Die Wahrheit: Käufliche Liebe
Wer schickt Fotos seines Babys zu einem Schönheitswettbewerb, damit daraus eine lebensechte Puppe entstehen kann?
A ls ich neulich einen Besuch in London ankündigte, schrieb der dort ansässige Freund zurück: „Aber nicht zu Madame Tussauds! Ihr Ossis wollt immer zu Madame Tussauds!“ Nun weiß ich nicht, wen mein Freund noch so alles aus dem Osten kennt, aber er scheint leidgeprüft. Mir ist niemand persönlich bekannt, der nach Abschluss der Adoleszenz freiwillig eine zweistündige Wartezeit und astronomische Eintrittspreise in Kauf nimmt, um staubige Prominentendouble anzustaunen. Aber es lauern ja Abgründe in den Menschen . . .
Das Mitgliedermagazin der AOK Baden-Württemberg zum Beispiel bewirbt in seiner neuesten Ausgabe eine Babypuppe namens Savana, die verspricht, jedes Herz zu erobern – zum sensationell günstigen Preis von 150 Euro. Aus der Anzeige geht hervor, dass zuvor Kunden aufgefordert wurden, die „schönsten Fotos mit ihren Lieblingen“ zu schicken. Von ihren echten Kindern also. Online haben anschließend bei diesem Babybattle Tausende für ein bedauernswertes Wesen namens Savana gestimmt. Nach deren Foto modellierte „die Puppenkünstlerin Ping Lau“ eine Babypuppe „mit Haut aus weichem RealTouch-Vinyl“. In Originalgröße und mit gleichem Gewicht.
Geht es eigentlich nur mir so, dass mich ein komisches Gefühl beschleicht, wenn mir nicht nur die „handapplizierten Haare“, sondern auch die lebensechte Haut und vor allem die „bezaubernden, von Hand kolorierten Details“ angedient werden? Zudem mit dem Hinweis, dass Savana „frei positionierbar“ sei?
Ganz wie – so wörtlich – „das siegreiche Originalbaby“ würde das Puppenmädchen einen pinkfarbenen Fleecestrampler mit Herzchen von Kopf bis Fuß sein Eigen nennen, sogar die Knöpfe seien in Herzform. In der AOK-Zeitschrift heißt es weiter: „Darunter trägt Savana ein lavendelfarbiges Shirt und Windeln.“ Mir wird schlecht.
Der Frage, wer so etwas textet und verkauft und wer das dann kauft, möchte ich lieber gar nicht genauer nachgehen. Muss ich ja auch nicht, ich bin nicht mal in der AOK. Doch wer Fotos seines Babys zu einem Schönheitswettbewerb einschickt, damit es – tausendfach vervielfältigt – als lebensechtes Modell vertickt werden kann, ist ganz sicher behandlungsbedürftig.
Aber wer sagt denn, dass man nur Babypuppen begehren kann? Wo bleibt in diesen kalten Zeiten die Eigenliebe? Für echte Narzissten hält das Berliner Start-up-Unternehmen twinkind die Möglichkeit bereit, sich selbst in einem 3-D-Scanner zu präsentieren. Nach den Bildern wird dann eine lebensechte Kunststofffigur gefertigt, der Werbung nach „with high-tech and love.“
Herz verschenken war gestern! Eine Photo figurine muss es nun sein. Frei positionierbar wie Baby Savana sind die Figuren aber nicht. Auch von lebensähnlicher Größe kann keine Rede sein. Für knapp 700 Ökken hat der nachgebaute Liebste gerade mal die Höhe eines Eimers. Die Däumling- beziehungsweise Dildo-Variante von sieben Zentimetern kostet immerhin noch knapp einen Hunni. Da muss wohl die AOK ran!
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