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Asyl im Mainstream

Refugee Chic Das Thema Flüchtlinge spiegelt sich in der Popkultur. Einige Popstars waren selbst mal welche. Aber wo bleiben die Stimmen der Flüchtlinge von heute?

„Borders“ war ihr Kommentar zur Flüchtlingsfrage: Die Rapperin M.I.A. ist für radikale Statements bekannt Foto: Universal Music

Von Daniel Bax

Mit Grenzüberschreitungen kennt sich M.I.A. aus. In dem Video zu ihrem Song „Borders“, das sie im vergangenen Herbst veröffentlichte, lässt die britische Rapperin eine Armee namenloser junger Männern aufmarschieren, die sich am Strand zu surrealen Menschenpyramiden auftürmen und Gitterzäune hochklettern, die an die Grenzbefestigungen von Ceuta und Melilla erinnern. Sie hangeln sich an den von Stacheldraht gekrönten Gittern hoch, dann gruppieren sie sich zum Wort „LIFE“; es sind plakative Szenen wie aus Bildern von Salvador Dalí.

Später sitzt die Sängerin, von einer stoisch schweigenden Menge junger Männer umringt, in einer überfüllten Barke auf hoher See, die Boote formieren sich zur Flotilla auf einer Fahrt ins Nirgendwo. Zum Schluss sieht man sie alle, in golden glänzende Notfalldecken eingehüllt, wie sie den Flüchtlingen in Lesbos und Lampedusa übergeworfen werden.

Das Video bietet ein Vorgeschmack auf M.I.As kommendes Album, das von einem Film begleitet werden soll und mit dem die Musikerin „das Konzept der Grenze erforschen“ will, wie ihr Label verlauten lässt. Die 40-jährige Maya Arulpragasam ist für radikale politische Statements bekannt, musikalisch klingt ihre knallige Fusion aus Elektro-Beats mit Ethno-Einschlag auf „Borders“ jedoch minimalistisch und reduziert.

Grenzen überschreiten

Dafür sitzt jedes Wort: „Borders: what’s up with that?“ („Grenzen: Was ist damit?“), fragt sie provokant und hinterfragt das westliche Privileg, sich über die Marke des eigenen Smartphones definieren zu dürfen, während andere ihr Leben riskieren müssen, um an diesem Wohlstand teilzuhaben. Der Song lässt sich auf vielfältige Weise lesen, auch als Frage nach den viel beschworenen Werten des Westens. Konkret: Wie viel Wert besitzt für das Leben eines Menschen, der an die Tür unserer Wohlstandsgesellschaften klopft?

Natürlich kann man M.I.A den Vorwurf der Ästhetisierung des Leids machen. Andererseits darf sich M.I.A berufen fühlen, sich zu dem Thema zu äußern, ist sie doch selbst ein Flüchtlingskind. Mit neun Jahren kehrte sie mit ihrer Mutter samt Geschwistern aus Sri Lanka nach London zurück, um der Gewalt auf der Insel zu entfliehen. Ihr Vater war dort in einer militanten tamilischen Gruppe aktiv, und Maya Arulpragasam kam mit ihrer Familie in einem Flüchtlingsheim unter, bevor sie nach ihrem Schulabschluss am Londoner Saint Martins College of Art Kunst und Film studierte und zu M.I.A wurde.

„Borders“ ist eine ästhetisch überwältigende und politisch überzeugende Provokation. M.I.A ist aber beileibe nicht die Erste und Einzige, die sich der Flüchtlingsthematik aus biografischer Erfahrung heraus widmet. In seinem Song „Coming to America“ hat etwa der somalisch-kanadische Rapper K’naan seine Fluchtgeschichte verarbeitet. Als der Bürgerkrieg 1991 Mogadischu erreichte, flohen seine Eltern mit dem damals 13-Jährigen nach New York und ließen sich später in Toronto nieder – im Stadtteil Rexdale, in dem viele Somalis leben. „I’m tired of always going through barriers / I just wanna live a good life“, heißt es im Refrain.

Auch andere Popstars waren selbst mal Flüchtlinge. Eine der erfolgreichsten HipHop-Bands aller Zeiten, die Fugees, leiteten sogar ihren Namen vom Wort „Refugees“ ab. Denn in New York wurden Einwanderer aus Haiti wie Figees-Mitbegründer Wyclef Jean, der als Kind aus Haiti in die USA kam, ganz allgemein abschätzig so bezeichnet.

