piwik no script img

Frauenliteratur„Ohne Chauvigeist wäre ich tot“

Die Texte von Jutta Heinrich gelten als radikal. Und ihr ganzes Leben steht ihrer Literatur in nichts nach. Jetzt wurden drei ihrer frühen Werke neu aufgelegt.

Jutta Heinrich versuchte, das anständige Leben einer Frau zu führen. Klappte nicht.Also schuf sie radikale Literatur. Foto: Stephan Gabriel

HAMBURG taz | Sie hat es ja versucht, das bürgerliche Leben, das anständige, das, was einer Frau Ende der 1950er-Jahre zustand: 1957 war Jutta Heinrich 17 Jahre alt und das dritte Mal verlobt, dieses Mal mit einem Polizeischüler. „Es war das letzte Essen vor der Hochzeit, wir saßen am Chiemsee, mit diesem gigantischen Blick auf die Berge. Und was haben wir geredet? Einen stümperhaften Dreck.“ Sie heulte eine Stunde lang auf der Toilette und beschloss noch in derselben Nacht, die Hochzeit platzen zu lassen. Die Industriellentochter zog nach Hamburg und arbeitete dort erst als Sekretärin, dann als Handelsvertreterin und später als selbstständige Geschäftsfrau, bevor sie 1977 ihren furiosen Debütroman „Das Geschlecht der Gedanken“ veröffentlichte.

„Das Geschlecht der Gedanken“ erzählt die Kindheit und Jugend von Conni, die von ihren Eltern einen Namen bekommt, der „für sie eine Verbindung zwischen beiden Geschlechtern darstellte und mein Vater musste nicht fortwährend daran erinnert werden, dass aus mir nichts wurde als ein Mädchen“. Conni beobachtet messerscharf die Unterdrückungs- und Machtstrukturen, die das Verhältnis der Eltern und das Geschlechterverhältnis in der Gesellschaft ausmachen. Als sie das erste Mal ein Kleid tragen muss und ein Junge im Heufeld über sie herfallen will, bewirft sie seinen Unterleib mit Steinen und erfreut sich, an eine Häuserwand gelehnt, an seinen Schmerzensschreien.

Der Roman ist bei seiner Veröffentlichung bereits elf Jahre alt, jahrelang hatte Heinrich nach einem Verlag gesucht. „Ein Agent schrieb mir damals: Ich habe drei große Verlage, die das Buch sofort veröffentlichen, Sie müssen sich nur ein männliches Pseudonym zulegen. Eine energische, radikale Literatur wurde nur dem Mann zugeschrieben.“

Aggressiv, rabiat, analytisch

Heinrichs Literatur stach heraus aus dem Opferimpetus und dem Schwelgen in Befindlichkeiten, die der damaligen Frauenliteratur häufig zum Vorwurf gemacht wurde. Ihre Heldin ist aggressiv, rabiat und kühl-analytisch. Und sie galt 1966, als Heinrich „Das Geschlecht der Gedanken“ schrieb, ihrer Zeit weit voraus, zu weit. Als das Buch schließlich im Fischer Verlag erscheint, löst es einen Skandal aus. „Als ich eine Lesung im Goethe Institut in Amsterdam hatte, sind 260 Menschen gekommen, um mich fertigzumachen.“ Trotzdem oder gerade deswegen: Der Roman wird ein Erfolg, wird ins Niederländische, Finnische, Dänische und Japanische übersetzt und unter dem Titel „Josephs Tochter“ verfilmt. „Nach dem Erfolg bin ich gleich krank geworden. Das konnte ich gar nicht fassen.“

