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Kommentar Handschlag in der SchweizIhr seid doch nur unsicher

Daniel Bax
Kommentar von Daniel Bax

Ein verweigerter Handschlag wird in der Schweiz zur Integrations-Debatte aufgeblasen. Damit macht es sich die Politik zu einfach.

Die Schweizer drehen durch: Dabei sind's doch nur Hände Foto: imago/Westend61

M an muss sich die Schweiz als ein glückliches Land vorstellen. Es scheint dort keine größeren Probleme zu geben als die Frage, ob Schüler ihrer Lehrerin die Hand geben sollen oder nicht. Diese Frage hat das Land über fast zwei Monate hinweg umgetrieben, sie wurde in Talkshows und Leitartikeln heiß debattiert. Glücklich ist ein Land, das solche Sorgen hat.

Eine weniger freundliche Einschätzung lautet: die Schweiz ist komplett durchgedreht. Denn anders ist nicht zu erklären, warum eine lokale Bagatelle für einen landesweiten Aufruhr sorgen konnte. Anfang April war der Fall zweier (!) Schüler im Kanton Basel-Landschaft, die sich geweigert hatten, ihrer Lehrerin die Hand zu geben, über die Region hinaus bekannt geworden. Der 14-jährige und sein 16-jähriger Bruder begründeten ihr Verhalten mit ihrer religiösen Überzeugung, die es ihnen aus Respekt vor Frauen verbiete, diesen die Hand zu geben.

Statt den Vorfall als pubertäre Verwirrung oder religiösen Spleen zweier Minderjähriger abzutun, wurde er von rechten Medien und der Politik zur Staatsaffäre und Prinzipienfrage aufgeblasen. Mit erfolg: Zuletzt fühlte sich sogar die Schweizer Justizministerin Simonetta Sommaruga bemüßigt, das Händeschütteln zu einem unverzichtbaren Teil der Schweizer Kultur zu erklären. Da dürfe es keine Fragezeichen geben, erklärte die Sozialdemokratin.

Nun hat auch die Schulbehörde ein Machtwort gesprochen: künftig darf kein Schüler mehr die Hand einer Lehrerin zurückweisen – er muss sie schütteln. Zieren Schüler sich, müssen sie oder die Eltern mit Sanktionen rechnen – bis hin zu einem Bußgeld über 4.500 Euro oder einem Schulverweis. Denn den Handschlag nicht zu erwidern gilt jetzt als Integrationsverweigerung.

Symptom für die tiefgreifende Verunsicherung

Dabei ist es nur eine kleine und marginale Minderheit konservativ-religiöser Muslime – und orthodoxer Juden – die eine Berührung des anderen Geschlechts grundsätzlich vermeidet. Aber der Schweizer Umgang damit ist symptomatisch: während man den Muslimen einmal mehr vermittelt, dass man auf ihre religiösen Gefühle leider keine Rücksicht nehmen könne, werden die verletzten Gefühle all jener, die den verweigerten Handschlag als Affront begreift, zum alleinigen Maßstab gemacht.

Dabei ist der Handschlag kein universeller Brauch, sondern hat sich auch in der Schweiz erst seit den Siebzigerjahren zwischen Lehrerinnen und Schülern eingebürgert. Nun aber wird er zu einem in Stein gemeißelten Fundament Schweizer Leitkultur erklärt.

Diese Überreaktion ist ein Symptom für die tiefgreifende Verunsicherung, die viele europäische Gesellschaften erfasst hat. Und ausgerechnet die Schweiz, die es geschafft hat, mit vier verschiedenen Amtssprachen zu leben und zwischen den beiden großen christlichen Konfessionen einen Modus Vivendi zu finden, der über Jahrhunderte gehalten hat, scheint davon besonders betroffen zu sein. Ganze vier Minarette reichten in dem kleinen Land bekanntlich ja bereits aus, um eine Mehrheit für ein Minarettverbot zu mobilisieren und dieses per Referendum durchzusetzen.

