: „Objekte waren fragwürdig“
Provenienz Eine Historikerin untersucht die Ausstellungsstücke des Überseemuseums, die zwischen 1933 bis 1945 archiviert wurden. Häufig bleibt die Herkunft ungeklärt
Interview Jens Fischer
taz: Frau von Briskorn, ist im Überseemuseum nicht eh alles nur geklaut?
Bettina von Briskorn: Nicht alles, keiner weiß wirklich Genaues. Es gibt hier um die 100.000 völkerkundliche, 1,2 Millionen naturkundliche und 20.000 handelskundliche Objekte, die im Zugangsbuch erfasst, aber nur zu einem Bruchteil auch nur ansatzweise in ihrer Herkunft wirklich einwandfrei geklärt sind.
Was für Daten liegen vor?
Im Zugangsbuch steht, was abgeliefert wurde, wann und von wem. Frau X brachte drei lebende Feuersalamander vorbei fürs Terrarium. Bürger Y gab eine Phönixpalme für den Lichthof ab, weil sie zu groß für den eigenen Wintergarten wurde. Oder: „Aus Brasilien eine Sammlung exotischer Vögel und Reptilien im Glasschrank“, 1936 angekauft für 48 Reichsmark von der Möbelmarkthalle in den Fedelhören, die von Gerhard Klöfkorn geführt wurde. Aber damit ist die Herkunft aus Sicht der Provenienzforschung natürlich noch lange nicht geklärt. Denn Belege, welchen Weg das Objekt zuvor gemacht hat, fehlen meist. Beispielsweise Rechnungen, Erbschaftsnachweise, Aussagen über Ankaufsummen, Ausfuhrgenehmigungen, Gutachten.
Wie ist ein typischer Ablauf der Recherchen?
Nehmen wir Herrn Schulz: Er hat eine nicht näher beschriftete Tonschale aus Südamerika eingeliefert. Da müssten wir herausfinden: Hat er sie selbst gefertigt, war er mal persönlich vor Ort, zu welcher Zeit, wo hat er sich genau aufgehalten, wie ist er dort in Besitz der Schale gekommen, tauchte sie zuvor bereits in Auktionslisten auf. Mit solchen Informationen könnten wir auch die Schale datieren und einer bestimmten Region zuordnen, deswegen machen auch die wissenschaftlichen Mitarbeiter in Einzelfällen – wenn beispielsweise Objekte ausgestellt werden sollen – solche Provenienzforschung.
Was haben Sie herausbekommen?
Zum Beispiel bei dem Möbelmarkt, der ein Gebrauchtwarenhandel war, haben wir herausbekommen, dass der Besitzer später in die „Möbel-Aktion“ involviert war, also die Beschlagnahme von Möbeln und weiteren Hausrat von geflohenen oder deportierten Juden mit dem Ziel des Weiterverkaufs oder der Versteigerung. Menschen, die nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten auswandern wollten, wurden gezwungen, Reichsfluchtsteuer zu bezahlen und vom Restvermögen 96 Prozent abgeben. Also versuchten sie, um Geld für die Flucht zu behalten, alles zu veräußern, was sie hatten. Und solche Möbelmärkte wurden schnell zum Sammelort von Kulturgut, das den als Juden Verfolgten gehörte. Dass die Vögel im Glasschrank dazugehören könnten, dachte ich mir. Dann fand ich aber einen versteckten Hinweis im Schrank: Bädecker, Sottrum. In Archiven stieß ich dann auf Reinhard Wilhelm Bädecker, der zwischen 1871 und 1951 lebte, Tabakkaufmann war, in seiner Ausbildungszeit jahrelang in Brasilien gelebt hatte und wohl die Vogelbälge sammelte, so dass es als sehr, sehr wahrscheinlich gilt, dass er diesen Schrank freiwillig veräußerte.
Sie erforschen nur Objekte, die in Zeiten des Nationalsozialismus archiviert wurden. Warum?
Weil nur diese Arbeit vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg gefördert wird, die finanzieren zum überwiegenden Teil meine auf zwei Jahre befristete Vollzeitstelle. Ich kümmere mich um 1200 Zugänge, die das Überseemuseum von 1933 bis 1945 verzeichnete. Eine Handvoll hielten wir erst einmal für fragwürdig.
Jahrgang 1966, Historikerin, untersucht seit 2015 als Provenienzforscherin die Objekte der natur- und völkerkundlichen Sammlungen des Überseemuseums aus der Nazizeit auf ihre Herkunft.
Warum?
Es gibt Checklisten. Haben wir Einlieferungen der Gestapo? Haben wir nicht. Von Behörden? Ja, vom Rathaus kam einiges. Auch von jüdischen Mitbürgern. Politisch Verfolgten. Oder Ankäufe deutlich unter Preis. Da gucke ich natürlich näher hin. In einem Fall wurde aus einer Leihgabe ein Geschenk. Da der Besitzer verfolgt wurde, recherchiere ich nun, ob das vielleicht nicht freiwillig geschah. Das ist ein Job für Leute mit hoher Frustrationstoleranz, weil die Spuren oft bis zur Unkenntlichkeit verwischt oder gar nicht vorhanden sind.
Im Rahmen Ihres Studiums hatten Sie bereits die Herkunft ganzer Sammlungen aus der Kolonialzeit erforscht. Gab es Ergebnisse?
In den völkerkundlichen Beständen sind Stücke zu finden, bei denen mehr als der Verdacht da ist, dass sie im Rahmen eines militärischen Vorgehens gesammelt worden sind.
Beute raubmordender Krieger?
Nicht alles, aber etwas. Es gab in der Kolonialzeit auch den „anonymen Ankauf“: Flohen Menschen vor den Kolonisatoren, dann zogen Wissenschaftler durch die verlassenen Dörfer und nahmen mit, was sie für ihr Museum brauchten. Und haben als Gegenleistung Tabak hinterlegt oder ein paar bunte Perlen. Kein wirkliches Geschäft…
… das auf Augenhöhe in beidseitigem Einvernehmen geschlossen wird.
Bettina von Briskorn, Historikerin
Genau. Und in der NS-Zeit gab es eben Enteignung, verfolgungsbedingte Entziehung oder Zwangsverkäufe. Das ist mehr als schlichter Diebstahl.
Haben sie solche Fälle bisher gefunden?
Nein.
Aber wenn – was passiert?
Wir wären bestrebt, die rechtmäßigen Eigentümer der jeweiligen Stücke oder deren Erben ausfindig zu machen, um eine faire und gerechte Lösung zu finden. Genau das ist ja der Sinn meiner Arbeit.
„Die Herkunft von Museumsobjekten. Zur NS-Provenienzforschung am Übersee-Museum“: 17. Mai, 19 Uhr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen