piwik no script img

Die WahrheitDie sensationelle Jackettdoublette

Kolumne
von Eugen Egner

Angemessene Kleidung ist beim Betrachten von Kraftfahrzeugen vonnöten. Auch eine Karriere in der Politik ist ohne sie kaum denkbar.

B evor ich zu einem neuen erschütternden Abenteuer aufbrach, nahm ich schnell ein leichtes Sommerjackett aus dem Kleiderschrank im Garten und zog es an. Mir war, als hätte es früher meiner Mutter gehört. Für modebewusste Leser sei noch hinzugefügt: Der dünne weiße Stoff war mit stilisierten großen blauen Blüten bedruckt. Zu meiner weiten grünlichen Hose passte das Muster schlecht, doch würde das erfahrungsgemäß niemanden interessieren. Für gewöhnlich wurde ich ignoriert.

Dieser Umstand gab mir sehr große Freiheit, ich konnte beispielsweise unbemerkt verarmen und sterben – oder vorgenanntes Jackett auf der Straße tragen. Genauso gut hätte ich in einem kurzen Leopardenfelljäckchen und grellem Make-up losziehen können (vielleicht nächstes Mal). Mir lief die Nase, ein untrügliches Zeichen dafür, dass etwas geschehen würde.

Als ich dann draußen war, wollte ich nicht bloß einfach an der Straße stehen und die verschiedenen Arten von Kraftfahrzeugen beobachten. Deshalb ging ich zu einer Wahlveranstaltung. Essend und trinkend lauschte ich dort den Reden, es war furchtbar.

Zu meinem grenzenlosen Erstaunen sprach mich am Wurststand die Kandidatin der „Hoffentlich kommt der Tod schnell und schmerzlos (am liebsten sanft)“-Partei an und fragte, ob ich ihren Wahlkreis übernehmen wolle. Sie hätte wahrscheinlich jeden gefragt, daher auch mich. Obwohl ich es schmeichelhaft fand, von ihr wahrgenommen zu werden, lehnte ich das Angebot ab, denn eine politische Karriere kam für meine Person überhaupt nicht in Frage. Als Begründung brachte ich vor, in Kürze aus der Welt austreten zu wollen. Dafür erntete ich Verständnis und war die Sache in allen Ehren los.

Dummerweise tropfte mir etwas Bratensoße aufs Jackett, so dass zwei große braune Flecken entstanden. Verärgert lief ich zur nächsten Toilette. Im Vorraum wollte ich versuchen, die Soßeflecken mit Wasser und Seife zu entfernen. Ehe ich damit beginnen konnte, kam eine ältere Dame herein, die das gleiche Jackett wie ich trug. Sie riet mir vom Auswaschen der Flecken ab, denn dadurch würde alles in der Welt noch schlimmer.

Schnell setzte ich die Brille auf, um sicherzustellen, dass nicht etwa mein Spiegelbild mit mir redete. Es war in der Tat eine ältere Dame, und sie trug das gleiche Jackett wie ich, aber ohne Flecken. Wir kamen ins Gespräch. Dabei stellte sich heraus, dass sie ihr Jackett ebenfalls dem Kleiderschrank in meinem Garten entnommen hatte. Damit war der Beweis erbracht: Die in dem Schrank aufbewahrten Kleidungsstücke verdoppelten sich, wie schon seit Langem vermutet wurde.

Kaum konnte ich es erwarten, die Medien darüber zu informieren. Zuletzt verriet mir die besagte Dame noch, sie habe soeben einen Wahlkreis übernommen. Nunmehr sei sie Kandidatin der „Hoffentlich kommt der Tod schnell und schmerzlos (am liebsten sanft)“-Partei. Ich gratulierte ihr und brachte mein Jackett zur Reinigung. Für diesen Tag hatte ich genug erlebt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Ich beneide Eugen Egner immer wieder um seine blühende Fantasie. So bunt träume ich ja kaum des nachts...!