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Die WahrheitDer Jesus von Eupen

Was, wenn man bemerkt, dass einen seit Jahren nichts interessiert? Nicht einmal die Freundin? Ein Besuch bei den Anonymen Gleichgültigen.

Symbolbild: Gefangen in den Papierkörben der Gleichgültigkeit Foto: ap

Der Raum ist hell, modern und ein wenig kühl – typisch für einen Gemeinde-Mehrzweck-Saal einer Kirche in einer Hochhaussiedlung am Stadtrand von Eupen. Björn M. hat zwölf Stühle im Kreis aufgestellt. Der Rest der 400 Stühle steht gestapelt an der rückwärtigen Wand, sollte er später noch mehr brauchen.

Aber Björn S. (Name von der Redaktion geändert – „Sie können aber auch meinen richtigen Namen drucken, ist mir eigentlich egal“, sagt er gleich zu Beginn), Björn Stickel also, winkt ab. Er rechnet nicht mit vielen Teilnehmern. „Ist ja das erste Treffen“, sagt er, „das muss sich erst mal rumsprechen.“

Auf einem Klapptisch stehen Plastikbecher, Stickel hat Mineralwasser und eine Thermoskanne voll Kaffee besorgt, auch eine bereits geöffnete Packung Kekse, die bunte Mischung einer No-Name-Marke, liegt dort. Im Hintergrund tönt leise der YouTube-Hit „Is mir egal“ von Kazim Akboga aus den Lautsprechern einer Mini-Anlage. An der Wand hängt ein Banner mit einem Motto, Björn Stickel hat es dem Wahlspruch der Französischen Revolution entlehnt: „Egalité, egalité, egalité!“ steht in großen Lettern geschrieben. Björn Stickel leidet seit mehr als fünf Jahren unter Gleichgültigkeit.

Die Freundin fordert Begeisterung

„Na ja, ich würde das jetzt nicht leiden nennen“, sagt er, „meistens ist es mir egal. Ich leide ja nicht selbst. Aber meine Freundin, der gefällt meine Gleichgültigkeit jetzt nicht so. Die findet die nicht so gut. Meistens sagt sie was wie: ,Sag doch auch mal was' oder ,Was meinst du denn dazu?‘ oder ,Zeig doch mal ein bisschen Begeisterung.' “

Oft merkt Björn Stickel dann, dass er schon seit mehreren Minuten gar nicht mehr richtig zugehört hat und nicht weiß, wovon seine Freundin eigentlich spricht. Und eines Tages fiel ihm auf, dass es ihn auch nicht wirklich interessiert. „Manchmal saß ich so da, hörte meine Freundin und dachte: ,Ach, wenn es mich doch nur interessieren würde.“ Als er das seiner Freundin gestand, fing sie an zu weinen.

„Ich bin ja jetzt nicht so der Typ, der mit weinenden Frauen kann“, gibt Björn Stickel zu, „und eines Tages dachte ich: Was würde Jesus tun?“

Seit Jahren leidet der Egalist unter Gleichgültigkeit und empfindet es nicht mal als Leiden

Er schaut sich lange im Gemeindesaal um, sein Blick sucht und findet das Kruzifix aus Waschbeton an der Stirnseite des Raumes. Wir haken nach: Was würde Jesus denn tun?

Stickel zuckt mit den Schultern. „Keine Ahnung“, sagt er, „ich bin nicht besonders gläubig. Aber ich musste etwas tun. Deshalb dachte ich, vielleicht sollte ich irgendwann mal was gegen meine Gleichgültigkeit unternehmen.“

Ein Entschluss, in dem ihn seine Freundin bestärkte. Das war vor drei Jahren. Zuerst sprach er mit Freunden über sein Problem, manchen von ihnen geht es ebenso wie ihm, und er hofft, dass sie heute auch zum Treffen kommen. „Einer hat gesagt, das ist ja kein Wunder, dass du dich nicht dafür interessierst, was deine Freundin sagt, die ist ja auch langweilig, würde mir genauso gehen.“

Aber so einfach trennen will er sich nicht von ihr. „Is mir irgendwie zu anstrengend, und dazu ist es mir auch ein bisschen zu egal.“

Er habe sogar einen Improtheaterkurs belegt, wo er lernen wollte, wie man relativ spontan auf seinen Gesprächspartner eingeht und so tut, als ob man zuhört. „Da hab ich so Dinge gelernt wie: ,Aha, das ist ja interessant‘ und ,soso'. Und ,erzähl mir mehr‘. Und verschiedene Arten, mit dem Kopf zu nicken. Aber so ein Repertoire ist natürlich irgendwann ausgeschöpft, und da hat meine Freundin gemerkt, dass ich immer dasselbe sage und mache. Aber das war ja ohnehin alles nur Symptombekämpfung.“ Jetzt will er an die Wurzeln des Problems.

„Ich schau ja ganz viele amerikanische Fernsehserien“, erklärt Björn Stickel, „egal was. Krimi, Science-Fiction, Comedy – und da tauchen ja dauernd solche Selbsthilfegruppen auf, und da dachte ich, mach ich doch auch mal so was.“ Gesagt, getan. Nun hat er zum ersten Treffen der Selbsthilfegruppe der Anonymen Gleichgültigen eingeladen. „Gleich und gleich gesellt sich gern, hat schon meine Großmutter immer gesagt.“

Der Psychologe macht die Gesellschaft verantwortlich

So wie Björn Stickel geht es immer mehr Menschen in unserer Gesellschaft, das weiß auch der Psychologe Dr. Michael Lauber. „Ja, die Gleichgültigkeit greift um sich in unserer Gesellschaft. Immer mehr Menschen sind gleichgültig. Wir können schon von einer Vergleichgültigung der Gesellschaft sprechen. Da ist natürlich das Internet schuld, aber auch unsere Konsumgesellschaft. Die Parteien werden auch alle gleicher. Und nicht zuletzt die Gleichberechtigung. Wenn wir alle gleich sind, sind irgendwann auch wir uns alle gleich. Wir stehen da erst am Anfang einer gefährlichen Entwicklung.“

Björn Stickel ist inzwischen mit den Vorbereitungen fertig. Er schaut zur Uhr, die über dem Beton-Kruzifix hängt, es ist zehn vor acht. Die Anonymen Gleichgültigen können kommen. Björn Stickel nimmt einen Keks aus der Packung und beißt hinein.

„Ich bin schon sehr gespannt“, sagt er, „oder ich wäre es, wenn es mich interessieren würde.“

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