Auf Trüffelsuche in Serien-Soundtracks: Tschüss Holzhammer und Kitschklavier
Die Couchreporter Heute: Jenni Zylka
Anfang der nuller Jahre wurde aus „Emergency Room“ ein „Emotional Room“: Als die Showrunner begannen, fast jede Folge mit einem gefühlvollen Song zu beenden, irgendein Lied, das die Bilder der heimlich saufenden Abby, des traurigen Dr. Carter und der einsamen Dr. Weaver sanft untermalte. Cheesy stuff wie „Taking you home“ vom Eagles-Sänger Don Henley, oder Kuschelrockhorror wie „Silver Lining“ von Amanda Ghost. Echten Fans macht das natürlich nichts aus. Man lässt sich – musikalisch und dramaturgisch – von dem Chicagoer Göttern in Grün ausgesprochen gern manipulieren. Selbst wenn sich einem bei der ausgewählten Musik normalerweise vor Ekel die Fußnägel hochrollen.
Die großartigen Songs, die im „Mad Men“-Abspann warteten wie kleine Trüffel auf das Wildschwein, hätte man dagegen fast ausnahmslos auf Mixtapes bannen wollen: Bob Dylan! Bobby Vinton! Ella Fitzgerald! Yma Sumac! Sogar die Beatles autorisierten gegen läppische 250.000 Dollar „Tomorrow never knows“ für eine Episode aus der 5. Staffel – im Beatles-Universum ein Geschenk. Bei „True Blood“ ging es noch toller weiter mit Rufus Thomas, Erik Satie, Beck und MC Solaar. „Fargo“ grub neulich Jethro Tull aus, und es passt spitze.
„The Sopranos“ hatten schon Ende der Neunziger – ein paar Jahre nach dem Kino, wo Tarantino 1992 anfing, Menschen zu gut gelaunten Oldie-Klassikern aufeinander einprügeln zu lassen – das erste Mal gewagt, Szenen mithilfe von aussagekräftiger Musik zu konterkarieren. Anstatt nach dem „Emergency Room“-Modell emotional zu stützen und dem Zuschauer Gefühle mit dem Holzhammer (bzw. dem Kitschklavier) einzuchanneln, wurde endlich auf Ironie gesetzt, auf eine spannungsgeladene Schere zwischen Sound und Bild.
Es hilft eben, wenn man sich als englischsprachige Serienproduktion darauf verlassen kann, dass das Publikum den Witz versteht. Und wenn man gleichzeitig im größten Unterhaltungsmusik-Fundus der Welt wühlen kann. „Deutschland 83“, das ungewöhnlich flott und überzeugend horizontal erzählt und für ein internationales Publikum mitgedacht wurde, hatte es als deutsche Produktion dementsprechend schwer – so erklärte sich die Songauswahl mit viel zu oft gehörten Gassenhauern wie „99 Luftballons“ und „Major Tom“, die zwar konsequent die Charts der Zeit abbildet, aber in ihrer Bravo-Hits-Wurstigkeit eben auch das Gegenteil von Trüffeln ist.
„The Knick“, inszeniert von Steven Soderbergh, gibt sich coolerweise gar nicht mehr mit Songs ab und hat stattdessen ein eigenwilliges und wunderbares Musikkonzept erdacht, um die Geschichte des Drogendoktors Thackery im New York zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu erzählen: Soderberghs Leib- und Magenmusiker Cliff Martinez (der übrigens als Schlagzeuger auf dem ersten Red-Hot-Chili-Peppers-Album spielte) ersann einen charismatischen Elektroscore, in dem es brutzelt und buzzt, klickert und fiept. Statt historische Musik (Ragtime, Big Band) zu benutzen, um Stimmungen zu erzeugen, spiegelt der Score ausschließlich die inneren Entwicklungen und Zustände seines Helden. Das ist modern und sexy. Und so wahnsinnig gut gemacht, dass es einem den Atem verschlägt.
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