Aber auch in anderen europäischen Ländern dienen oft nichtige Anlässe dazu, einen Kulturkampf vom Zaun zu brechen. In einer Wohnsiedlung bei Kopenhagen entscheiden sich die mehrheitlich muslimischen Mieter erstmals dagegen, zu Weihnachten einen Christbaum aufzustellen? Darüber diskutierte man im Advent 2012 in Dänemark so lange, bis der Baum wieder stand.

Ein bisschen mehr Gelassenheit

Ein paar französische Modemacher haben Kollektionen für muslimische Frauen entworfen, die ein Kopftuch tragen? Halb Frankreich steht deswegen Kopf, denn Feministinen sehen das heilige Prinzip des Laizismus in Gefahr. Ein ausländisches Staatsoberhaupt reicht Klage gegen einen Satiriker ein? Halb Deutschland sitzt auf dem Sofa und ist empört.

Das wirft die Frage auf: Wie unsicher muss man sich seiner Werte, seiner Demokratie und seiner Kultur eigentlich sein, um derart in Schnappatmung zu verfallen?

Ein bisschen mehr Gelassenheit im Umgang mit solchen banalen Konflikten täte unseren Gesellschaften gut. Wahrlich, es gibt größere Probleme. Und Verbote haben oft den gegenteiligen Effekt, sie führen zu Trotz und Ablehnung. Denn, ganz ehrlich: wer dazu gezwungen wird, anderen die Hand zu geben, wird sich doch erst recht verweigern. Oder eben andere Wege finden, seinen Protest gegen autoritäre Vorschriften auszudrücken und die Mehrheitsgesellschaft zu provozieren.

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Daniel Bax
Redakteur
Daniel Bax ist Redakteur im Regieressort der taz. Er schreibt über Politik und Popkultur – inbesondere über die deutsche Innen- und Außenpolitik, die Migrations- und Kulturpolitik sowie über Nahost-Debatten und andere Kulturkämpfe, Muslime und andere Minderheiten sowie über die Linkspartei und das neue "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW). 2015 erschien sein Buch “Angst ums Abendland” über antimuslimischen Rassismus. 2018 folgte das Buch “Die Volksverführer. Warum Rechtspopulisten so erfolgreich sind.”
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9 Kommentare

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  • Absurder geht es kaum. Wie viele Menschen wollen mir nicht die Hand schütteln, oder umgekehrt, weil "unsympathisch"? Menschenrechte sind unteilbar, aber genau das wird immer noch im Westen im Frage gestellt?

     

    Ich würde auch nicht jedem im Westen die Hand schütteln wollen, welcher für mehr als 1,5 Mio. getöteten im Nahen Osten und anderswo auf der Welt, seit 9/11Mitverantwortlich war und ist?

     

    Ich würde auch Menschen die Hand nicht schütteln wollen, welche dafür mitverantwortlich sind, dass man noch heute regelmäßig mit dafür sorgt, dass mit der Ausgrenzenden "Gastarbeiter Ideologie" Menschen diskriminiert und ausgegrenzt werden. Der Westen verwechselt eben immer noch sehr gerne "Ursachen und Wirkung"

     

    Solange der Westen mit seinen gerade einmal 10% der Weltbevölkerung den Rest der Welt als seine Kolonie sieht und auch so behandelt, braucht sich im Westen niemand darüber aufregen, dass es Flüchtlinge und Terroristen gibt.

  • 6G
    6474 (Profil gelöscht)

    jetzt hätte ich dem herrn bax beinahe mal zugestimmt, aber: "Ein ausländisches Staatsoberhaupt reicht Klage gegen einen Satiriker ein? Halb Deutschland sitzt auf dem Sofa und ist empört."

