: Neue Atomkraftwerke auf hoher See
Russland baut mit Hilfe aus China das erste schwimmende Akw. Es soll Menschen in entlegenen Regionen mit Strom versorgen. Kritiker warnen: In den Reaktoren wird hoch angereichertes Uran verwendet, das sich zum Bau von Bomben eignet
VON REINHARD WOLFF
Russland baut das erste schwimmende Atomkraftwerk. Für den Bau der Plattform wurde jetzt einer Schiffswerft in China der Auftrag erteilt, die Reaktoren kommen aus Russland. So melden es norwegische Medien. Sie beziehen sich auf Aleksandr Polusjkin, den Vizedirektor des staatlichen russischen Atomenergieunternehmens „Rosenergoatom“.
Das schwimmende Atomkraftwerk soll das nordwestrussische Severodvinsk versorgen. Die Stadt am Weißen Meer in der Nähe von Archangelsk hat 230.000 EinwohnerInnen. Sie liegt etwa 700 km von norwegischem und finnischem Territorium entfernt. Mit diesem Atomprojekt realisiert Moskau Pläne, die seit etwa einem Jahrzehnt diskutiert werden.
Die russische Regierung hatte „Rosenergoatom“ bereits 2002 eine entsprechende Baulizenz erteilt. Die schwimmenden Akws sollen die Energieversorgung in schwer zugänglichen Gebieten gewährleisten. Das betrifft vor allem die arktische Nordküste, aber auch das fernöstliche Kamtschatka. Zum einen sollen so kurzfristige Versorgungsengpässe überbrückt werden. Zum anderen sind die Seereaktoren aber auch als Dauerlösung im Gespräch, um kostspielige Überlandleitungen zu sparen. Die Kraftwerke sollen auch Fernwärme erzeugen und Meerwasser entsalzen können. Die Akw-Ingenieure glauben zudem an große Exportchancen: Länder wie China, Indonesien, Thailand und Malaysia sollen an den Akws interessiert sein.
Auf der Plattform sollen zwei Reaktoren des bislang vor allem in Atomeisbrechern genutzten Typs KLT-40S mit einer Leistung von 70 Megawatt installiert werden. Der jetzt in Auftrag gegebene Prototyp soll in vier bis fünf Jahren einsatzbereit sein und umgerechnet rund 250 Millionen Euro kosten. Ein Satz Uranbrennstäbe soll drei Jahre lang reichen. Alle zwölf Jahre soll das AKW zur Generalrevision eine Werft aufsuchen. Es wird für eine Betriebszeit von 40 Jahren konzipiert.
Die norwegische Umweltschutzorganisation Bellona hält das Konzept für unverantwortlich. Die Gefährdungen seien enorm. Für den Atomphysiker Nils Bøhmer von Bellona stellen sich gleich vier Fragen: „Was passiert, wenn sich in diesen abgelegenen Gegenden ein Unfall ereignet? Wie sind die Reaktoren gegen einen Terrorangriff gesichert, gegen Sabotage oder Kaperung?“ Und weiter: „Wo sind die technischen Experten, wenn sie gebraucht werden? Was soll mit dem Atommüll passieren, und was ist, wenn so eine Konstruktion sinkt?“ Dass die Reaktoren, wie von Moskau behauptet, den Aufprall eines abstürzenden Boeing-Jumbos überstehen würden, hält Bøhmer für mehr als fragwürdig.
Auch die russische Sektion von Greenpeace hat reagiert. In einem Schreiben an den Verfassungsschutz FSB fordert die Organisation den Stopp der Pläne: Die Akw-Schiffe stellten ein „erstrangiges Ziel“ für einen Terrorangriff dar. Jeder dieser Reaktoren enthalte 960 Kilogramm waffenfähiges Uran.
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