Eine tatsächliche Flüchtlingsband sind dagegen die Sierra Leone’s Refugee All Stars, die sich in den 1990er Jahren in einem Flüchtlingslager in Guinea gründeten und traditionelle westafrikanische Balladen mit Reggae verbinden. Die Aufnahme ihres ersten Albums „Living Like A Refugee“ ermöglichte ihnen der UNHCR, das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen; es folgten Welttourneen und Aufnahmen mit renommierten Rockstars und Produzenten

Nach dem Ende des Bürgerkriegs kehrten sie 2002 in ihr Heimatland zurück. Zwei Filmemacher begleiteten sie dabei, und ihr preisgekrönter Dokumentarfilm machte die Band international bekannt; mittlerweile haben sie vier Alben veröffentlicht – das letzte, „Libation“, erschien 2014.

Ein Gesicht, eine Geschichte

Dass man kein Flüchtling gewesen sein muss, um deren Perspektive einzunehmen, zeigt jedoch die Düsseldorfer Punkband Broilers: In ihrem Song „Ich will hier nicht sein“ aus dem Jahre 2014 versetzen sie sich in die Lage eines Asylbewerbers. „Ich hatte ein Boot und ich hatte ein Haus“, singt Broilers-Sänger Sammy Amara, dessen Vater in den 60er Jahren aus dem Irak nach Deutschland kam: „Doch sie hatten Bomben und sie machten uns Angst. Von dem, was ich hatte, blieb nur der Rauch.“ Im dazugehörigen Video kommen einige Flüchtlinge selbst zu Wort: sie erhalten ein Gesicht und eine Geschichte. Der Song ist konventioneller Pathos-Rock à la Tote Hosen, aber das Ergebnis effektvoll und berührend.

Doch wo bleiben ansonsten die Stimmen der Flüchtlinge von heute? Geflüchtete Musiker haben es nicht so leicht, Asyl im Mainstream zu finden. Es lauern aber auch ästhetische Fallen, denn der Weg vom Refugee Chic zum Refugee-Kitsch ist nicht weit.

Es gibt klassische Charity-Projekte, ungewöhnliche Bene­fiz-Aktionen und engagierte Musiker, die mit geflüchteten Musikern hervorragende Bands zusammenstellen. Der Kieler Musiker und Schriftsteller Heinz Ratz macht das schon seit Jahren und erhielt dafür das Bundesverdienstkreuz; zuletzt brach er im Sommer 2014 mit seiner Band „Strom & Wasser featuring The Refugees“ zu einer „Sommer-Floßtour“ entlang von Neckar und Rhein auf. Solche Projekte sind immer gefährdet, weil es zum Beispiel immer wieder vorkommt, dass ein Musiker abgeschoben wird.

Orchester auf der Flucht

Daneben gibt es Geschichten wie die der syrischen Band Khebez Dawle, die schon von etlichen Medien aufgegriffen wurde. Die Musiker aus Damaskus flohen im vergangenen Sommer aus Beirut über die Türkei nach Deutschland. Als sie im Schlauchboot auf Lesbos ankamen, verteilten sie gleich CDs an die badenden Touristen, wurden dabei gefilmt, und die Aufnahmen machten in den sozialen Netzwerken die Runde.

Schon auf der Balkan-Route gaben sie Konzerte in Zagreb und Österreich. Inzwischen leben sie bei Berlin und werden europaweit zu Auftritten und Festivals eingeladen. Doch erst mal müssen sie abwarten, bis die deutschen Behörden über ihren Asylantrag entschieden haben. Ihr Sound klingt von Pink Floyd und Radiohead beeinflusst, ihre Lieder handeln vom Aufbruch und der Sehnsucht nach Syrien, wie es früher war. Khebez Dawle wollen aber nicht als hilfsbedürftige Opfer bedauert, sondern als Menschen angesehen werden, die etwas erreichen wollen, in ihrem Fall: eine Platte aufnehmen, ein Publikum begeistern.

Der britische Popstar Damon Albarn unterstützt derweil das syrische Nationalorchester, mit dem er vor Jahren für das Gorillaz-Album „Plastic Beach“ zusammengearbeitet hatte. Nach Ausbruch des Bürgerkriegs mussten Dirigent Issam Rafea und die Musiker des 90-köpfigen Orchesters aus Damaskus fliehen und wurden in alle Winde zerstreut. Anfang des Jahres kamen sie in London erstmals wieder auf einer Bühne zusammen, um traditionelle arabische Musik in klassischer Besetzung zu spielen.

Mit Damon Albarn sind weitere Konzerte angesetzt, etwa beim Roskilde-Festival in Dänemark. Auch dahinter steckt die Absicht, ein anderes und vielschichtigeres Bild der Kultur zu zeichnen, welche die Musiker aus Syrien mitbringen.

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