: Es kann nur eines geben
Reiserad Ein wenig exotisch war’s schon immer, jetzt kommt es sogar noch spezialisierter daher. Oder aber als Multitalent: gemacht für unterwegs und ebenso geeignet für die Stadt
von Helmut Dachale
So, in diesem Sommer wird wieder mehr Rad gefahren. Ich schwör’s. Auch längere Touren, klar. Auf dem Elberadweg zum Beispiel, warum nicht. Muss ja nicht gleich bis nach Dresden sein. Vielleicht erst mal von Brunsbüttel bis nach Hamburg. Oder an einem langen Wochenende kreuz und quer durchs Wendland, so wie früher.
Löbliche Vorsätze, schöne Aussichten. Nicht selten gebären sie neue Wünsche. Kaufabsichten. Wer Radreisen plant, der braucht halt das entsprechende Material. Etwas Robustes, das viel Gepäck verträgt und dennoch leicht zu bewegen ist. Was sagt der Fahrradfachhändler dazu? Der guckt streng und sagt: Reiserad, was für ein Reiserad? Meint er sicherlich nicht so. Aber als Experte ist es nun mal seine Pflicht, darauf hinweisen, dass heutzutage Ausdifferenzierung angesagt ist. Auch beim Reiserad, jawohl.
Da gäbe es etwa das Worldwide-Modell, auch Wüsten- oder Expeditionsrad genannt. Sollte sein Qualitätsstahlrahmen überhaupt jeweils brechen, könnte er selbst in Nordkorea geschweißt werden. Stahl eben. Hochrangige Schaltung, Lowrider, Schmetterlingslenker, Gewindeösen für mindestens zwei Trinkflaschen – Hightech und unerbittliche Zweckorientierung. Und deshalb gibt es auch keine Federung. Wäre für die Sahara viel zu wartungsbedürftig.
Als Gegenpol dürfte der wohlsortierte Händler dann auf ein Bike zeigen, das eventuell gefedert ist, aber so gar nicht nach Gepäcktransport aussieht. Kein hinterer Gepäckträger, vorderer Lowrider sowieso nicht. Dafür fällt die voluminöse Bereifung auf und dazu die bergfähige Schaltung. Eher so ein MTB- oder Querfeldein-Typ, mit dem man durch jeden Wald und über alle Berge käme. Angeblich das Rad für kürzere Trips mit naturnahem Charakter. Bikepacking, Overnighting, Micro-Adventure – diese Begriffe haben die Marketingabteilungen dafür erfunden. Doch auch für die kleinen Fluchten, selbst für eine einzige Übernachtung im Grünen will ja niemand auf Ausrüstung ganz und gar verzichten. Also hat Ortlieb jetzt eine Tasche im Programm, die am Sattelgestänge befestigt wird. Und auch noch die Lenkerrolle für vorne, alles fein ausgedacht und speziell gemacht fürs gepäckträgerfreie Bike.
Schön und gut, meint der Kaufinteressierte. Aber Wald oder Wüste? Nein, er möchte lieber auf gut ausgebauten Radfernwegen unterwegs sein. Und sein Reiserad gern auch im Alltag benutzen, zum Einkaufen oder auf dem Weg ins Büro. Ja, gibt’s denn so was?
Doch, es gibt noch das klassische Reiserad, auch Randonneur genannt. Und wenn das nicht mit dem gleichnamigen Rennlenker daherkommt, kann es auch das richtige für den Stadtverkehr sein. Davon ist Achim Bellgart überzeugt, ein Bremer Ende fünfzig, für den solch ein Fahrrad auf all seinen Wegen die erste Wahl ist. Kuba, Sardinien, Bretagne, Irland, Masuren, Rumänien, eine Vielzahl von hiesigen Gefilden und noch ein paar Regionen mehr hat er in den letzten Jahren damit durchstreift. Und zudem legt er auf dem gleichen Rad, seinem einzigen, monatlich 300 bis 400 Kilometer im Stadtverkehr und in der näheren Umgebung Bremens zurück. Sommers wie winters. Sofern er nicht gerade anderswo unterwegs ist.
Mittlerweile fährt er das zweite Modell, ähnlich ausgestattet wie sein erstes, das ihm 14 Jahre lang die Treue hielt. Einige der Alt-Komponenten kamen noch dem neuen Rad zugute. „Es gibt Händler, die sind dazu bereit“, so Bellgart. So ist unter anderem der eingefahrene Gel-Sattel übertragen worden. Und natürlich auch die teure Rohloff-Nabenschaltung mit ihren 14 Gängen. „Ob mit Gepäck bergauf oder flott durch den Stadtverkehr – die allerbeste Schaltung mit breiter Übersetzung ist ein Muss“, meint Bellgart. Und was sonst noch so?
Bellgart hat sich für einen CrMo-Stahl-Rahmen in traditioneller H-Diamant-Geometrie entschieden. Zusammen mit einem geraden Lenker plus Hörnchen ergebe das auch mit Gepäck ein flatterfreies Fahrverhalten, erlaube entspannten Langstreckenlauf wie auch die nötige Wendigkeit im Straßenverkehr. Dazu zuverlässige Hydraulikbremsen, pannensichere Bereifung mit gutem Grip, 37 Millimeter breit, selbstverständlich eine zuverlässige Lichtanlage mit Nabendynamo. Die soliden Gepäckträger hinten und vorne „machen auch im Alltag Sinn, auf alle Fälle dann, wenn ein größerer Einkauf oder Transport ansteht“.
Ein Reiserad mit multiplen Talenten – schau an, so etwas kann es also geben. Eins für alle, zumindest für viele Zwecke. Okay, für die Adventure-Tour durch Schlamm und über Geröll wäre so ein Randonneur wohl weniger geeignet. Aber auf dem Elberadweg bis nach Dresden und weit darüber hinaus: Gute Reise! Und auch urbane Entspannungsübungen wie „Mit dem Rad zur Arbeit“ dürften damit gelingen. Jeden Tag.
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