     

    ^^bitte? ein türkischer dikator reicht klage gegen einen satiriker ein und die BRD unter merkel billigt sogar die anzeige wegen majestätsbeleidigung und halb deutschland(was ist mit der anderen hälfte) soll sich also mal nicht so haben und es gelassen sehen, das man dafür 3 bis 5 jahre in den knast gehen kann?

    http://www.n-tv.de/politik/Tuerkei-will-fuer-Erdogan-Verfassung-aendern-article17795141.html

  • Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland

    Art 2

    (1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

     

    Den Handschlag zu verweigern würde ich zu den Freiheitsrechten zählen. Ich will auch nicht jedem die Hand geben der mir diese hinstreckt, da gibts durchaus Situationen in denen ich das ganz bewusst ablehnen würde.

  • 8G
    849 (Profil gelöscht)

    Ich finde es richtig, wie die Schweiz das macht. Es gibt in einer Gesellschaft, wenn sie sich denn so nennen will, gewisse Dinge, die man tut oder unterlässt. Wir greifen in Deutschland viel zu wenig durch und weisen jene nicht in die Schranken, die z.B. anlässlich von Fußballspielen den ÖPNV demolieren, in ihn urinieren, vomitieren oder defäkieren. Wir dulden es, wenn Jugendliche im ÖPNV ihre Füße auf die Sitze legen, wenn sie Alkohol oder andere klebrige Flüssigkeiten verschütten und Müll hinterlassen, sie oder ältere "Mitbürger" den Zug zur Party-Zone machen, wenn Muslima nicht am Schwimmunterricht teilnehmen wollen, weil sie dazu Badeklamotten anziehen sollen oder wenn Autofahrer Radfahrer und Radfahrer Fußgänger terrorisieren. Wir wehren uns auch nicht gegen die Korruption in Form von Seilschaften und Lobbyisten, die unser Land mittlerweile im Verein mit den verfilzten Parteien zu regieren scheinen.

     

    Der Staat ist schwach und nur gut darin, seine Bürger mit immer mehr Steuern und Regelungen zu drangsalieren. Seine Bürger sind es auch, wenn sie nicht reich oder mächtig oder beides sind. Wenn die Leute nicht von alleine eine gewisse Disziplin und einen gewissen Anstand wahren und beides im Elternhaus nicht mehr vermittelt wird, muss es ihnen halt anderweitig beigebracht werden. Bei Fortsetzung der laisser-faire-Haltung schreitet die Verwahrlosung, die den Reichen und Mächtigen recht kommt und den Armen und Ohnmächtigen billig ist, nur noch weiter voran.

    • 6G
      6474 (Profil gelöscht)
      @849 (Profil gelöscht):

      ein bischen verwirrter text über einen schwachen staat der durch regulierungen und steuern drangsaliert, aber die reichen und mächtigen wollen ....irgendwas....und ausserdem sollte man mit den bösen füßehochlegern in der bahn...irgendwas tun....einknasten oder so....und händeschütteln als pflicht demnächst auch mit dem kassierer....

      muss ich eigentlich als schüler einem lehrer der davor sichtbar in der nase gepobelt hat auch gesetzlich die hände schütteln, oder gibt es irgendeine begründung warum diesen gesetzlich verorndneten handschlag in zukunft verweigern darf?

      sollte man nicht zusätzlich über ein pograpscher-gesetz nachdenken, was dem sportlehrer erlaubt auch mal die hinteren muskelpartien seiner schülerinnen abzutasten?

       

      im ernst: wie kann es ein gesetz geben was mir verbietet, aus welchem grund auch immer, meine körperlichen grenzen selbst festzulegen?

      ich hätte alsnicht-religiöser schüler auch keine lust gehabt meinem verhassten sado-klassenlehrer aus zwang die hand zu schütteln.

      zumindest einmal hate isch es mit herrn bax: die schweiz dreht durch

      • 8G
        849 (Profil gelöscht)
        @6474 (Profil gelöscht):

        Die körperlichen Grenzen werden von der Schulpflicht recht genau festgelegt. Junge Menschen müssen jahrelang in die Schule gehen, sie müssen sich dort hinsetzen oder im Sportunterricht über Hindernisse springen uswusf. Ob sie das wollen, ist wurscht. Sie haben es zu tun, weil die Gesellschaft es so will.

