkel präsentierte das Miramode Orchestra 2009 als sein Abschlussprojekt am Jazz-Institut Berlin.
Während ein Jahrzehnt davor der Pianist Nicolai Thärichen sein Tentett gründete und mit seinem Konzept eines großen Ensembles mit Eigenkompositionen jahrelang der einzige Bandleader in Berlin war, sind seit 2010 einige Orchestergründungen dazugekommen, das Omniversal Earkestra etwa oder das Composer’s Orchestra von Hazel Leach, Red Balloon von Malte Schiller oder das Wabi-Sabi Orchestra von Laura Winkler.
Miramode Orchestra feat. Mara von Ferne / Support: Grim: Roter Salon, Rosa-Luxemburg-Platz, 18. 6., 21 Uhr, Tickets: 18 €, Infos: www.volksbuehne-berlin.de
„Ich wollte eine große Besetzung mit Streichern und orchestralen Jazz mit elektronischer Musik verbinden,“ erzählt Merkel im Gespräch. „Mir ging es um einen opulenten Klang, in den Stücken ist sehr viel passiert. Inzwischen geben wir der Musik mehr Zeit, sie ist filigraner geworden. Die Stücke werden mitunter länger, und jeder bringt sich, oft auch sehr minimalistisch, in den Gemeinschaftsklang ein.“
Zu Miramode Orchestra gehörten in den ersten Jahren neben Saxofon, Posaune, Trompete und Rhythm Section mit Schlagzeug, Bass, Klavier und Gitarre auch fünf Streicher, mit der Sängerin Mara von Ferne arbeitet das Orchestra nach wie vor zusammen. Das Septett ist weiter zusammengewachsen, jeder spielt ohnehin mehrere Instrumente und die Bläser nun zusätzlich Perkussionsinstrumente.
Mit dem Bassisten Felix Jacobi und dem Trompeter Sebastian Piskorz hat Merkel bereits als Jugendlicher in Halle gemeinsam Musik gemacht, der Pianist Eren Solak und der Gitarrist Joachim Ribbentrop kamen aus Karlsruhe nach Berlin, der Posaunist Nils Marquardt aus Rügen und Schlagzeuger Jan Barthold aus Hannover.
Ede Merkel
Bis auf Merkel sind alle Bandmitglieder seit dem Studium Berufsmusiker geblieben. Er jedoch erlebte die Selbstständigkeit nach drei Jahren anders. „Nachdem ich mit Eren sechs Wochen auf einer Kreuzfahrt jeden Abend Dienstleistungsmusik spielte, habe ich mich entschlossen, so nicht mehr weiterzumachen. Erst war es eine Schnapsidee mit der Ausbildung zum Lokomotivführer. Aber das war eine der besten Entscheidungen, die ich je getroffen habe.“, so Merkel. „Dieser Beruf ist ein totaler Ausgleich zu kreativen Prozessen, seitdem habe ich wieder totalen Spaß an der Musik.“ Seit 2015 ist Merkel nun im Führerstand auf Achse.
Über zwölf Monate hat er gemeinsam mit Solak an dem neuen Album des Orchestra gefeilt, das Anfang 2017 erscheint. Die beiden haben die neuen Stücke von Merkel, Piskorz und Jacobi arrangiert, innerhalb einer Woche waren sie in Solaks Studio eingespielt. Er hat seinen Klavierpart um Synthesizer erweitert und singt erstmals zwei Lieder, Jacobi spielt neben E- und Kontrabass einen Bass Moog, und Barthold sampelt sein Schlagzeug.
Mara von Ferne ist wieder mit von der Partie, die Sängerin Inez Schaefer ist neu zu Gast. Im Produktionsprozess nahmen Merkel und Solak jede Tonspur bis ins Detail auseinander und fügten sie behutsam wieder zusammen. Anders als auf dem Album kann das Orchestra im Konzert bestimmte Passagen ausdehnen und länger wiederholen, die Musiker sind dann auch gewollt als Solisten zu erleben.
Am Samstagabend im Roten Salon spielt Solak außerdem vor dem Miramode Orchestra mit seinem Klaviertrio Grim auf, seine Partner sind Jacobi und Barthold. Laut Selbstbeschreibung ist ihre Musik scharf, schmutzig und schillernd, urban und kosmopolitisch zugleich. Eben darum kann man sie Jazz nennen.
Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg immer Donnerstags in der Printausgabe der taz
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