: Ein Weihnachtsmann gerät auf Abwege
Filmfestival Was bedeutet unabhängig? Eindrücke von den Vienna Independent Shorts in Wien
Angeblich hat Bill Plympton den ganzen Donnerstag in seinem Wiener Hotelzimmer zugebracht. Es ist der 26. Mai, der erste offizielle Programmtag der Vienna Independent Shorts. Was Plympton dort getan hat? Hunde gezeichnet. Oder besser: einen Hund. Den einen Hund. Eine sabbernde, ängstliche und kläffende Töle, klein, dicklich, doch auch sehr anrührend. In zahlreichen Plymptoons (so nennt Plympton seine animierten Geschichten) ist dieses Wadenbeißerchen zu sehen. Für Plympton ist er seine „neue Mickey Maus“. Eine bellende Mickey Maus, die auch an jenem Donnerstagabend im Filmmuseum zu sehen ist.
Das Kurzfilmfestival hat dem 70-jährigen US-Künstler ein Sonderprogramm ausgerichtet. Anlass ist sein Geburtstag, der genau in die Zeit des 13. Festivals fällt. Und natürlich auch ein gutes Stück Verehrung für das Werk des 1946 in Portland, Oregon, geborenen Animators. Plympton freut sich. Seine kurzen Hosen strahlen zitronenfarben. Ein interessanter Kontrast zum bordeauxroten Hemd und den orange schimmernden Haaren. Plympton selbst könnte einem seiner Comics entsprungen sein.
Aber warum war er noch gleich den ganzen Tag auf seinem Zimmer? Die Anwesenden sollen im Anschluss an den Abend eine Zeichnung mit nach Hause nehmen. Selbstverständlich gegen ein kleines Entgelt. Plympton arbeitet in der Regel eigenständig an seinen Filmen, von einigen Kooperationen, zum Beispiel mit „The Simpsons“ oder MTV, einmal abgesehen. Auch für die New York Times und den Rolling Stone hat er gezeichnet, in den Siebzigern war das. Ein lukratives Angebot von Disney hat er abgelehnt. „Die hätten mich binnen kürzester Zeit rausgeschmissen.“, sagt er. Independent zu sein heißt also auch: auf Merchandise zu setzen. Das VIS beweist ein gutes Händchen für die großen Unabhängigen. Im Jahr 2015 hatte man Don Hertzfeldt zum Stargast auserkoren. Hertzfeldt, ebenfalls Cartoonist, gewann im selben Jahr den Grand Jury Award in Sundance für seinen Film „World of Tomorrow“. Sowohl Hertzfeldt als auch Plympton sind gute Exempel dafür, was es bedeutet, fernab der großen Player zu arbeiten: ein Maximum an Freiheit paart sich mit einem steten, weil nötigen Produktionsfluss.
Anarchische Bilderfolgen
Das hat etwas Manisches und Leidenschaftliches. Bei Bill Plympton manifestiert sich jene Freiheit in nahezu anarchischen Bildfolgen, bizarr und surreal, stark sexualisiert und extrem witzig. Politisch korrekt ist hier gar nichts. An einem der insgesamt drei Abende plaudert Plympton von einem geplanten Projekt, das Hitler als Cartoonist zeigen soll. Die Hälfte seines Teams sei daraufhin abgesprungen. Plympton erstaunt das, schließlich war „Santa: The Fascist Years“ von 2014 ein ziemlicher Hit. Zu sehen: ein Weihnachtsmann, der auf Abwege gerät und alles daransetzt, die anderen Feiertage zu unterjochen.
Für Plympton ist Komik, wenn Perspektiven vertauscht werden. Es geht um den Moment der Überraschung und um alles, was eine unmittelbare Reaktion erzeugt. Plympton sagt, er könne gar nicht anders. Macht das seine Arbeit weniger mutig? Nein. Der Mut besteht in der Konsequenz, mit der er sein Werk fortzeichnet. Auch wenn es manchmal scheint, als nahte das Ende. Eine Anekdote erzählt von einer Neuauflage seines fünfminütigen „Guard Dog“ von 2004, an der verschiedene Animationskünstler mitwirken sollten. Per Mail konnte jeder seine Teilnahme zusagen. Doch zum Stichtag war keine einzige Nachricht im Postfach. Deprimierend wie irrtümlich: lediglich der Server war wegen des Ansturms zusammengebrochen.
Carolin Weidner
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