         

        Aber die Gesellschaft will offenbar nicht mehr viel, jedenfalls nichts, was die "Freiheit" des Einzelnen einschränkt. Mein Argument ist, dass diese Freiheit des Einzelnen, die Bedingung dafür ist, dass sich jeder, der in der Lage ist sie sich zu nehmen, weitgehend ungeniert tut, was ihm gerade passt.

         

        Den Ohnmächtigen macht das Spaß, weil sie sich mächtig fühlen können, den Mächtigen auch, weil die Ohnmächtigen die Klappe halten, weil sie zu sehr mit sich selbst beschäftigt sind.

         

        Ich halte das für komplementär und eine Gesellschaft, die nichts mehr regeln will, für dekadent. Dass eine solche Gesellschaft für eine Integration von Zuwanderern nicht gerade gute Signale sendet, können wir allenthalben sehen.

        • 6G
          6474 (Profil gelöscht)
          @849 (Profil gelöscht):

          die gesellschaft will eine ganze menge:

          arbeit, schule-angefangen von der erwartungshaltung des arbeitgebers bezüglich äusserlichkeiten als voraussetzung für die möglichkeiten einer lohnarbeit nachgehen zu "dürfen", der man letztlich nachgehen muss um zu bestehen usw.

          leistungsdruck überall, erwartungshaltung überall und ja-da schlagen dann also die ohnmächtigen manchmal über die stränge,nicht um sich mächtig zu fühlen sondern um sich selbst noch zu fühlen, in einer durchökonomisierten welt und du willst dann also nochmal draufhauen, auf die ohnmächtigen?

           

          aber was hat das jetzt genau mit dem zwang zu tun, sich anfassen zu lassen?

          die schüler MÜSSEN sitzen, MÜSSEN über geräte springen usw.-na also, dann müssen sie ja doch was, oder nicht?

          aber was hat das genau mit dem recht zu tun das ich selbst entscheiden möchte wessen haut ich berühre und welche hand ich ablehne?

          genauso könnte man die prügelstrafe in schulen wieder einführen, oder verlangen das alle vor dem unterricht aufstehen und die nationalhymne singen. ist das deine vorstellung von einer gesellschaft die wieder etwas "will"?

          • 8G
            849 (Profil gelöscht)
            @6474 (Profil gelöscht):

            "da schlagen dann also die ohnmächtigen manchmal über die stränge,nicht um sich mächtig zu fühlen sondern um sich selbst noch zu fühlen, in einer durchökonomisierten welt und du willst dann also nochmal draufhauen, auf die ohnmächtigen?"

             

            Ich halte das Überdiesträngeschlagen nicht für episodisch, sondern für epidemisch. Ferner ist dieses Ventil nicht geeignet, an der Ohnmacht der Ohnmächtigen etwas zu ändern. Es macht sie allenfalls erträglicher. Die Energien in den Widerstand zu stecken, wäre besser, aber dafür braucht es vor allem Selbstdisziplin, an der es heute mangelt, weil sie fast nirgends mehr gefordert wird.

             

            "aber was hat das genau mit dem recht zu tun das ich selbst entscheiden möchte wessen haut ich berühre und welche hand ich ablehne?"

             

            Wen wer privat berührt, stand hier nicht zur Debatte. Es geht hier um die Schule und demnach um einen Bereich, in dem Regeln herrschen, die von Lehrern wie Schülern zu befolgen sind. Schüler können auch nicht verlangen, dass sie nur gemeinsam mit "Biodeutschen" unterrichtet werden, weil sie etwa die Präsenz von Muslimen in der Klasse stört und vice versa. Insofern können sie auch nicht verlangen, dass ihren angeblichen religiösen "Befindlichkeiten" Rechnung getragen wird. Sollen sie auf eine muslimische Schule gehen, wenn sie damit nicht klarkommen. Und wenn es hierzulande keine gibt, dann sollen sie halt welche gründen.

             

            Dass du aus meinen Einlassungen Prügelstrafe oder Absingen der Nationalhymne herausliest, ist das Problem deiner vorurteilsgeladenen Trigger.