Heinrichs Emanzipation erfolgte nicht durch die Literatur, sondern als Unternehmerin. Die älteste von fünf Töchtern übernimmt mit 14 Jahren nicht nur Aufgaben in der väterlichen Furnier- und Sperrholzfabrik, sondern auch die Sorge um die Schwestern, nachdem die Mutter die Familie für ihren Liebhaber verlassen hat: „Ich habe sie für ihren Mut bewundert und es ihr sofort verziehen, aber ich war die Vatertochter und musste es halt tragen.“ Das Changieren zwischen dem Weiblichen und dem Männlichen beschreibt sie dabei als ihr „schönstes Spiel“. Die Tüchtigkeit, die sie in diesen Jahren entwickelt, zog sie immer wieder aus dunklen Lebensphasen heraus, wie die lähmende Angst vor der atomaren Katastrophe, die sie in „Mit meinem Mörder Zeit bin ich allein“ (1981) beschreibt. „Durch meinen Chauvinistengeist habe ich mich immer wieder hochgerappelt. Wenn ich den nicht hätte, wäre ich tot.“

Mit Anfang 20 macht sie sich selbstständig, als Handelsvertreterin. „Unternehmerin sein hieß für mich, endlich allein und frei zu sein von diesen schrecklichen, biederen, verrosteten Umgangsformen. Ich hatte immer Stolz auf die Einsamkeit.“ Auf den Reisen und in Hotels lernt sie zu beobachten, gleichzeitig erlebt sie, wie ihre Freiheit als alleinreisende Frau nicht akzeptiert wird. Sie wird belästigt, muss sich gegen Übergriffigkeiten erwehren: „Als Frau war dieses Leben um die Zeit ekelhaft.“ Aber sie hat Erfolg, zieht mehrere Geschäfte auf, darunter einen Großhandel für Gardinen mit 15 Angestellten und fährt einen Mercedes SL 230.

Das Changieren zwischen dem Weiblichen und dem Männlichen ist ihr schönstes Spiel

Nach einem Besuch einer Inszenierung von Tschechows „Möwe“ im Jahr 1966 ist für Heinrich, die mit Literatur bislang kaum in Berührung gekommen war, alles anders. „Diese Begegnung war stärker als jede Liebe, jeder Funke, jede Raserei. Ich bin da rausgegangen wie eine Taumelnde und wusste, dass mein Leben ab jetzt von einem anderen Gift besetzt ist.“

Sie wird krank, fährt sechs Wochen an die Nordsee und beschließt danach, ihr Unternehmen aufzulösen. Mit ein wenig Geld macht sie einen Imbiss am Langenfelder Damm auf. Dort liest sie sich zwischen Würstchen und Pommes Frites autodidaktisch durch die Literaturgeschichte: Camus, Sartre, Strindberg, Tschechow, Djuna Barnes, die Hamburger Autoren Hubert Fichte und Gerd Fuchs. Der Imbiss wird zum Künstlertreff, trotzdem hält sie sich von der literarischen Szene fern: „Ich war sehr spröde. Und ich wusste: Helfen würde mir niemand.“

Ihre zahlreichen Männerbeziehungen scheitern. „Im Grunde genommen war meine Art zu leben ihnen über, im wahrsten Sinne des Wortes. Mein Körper war schön, aber die Faszination ging schnell in ein Kopfschütteln über, das konnte ich nicht aushalten. Man braucht ja auch aufbauende, hilfreiche Gespräche.“ Auch an der literarischen Berufung gehen die Beziehungen zu Grunde: „Schreiben heißt eigentlich immer, ganz allein zu sein. Das waren immer meine Qualen. Schreiben und lieben geht eigentlich nicht.“

Nach dem Erfolg ihres Debütromans lebt sie als freischaffende Schriftstellerin, erhält zahlreiche Preise, Stipendien und Lehraufträge, schreibt neben Romanen und Kurzgeschichten Theaterstücke und Essays – ihre literarische Lieblingsform – und arbeitet für den Rundfunk und als Kabarettistin. In den vergangenen Jahren hat sie wenig veröffentlicht, unterrichtet lieber an Schulen und an Schreibwerkstätten. „Ich habe immer noch die gleiche Wutverzweiflung wie früher. Nur: Ich habe das fast alles ausgedrückt, und ich möchte mich nicht wiederholen. Meine unendliche Neugier aufs Leben kann ich für mich behalten.“ Zum Glück hat der Fischer Verlag drei ihrer Werke, „Das Geschlecht der Gedanken“, „Mit meinem Mörder Zeit bin ich allein“ und die Kurztexte-Sammlung „Alles ist Körper“ gerade neu aufgelegt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!